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Spaltung im Dreieck

Um die Kontrolle über den Zentralirak zurückzugewinnen, wollen Regierung und US-Truppen die ausländischen Jihadisten isolieren.


von Thomas von der Osten-Sacken

http://www.jungle-world.com/

Die terroristische Schlagkraft der ausländischen Jihadisten im Irak ist noch ungebrochen. Erstmals gelangen ihnen in der vergangenen Woche zwei Anschläge in der streng abgeschirmten Green Zone in Bagdad, bei denen sieben Menschen starben. Weit weniger Erfolg haben die international agierenden Jihadisten jedoch bei dem Versuch, die von ihnen eroberten Gebiete auch langfristig zu kontrollieren. Inzwischen ist offener Streit ausgebrochen zwischen jenen äußerst heterogenen Gruppen, die in heftigen Kämpfen im Frühjahr große Teile des Zentraliraks unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Irakische Islamisten und Stammesangehörige wenden sich dabei immer offener gegen den Einfluss der ausländischen Kämpfer, die sich vor allem um die Organisation Tawhid wal Jihad (Monotheismus und Jihad) des Jordaniers Abu Musab al-Zarqawi gruppieren.

Während die irakische Übergangsregierung und die US-Truppen den militärischen und politischen Druck auf den »Widerstand« im sunnitischen Dreieck sukzessive erhöhen, geben sich Vertreter von Stämmen und irakische Kleriker aus Falluja und Ramadi in Bagdad die Klinke in die Hand, um mit Regierungsvertretern zu verhandeln. Iraks Ministerpräsident Iyad Allawi kündigt seit Monaten die Rückeroberung aller außer Kontrolle der Regierung stehenden Gebiete an. Sein vornehmliches Ziel ist es, die für Januar 2005 vorgesehen Wahlen überall im Irak stattfinden zu lassen.

Im September gingen irakische und US-amerikanische Einheiten zur Offensive über und stürmten zwei Zentren des »Widerstandes«, die Stadt Samarra und das an der syrischen Grenze gelegene Tel Afar, wobei hunderte von Kämpfern, aber auch unzählige Zivilisten umgekommen sein sollen. Allen 30 Ortschaften, die nicht unter Regierungskontrolle stehen, droht nach Angaben des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums in den nächsten Monaten dasselbe Schicksal, sollten die irakischen Aufständischen nicht zuvor Übergabeabkommen mit der Regierung aushandeln und ausländische Jihadisten ausliefern. Im Gegenzug werden ihnen amerikanische Aufbauhilfe und eine weitgehende Amnestie angeboten.

Als Hochburg des »Widerstandes« gilt Falluja, das nicht nur in vielen arabischen und islamischen Medien, sondern längst auch in Teilen der Antiglobalisierungsbewegung und der deutschen Linken als »Symbol des Widerstandes« gefeiert wird. Doch auch hier zeitigt die neue Strategie erste Erfolge. Offenbar sind kürzlich in Falluja schwere Konflikte zwischen ausländischen, vor allem aus Syrien und Saudi Arabien stammenden Kämpfern und lokalen irakischen Gruppen ausgebrochen.

Während verschiedene Stammesvertreter und Kleriker in – bislang ergebnislosen – Verhandlungen mit der Regierung Allawis stehen, um eine blutige militärische Einnahme der Stadt zu verhindern, eskalieren die Jihadisten den Krieg gegen die »imperialistischen und zionistischen Besatzer und ihre Kollaborateure«. Erst vergangene Woche zeigten sie auf der Internetseite von Tawhid wal Jihad das Video der Enthauptung zweier irakischer Geheimdienstagenten, ein Akt der Brutalität, der lokale Kommandeure in Rage brachte. So distanzierte sich Abu Abdalla Dulaimi, Chef der Ersten Armee Muhammads, sogar öffentlich von Zarqawi, den er gegenüber der Washington Post als »geistig gestört« bezeichnete. Vor kurzem wurde in Falluja ein syrisches Mitglied von Zarqawis Gruppe, Abu Abdallah Suri, auf offener Straße erschossen. Angaben der irakischen Zeitung al-Sabaah zufolge haben Stammesführer aus der Region sogar angeboten, mit ihren bewaffneten Anhängern das jihadistische Treiben im sunnitischen Dreieck zu beenden.

Während die aus dem arabischen Ausland unterstützten Jihadisten eine Stabilisierung des Irak und die Abhaltung von Wahlen verhindern wollen, auch wenn dadurch das Land in ein Chaos gestürzt wird, zielt die Guerillastrategie irakischer Gruppen und Stammesverbände eher auf eine künftige Partizipation an der Macht im Irak. Die marginalisierten sunnitischen Gruppen erhoffen sich von ihrem Aufstand weitgehende Zugeständnisse der Regierung. An einer Zerstörung des Landes können sie nur bedingtes Interesse haben, denn der Zentralirak verfügt über keinerlei Bodenschätze oder andere Einkommensquellen.

Trotz aller kämpferischen Rhetorik scheinen die lokalen Führer in Falluja, allen voran der Rat der sunnitischen Geistlichen, zu merken, dass es der irakischen Regierung und den US-Amerikanern ernst ist mit der Drohung, die Stadt notfalls in schweren Kämpfen zurückzuerobern. Kein Tag vergeht ohne schwere Bombenangriffe, die sich angeblich gezielt gegen jene Stadtviertel richten, die unter Kontrolle ausländischer Terroristen stehen. Von den geschätzten 300 000 Bewohnern soll inzwischen die Hälfte nach Bagdad und in andere Städte geflohen sein, teils vor den Luftangriffen, teils vor dem islamischen Tugendterror, der in Falluja gegen alle ausgeübt wird, deren Lebenswandel nicht den Vorstellungen der Jihadisten entspricht.

Aus Samarra, das im September von US-amerikanischen und irakischen Einheiten gestürmt worden war, berichteten arabische Journalisten, dass Teile der Bevölkerung die Herrschaft von Islamisten und Warlords satt hatten und sogar verhaltene Dankbarkeit über die Militäraktion zu vernehmen gewesen sei. In Falluja und anderen Städten des sunnitischen Dreiecks waren zuvor von den verschiedensten Parteien und Notabeln der Region unterzeichnete Stellungnahmen verbreitet worden, die ausdrücklich die Abhaltung von freien Wahlen und den Abzug ausländischer Kämpfer verlangten.

Iyad Allawis Regierung schwebt eine »Najaf-Lösung« des Problems vor: Nachdem militärische Stärke demonstriert wurde, sollen Teile der »Widerstandsgruppen« von einer Amnestie profitieren und in den politischen Prozess eingegliedert werden. Als Erfolg versprechend wird dabei der bislang anhaltende Waffenstillstand im Bagdader Stadtteil Sadr City gewertet, wo Anhänger der Mahdi-Miliz Muqtada al-Sadrs seit Tagen leichte Waffen abliefern.

Ob diese Einbindung gelingt, hängt auch davon ab, wie sich die Nachbarländer des Irak verhalten werden. Nachdem die USA ihren diplomatischen Druck erheblich erhöht haben, erklärte die syrische Regierung vor kurzem, sie werde die Grenze zum Irak schärfer kontrollieren. Angaben des syrischen Oppositionsführers Farid Jhadry zufolge operieren allerdings syrische Geheimdienstagenten zusammen mit irakischen Ba’athisten unter der Führung von Saddams ehemaligem Stellvertreter Izzat Ibrahim al-Duri, der sich regelmäßig in Damaskus aufhalten soll. Die New York Post schätzt, dass diesem Netzwerk über vier Milliarden Dollar zur Verfügung stehen, die aus dem »Öl-für-Nahrungsmittel«-Programm der UN abgezweigt wurden.

Dass Syrien und der Iran tatenlos zusehen, wenn der Einfluss ausländischer Kämpfer zurückgedrängt wird, ist nicht anzunehmen. Schon warnen iranische Oppositionsquellen eindringlich vor einer neuen Welle der Gewalt im Fastenmonat Ramadan, der in der vergangenen Woche begonnen hat. Angaben des irakischen Journalisten Mohammed Khalaf zufolge zahlt das iranische Regime monatlich bis zu 90 Millionen Dollar an radikale proiranische Gruppen und Parteien im Irak.


erschienen in: Jungle World 44 - 20. Oktober 2004


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