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Wie reagiert das Ba’th Regime in Syrien auf den Sturz Saddam Husseins?

„Welches Land auf der „Liste der Bösen“ das nächste ist, das von der amerikanischen Militärmaschinerie überrollt wird, wird sich bald abzeichnen. Die Vorwürfe gegen Syrien enthalten die klare Botschaft: Unterwerfung oder Vernichtung“
Rundbrief von Bündnis 90/ Die Grünen Bezirk Breisgau 3/03


Nach dem Fall Bagdads waren sich deutsche Nahostexperten sicher: als nächstes sei Syrien Opfer einer amerikanischen Militäraktion. Daß dies so wenig eintrat, wie alle anderen Prophezeiungen über den Krieg gegen den Irak, sondern im Gegenteil kurze Zeit später US-Außenminister Colin Powell sich auf den Weg nach Damaskus machte, täuscht nicht darüber hinweg, daß Syrien unter einem enormen Druck der USA steht. Angeblich beherberge es flüchtige irakische Regierungsmitglieder, von Anhängern palästinensischer und libanesischer Organisationen, die auf der US-Terrorliste stehen ganz zu schweigen. Anders als erwartet schließen sich in Syrien in Folge des US-Amerikanischen Druckes keineswegs die Reihen hinter Bashar al-Assad. Wie in anderen Ländern des Nahen Osten auch, wurde der Fall Bagdads zwar von vielen auch in Damaskus als weitere Niederlage der Araber und Muslime im Kampf gegen den Großen Satan wahrgenommen; zugleich wächst die Kritik an der eigenen Diktatur. Während aber radikale Islamisten und Panarabisten, nun zum verstärkten Kampf gegen die USA trommeln und sich unter den Freiwilligen, die an der Seite der irakischen Baathisten kämpfen viele Syrer befinden sollen, kommt auch von anderer Seite eine Kritik, die durchaus Anlaß zur Hoffnung geben kann.

Schon anläßlich der Machtübernahme im Juni 2000, als Bashar al-Assad die Nachfolge seines verstorbenen Vaters antrat, waren mit dem Amtsantritt des jungen Präsidenten außerhalb wie innerhalb Syriens große Erwartungen auf Erneuerung der Verhältnisse des Landes verbunden worden. Es dauerte allerdings nicht lange, um erkennen zu können, daß der neue Landesherr und Chef der Baath-Partei nicht in der Lage war, die erhofften Reformen gegen den Willen der alten Garde der Notabeln und die eigene Parteihierarchie durchzuführen. Im Gegensatz zu den vitalen Erwartungen auf Erneuerung der Bevölkerung, schien Bashar al-Assad eher zur Adoption militanter und radikal panarabischer Positionen bereit zu sein, besonders hinsichtlich seiner Einstellung gegenüber dem Konflikt zwischen Israel und den Arabern. Er schien sich für die Politik seines Vaters entschieden zu haben, profilierte sich mit scharfen antiwestlichen Tönen im arabischen Lager und positionierte sich an der Seite des Saddam Regimes.

Erst die ernsthafte Entschlossenheit der USA, den irakischen Baathismus zu beseitigen, und die deutlichen Hinweise der Amerikaner, gegen jedes nahöstliche Land vorzugehen, das Saddam unterstützten würde, führte zu einer Revision des syrischen Verhaltens, die von dem Bemühen getragen war, einen syrisch-amerikanischen Konflikt zu vermeiden. Der dramatische Sieg der USA über Saddams Militär und dessen baathistische Unterdrückungsapparatur war schließlich für den neuen Präsidenten Warnung und Anlaß zugleich, um erstmals folgenreiche Schritte einzuleiten, die ein deutliches Zeichen auf Innovation setzen sollten. Am 6. Juli 2003 unterzeichnete Bashar al-Assad namentlich als Chef der Baath Partei das Dekret 408. Eine bürokratische Maßnahme, die allerdings das tradierte Herrschaftssystem ins Mark traf. Das Dekret 408 verabschiedete die Alleinherrschaft der einzigen Partei aus ihrer bisherigen Funktion als Zentrum der Macht. Bis dahin hatte die sie jeden Winkel des Landes und noch den intimsten gesellschaftlichen Sektor, das zivile wie das militärische Leben in uneingeschränkter Funktion beherrscht und kontrolliert. Zumindest per ordre de mufti war damit nun jenem Zustand ein Ende bereitet, daß nur Mitglieder der Partei in die Ränge des Militärs, der Wirtschaft, in Universität und Staatsapparat aufgenommen werden durften. Nicht nur die Mahnungen und Auflagen der US Administration hatten diesen turning point innerhalb der syrischen Machtkonstellation herbeigeführt, landesinterne Ereignisse fielen ebenso schwer ins Gewicht: Bei den Parlamentswahlen im Mai 2002 waren nur 12 % der Wähler an den Urnen erschienen. Ungeachtet angeordneter Wahlpflicht zeigte die Bevölkerung Syriens dem Regime und den von diesem vorgegeben Baath-Kandidaten demonstrativ die kalte Schulter. Bei späteren Kommunalwahlen in Syrien erschienen schließlich nur noch 6 % der Wahlberechtigten zur Abstimmung. Das Dekret 408 bedeutete unter diesen Umständen wohl den Versuch al-Assads, ein neues Vertrauensverhältnis zu den Menschen des Landes herzustellen, die nach fast 40 Jahren der Existenz unter autokratischen Bedingungen (die meiste Zeit davon unter einer Assad Herrschaft) dagegen auf ihre Weise ein Veto einlegt hatten.

Unmittelbar nach der US Intervention im Irak regte sich der innersyrische Widerstand demonstrativ. Mitte 2003 wurde dem Staatspräsidenten eine von 287 prominenten syrischen Bürgern verfaßte Petition übergeben, die einen allgemeinen nationalen Dialog forderte, der auf die Einleitung gesellschaftlicher Erneuerung gerichtet war. Vermittelt wurde die Petition, die niemand persönlich sich übergeben trauen konnte, per eingeschriebenem Brief mit Datum 17. Mai 2003 an den Präsidentenpalast. Publiziert wurde sie zwei Wochen später auf der Webseite der Publikation Akhbar Al-Sharq, die der syrischen Opposition verbunden ist. In artiger Sprachwahl die vorgegebene Diktion des Regimes benutzend, kam die Petition anschließend im Klartext zur Sache:

„Ehrenwerter Präsident: Nur tiefgreifende nationale Reformen können die Krankheiten in Syrien heilen. (…) Wir erwarten grundlegende Veränderungen, die nur dann heilsam sind, wenn ohne Ausschluß alle Kräfte des Landes partizipatorisch beteiligt werden. Wir erwarten aus diesem Grund die Freilassung aller politischen Häftlinge und aller Gefangenen aus Gewissensgründen. Die Einladung aller Exilierten zur sicheren Rückkehr in unser Land unter der Bedingungen von Garantien für ihre Existenz. Dies bedeutet, daß alle bestehenden Notstandsgesetze und Sondererlasse gestrichen werden. Dies meint ebenso, daß dem Geheimdienst- und Sicherheitsapparat des Landes jede Einmischung in die privaten und politischen Sphären zukünftig untersagt wird. Gelten soll allein das Recht und die Rechtsstaatlichkeit. In diesem Zeichen muß Koalitionsfreiheit herrschen, die Freiheit der Gründung und des Zusammenschlusses ziviler Vereinigungen, das Recht auf freie Gewerkschaften, und schließlich das Recht auf freie Meinungsäußerung und Freizügigkeit im Lande.“

Unterzeichnet worden war die Reformforderung ua. von Anwar al-Banni, einem bekannten Anwalt der politischen Gefangenen des Landes sowie von Abd al-Razzaq, einem der ersten syrischen Promotoren für die Bildung demokratischer Organisationen und Strukturen. Auch wenn einige der oppositionellen Gruppierungen des Landes vermuten, daß an ihrer Abfassung auch einige noch amtierenden Funktionären der Baath Partei beteiligt gewesen sein könnten, stellt das Manifest eine ungeschminkte Kampfansage an den herkömmlichen Baathismus dar. Selbst wenn sogar nicht auszuschließen ist, daß diese Petition per Einschreiben vom Regime selber bestellt wurde, ergibt sich daraus nichts anderes, als daß das al-Assad Regime verstanden hatte, daß der sich Wind des Nahen Ostens in Richtung auf grundlegende Erneuerung und allfällige Modernisierung gedreht hat.


Kurden als Motor der syrischen Reform-Opposition

Der Widerstand gegen das syrische Baath Regime kam nun von innen, von außen ereignete sich der Druck nur durch die USA. Die Europäer, vor allem Deutschland, Frankreich und Italien, - die wichtigsten Exportmärkte Syriens, - sind mit dem Regime d’accord, das Deutschland und Frankreich zu seinen größten Handelspartnern zählt. Nicht mehr einverstanden sind ein Großteil der 16 Millionen Menschen des Landes, von denen vor allem die nichtarabische Bevölkerung seit 1961 unter der massiven Arabisierungspolitik gelitten hatten. Daß diese Zwangshomogenisierung letztlich scheiterte lag am andauernden passiven Widerstand der Kurden des Landes, der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe des Landes. Ihre genaue Zahl zu bestimmen erweist sich als schwierig, weil keine vertrauenswürdige Statistik vorhanden ist. Als Resultat einer Volkszählung von 1963 wurde 120 000 Kurden in der Grenzprovinz Al-Jazira die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Sie können keine staatsbürgerlichen Rechte beanspruchen, weil sie als Staatenlose über keine Dokumente verfügen. Aufschlüsselungen der kurdischen Seite sprechen von ca. 4 Millionen Kurdinnen und Kurden, die in Syrien leben. Politisch existieren die Kurden in Syrien nicht. Als nationale Minderheit werden sie nicht anerkannt. Ihre Diskriminierung und Benachteiligung findet in allen Institutionen und sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen statt. Kurdische Publikationen und Feste sind verboten. Schulunterricht in kurdischer Sprache darf nicht stattfinden. Gesellschaftlich sind sie entmündigt. Die Verfolgung und Depravierung ließ viele Menschen aus dem Land flüchten.

In einem Forderungskatalog appellierte die Demokratische Partei Kurdistan-Syriens (PDKS) im September 2002 an Bashar al-Assad, jegliche Gruppendiskriminierung des Landes zu beenden. Zugleich machte die PDKS den Vorschlag, ein Ministerium für die Angelegenheiten der nationalen Minderheiten zu etablieren. Im Frühjahr 2002 hatte sich bereits die syrische Oppositionspartei A-Hadathe (Party of Modernity and Democracy for Syria) zu Wort gemeldet. Sie verlangte vom Staatschef vor allem die Anerkennung der Realitäten einer Vielvölker-Nation, deren Pluralität in Syrien zu einem Grundbestandteil des Staates werden müsse. Die Partei für Modernisierung und Demokratie bestand vor allem darauf, diese Vielfalt in der Verfassung des Landes zu verankern, um die Anerkennung aller ethnischen und religiösen Gruppierungen Syriens zu garantieren.
Der Krieg gegen Saddam Husseins Regime, bei dem die irakischen Kurdenparteien offiziell als Alliierte der Koalitionstruppen beteiligt waren veränderte auch den Blick auf die Rolle der Kurden im Nahen Osten. Im Irak gelten die Kurden als die großen Gewinner, die erstmals in ihrer modernen Geschichte einen beträchtlichen Sieg über ihre Feinde errungen haben und zugleich als Faktor der Modernisierung ernst genommen werden. Endgültig hat sich auch in den USA herumgesprochen, daß die irakischen Kurden anstehenden demokratischen Änderungen wohl am meisten aufgeschlossen gegenüberstehen und wohl auch in Zukunft ein verlässlicher Partner der USA im Irak sein werden. Die veränderte Wahrnehmung hat auch die syrisch-kurdische Bewegung nachhaltig beeinflußt und ihr Auftrieb gegeben. Denn das für den Irak anvisierte und von den USA unterstützte Modell einer föderativen Demokratie könnte sich auch als Lösung für Syrien erweisen. Der Jubel, der in den irakisch-kurdischen Städten nach dem Fall der Saddam Diktatur herrschte hat tiefe Spuren hinterlassen.


Am Finale der Baath Diktatur in Syrien

Unmittelbar nach der Niederlage des irakischen Baathismus schöpften Mitglieder der oppositionellen Bewegung Syriens weitere Hoffnung. Im Juni 2003 trafen sich anlässlich der Gründung der ersten kurdischen politischen Organisation in Syrien (1957) Repräsentanten der Kurdischen Yekiti Partei und der Demokratischen Partei Kurdistan-Syrien in Bonn, um das Projekt der „Koalition für ein demokratisches Syrien“ (KDS) aus der Taufe zu heben. Eine Assoziation, die erklärtermaßen darauf besteht, jenseits eines ethnisch begründeten kurdischen Nationalismus tätig werden zu wollen. Ausdrücklich wurde deshalb fixiert, Kräfte und Persönlichkeiten Syriens aus den verschiedenen politischen Strömungen und Populationen zu integrieren: Araber, Alawiten, Drusen, Christen, Armenier, Kurden und syrisch-beduinische Stammesführer. Die Initiatoren richteten ihren Gründungsaufruf an alle syrischen Parteien, Organisationen, sowie an die politischen, kulturellen und sozialen Einrichtungen des Landes, nicht zuletzt auch an die intellektuellen Repräsentanten des Landes im In- und Ausland. Initiale Gespräche zur Vermittlung und Bildung einer umfassenden Demokratiebewegung Syriens auch mit Alawiten und anderen Gruppen ergaben positive Resonanz. Auch das Regime selber hat die Botschaft wohl empfangen: Im vom Versammlungsverbot betroffenen Land hatte sich im Juni 2003 eine „Kinderdemonstration“ vor dem UNESCO Gebäude in Damaskus ereignet. Zweihundert kurdische Kinder erinnerten am Weltkindertag an die lange Liste der Verbrechen des Baathismus gegenüber den nationalen Minderheiten. Zwar wurden, wie üblich, zunächst die erwachsenen Begleitpersonen verhaftet, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Seitdem taktiert das Assad-Regime im Zeichen einer changierenden Politik von Teilamnestien oder Freilassungen von politischen Gefangenen – und neuen Verhaftungen. Das autokratische syrische Baath-Regime ist seiner selbst unsicher geworden. Was seine regionale Bedeutung angeht, belegt auch der Rückzug syrischer Armeeteile aus dem Libanon, daß die Periode des panarabischen Baathismus zu Ende geht. Inzwischen hat Assad sogar ein neues Angebot für Friedensverhandlungen an Israel gerichtet. Schon die nahe Zukunft wird zeigen, welchen weiteren Weg der Baathismus Syriens gehen wird. In einer Zeit, in der sich in tendenzieller Vereinigung die syrischen oppositionellen Gruppen im Lande und in der Diaspora für die Modernisierung des Landes engagieren. Bashar al-Assad ist offenbar vor eine deutliche Wahl gestellt: entweder sofortige und essentielle Reformen, Abbruch der Beziehungen zu den terroristischen Organisationen im Lande verbunden mit einer folgenden einvernehmlichen Lösung des Golan-Konflikts mit Israel - oder aber unwiderruflich der Verlust aller Macht. Mehr als ihren Druck Aufrecht erhalten und positive Zeichen and die sich formierende Opposition werden die USA dabei nicht unternehmen müssen. Denn die Entwicklung im Irak wird, wie der scheidende Übergangsverwalter Jay Garner kürzlich in einem Interview feststellte, die künftige Entwicklung des Nahen Osten bestimmen. Sollte langfristig die demokratische Transformation des Irak gelingen, so wird dies eine beträchtliche Auswirkung auf alle anderen Länder und Konflikte in der Region bewirken. Sollte der Irak sich in ein Afghanistan der USA verwandeln, wie von den radikalen antiamerikanischen und antiisraelischen Kräften in der Region erwünscht, so würde dies auch fatale Auswirkungen auf die Zukunft Syriens und des Libanon haben.

Hans Branscheidt, Thomas von der Osten-Sacken


Leicht gekürzt erschienen in Konkret 9/03


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