Smart Sanctions?
Bombenangriffe auf Bagdad, aber keine Strategie für den Sturz Saddam Husseins - die neue Politik der USA ist die alte.
Eine grundsätzliche Neudefinition der Nah-Ost-Politik
kündigte der us-amerikanische Aussenminister
Collin Powell an, als er den Aussenministern der
EU Anfang März signalisierte, die USA seien
erstmals zu einer Lockerung des Embargos gegen
den Irak bereit. Eine Ankündigung, die in
Wochenfrist dem Luftangriff auf irakische Flugabwehrstellungen
durch britische und us-amerikanische Flieger folgte.
Seitdem wird als neue Doktrin gehandelt, was nicht
viel mehr als ein Eingeständnis des eigenen
Scheiterns darstellt. Denn spätestens mit
Ausbruch der sogenannten Al Aksa Intifada ist
das seit Henry Kissingers Amtszeit im wesentlichen
unveränderte Konzept der USA, den Nahen-Osten
über Israel zu befrieden, endgültig
Makulatur geworden. Inbegriff dieses Scheiterns
war Bill Clinton, dem von Wye über Camp David
bis Washington kein einziger Friedensschluß
glückte, während Europa und Russland
den USA in allen anderen Ländern des Nahen-Ostens
den Rang als Hegemonialmacht ablaufen.
Dem traditionell pro-westlichen arabischen Hinterland
stellt sich daher längst die Frage nach der
Sinnhaftigkeit amerikanischer Nah-Ost Politik.
Denn mit dem Frieden blieb auch die prognostizierte
soziale und ökonomische Entwicklung aus:
Jordanien wie auch Ägypten leiden unter einer
strukturellen Armutskrise. Sinnbild dieser Krise
ist der unter internationalem Embargo stehende
Irak. Dort hat sich längst eine europäisch-arabische
Allianz zusammengeschlossen, die von traditionell
pro-amerikanischen Staaten wie Ägypten bis
hin zu den ehemaligen Erzfeinden Iraks Syrien
und Iran reicht. Mitte Februar trafen sich beispielhaft
für diese Allianz der jordanische Parlamentssprecher
Abdel Hadi Majali mit seinem irakischen Kollegen
Saadun Hammadi und mehreren hundert Unterstützern
zu einer gemeinsamen Demonstration "für
die Aufhebung der Iraksanktionen und zur Unterstützung
der Intifada" an der jordanisch/irakischen
Grenze. Nicht Saddam Hussein steckt derzeit "in
einer Kiste gefangen", wie der Sprecher des
US State Departments die Lage am Golf kommentierte,
sondern die USA selbst. Denn ohne den Irak ist
eine alternative Nah-Ost Politik für die
USA genauso undenkbar wie mit dem Irak unter Saddam
Hussein.
So sind die von Collin Powell avisierten "smart
sanctions" nicht nur eine Konzession an die
schwindende Unterstützung im arabischen Lager,
sondern vor allem auch an längst geschaffene
Realitäten. Dank europäischer, chinesischer
und russischer Unterstützung sind die Irak-Sanktionen
in den vergangenen Monaten fast vollständig
aufgeweicht worden. Internationale Delegationen
aus Asien, Europa, Afrika und Latein-Amerikan
landen auf dem wieder geöffneten Saddam International
Airport, das Bagdader Rashid Hotel, wo Besucher
am Eingang über ein Mosaik mit dem Konterfey
George W. Bushs laufen, ist stetig ausgebucht.
Bereits vor Jahren haben die russischen Unternehmen
Lukoil, Zarubezhneft and Mashinoimport die Rechte
zur Entwicklung der Ölfelder im westirakischen
Qurna erstanden, China erhielt für rund 660
Mio. USD den Zuschlag für das südirakische
Ölfeld Al-Adhab. Malaysia, Indonesien und
europäische Regierungen stehen Schlange,
um weitere Rechte zu übernehmen. Bereits
jetzt ist ein lokaler Markt entstanden, der jährlich
mehrere Milliarden US-Dollar Surplus in die Kassen
der irakischen Staatselite spült. Ägypten
hat ungeachtet des Embargos ein Freihandelsabkommen
mit dem Irak geschlossen, Syrien plant dies bis
spätestens 2007. Mehrere Tausend Tanklastwagen
passieren täglich die türkisch-irakische
Grenze, irakische Öltanker nutzen die Hoheitsrechte
des Iran und passieren die U.S.-Navy Kontrollen
durch Küstengewässer; 300.000 Barrel
Öl pro Tag werden von Kirkuk an den syrischen
Hafen in Banyas und damit an den Sanktionskontrollen
vorbei gepumpt. So kommt es, dass Syrien bei einer
eigenen Förderrate von maximal 50.000 barrel
täglich bis zu 170.000 br exportiert und
den Export auf 350.000 steigern will. Der irakische
Staat, der das Embargo als "Völkermord"
bezeichnet, hat zugleich mehr als vier Milliarden
US-Dollar aus dem seit 1996 von den UN kontrollierten
Ölverkauf nicht abgerufen. Die im Februar
bombardierten Flugabwehrstellung dagegen stammten
aus Beständen der chinesischen PLA, die genauso
wie russische Ersatzteile für die irakische
MIG-Flotte trotz Embargo geliefert wurden.
Die angekündigten "smart sanctions"
gegen den Irak werden also weder die politisch-ökonomische
Baath-Elite des Irak gefährden, noch die
Not der Bevölkerung lindern, die sie dem
Regime zu verdanken hat. Sie zielen zuallererst
darauf, die Antiirak-Politik neu zu legitimieren
und Allianzen gegen einen zu isolierenden Saddam
Hussein zu schaffen. Dabei geht es den USA erklärtermaßen
darum, den unkontrollierten Verkauf von irakischem
Öl durch einen legalisierten Export zu ersetzen
und so die Wiederaufrüstung des Landes in
einem kontrollierbaren Rahmen zu halten. Mit der
formalen Anerkennung der praktisch bereits erfolgten
Embargolockerung versucht Powell zudem der irakischen
Propaganda entgegenzuwirken, die das Elend der
Zivilbevölkerung gegen die Sanktionen einsetzt
und rückt zugleich die irakischen Massenvernichtungswaffen
wieder ins Zentrum der Sanktionen, deren Abrüstung
sich in den vergangenen zehn Jahren als praktisch
nicht durchsetzbar erwies. Sinn macht Collin Powels
Konzept einer "politischen Lösung"
daher auch nur im Zusammenhang mit der Option
einer militärischen Auseinandersetzung, die
angesichts der momentanen Krise amerikanischer
Nah-Ost-Politik allerdings nur im Bündnis
mit anderen arabischen Staaten möglich ist.
Diese aber haben ihm auf seiner jüngsten
Nahostreise deutlich klar gemacht, daß mit
einer Unterstützung us-amerikanischer Positionen
auf dem anstehenden arabischen Gipfel Ende März
nicht zu rechnen ist. Der Syrian Times zufolge
soll stattdessen eine härtere Gangart gegenüber
den USA eingelegt werden, wobei offen damit gedroht
wird, die Palästinafrage weiter mit dem Irak
zu verknüpfen. Für Washington ein Horrorszenario.
Die Ratlosigkeit einer Politik, der die Handlungsoptionen
fehlen, spiegelt sich in der gleichzeitigen Reaktivierung
jener Konzepte zur Destabilisierung des Hussein-Regimes,
die bereits Mitte der Neunziger Jahre als erfolglos
fallengelassen wurden. Die im Iraq-Liberation
Act Ende 1998 versprochenen 98 Mio US-Dollar sollen
der irakischen Exilopposition mit drei Jahren
Verspätung jetzt ausgezahlt werden (vgl.
konkret 01/2001), ohne daß ein wirklicher
Aufschwung der im Lande selbst isolierten Opposition
davon zu erwarten wäre. So halbherzig wie
die Opposition selbst unterstützt das US-State
Department deren Bemühungen, Saddam Hussein
wegen "Völkermord" an den Kurden
anzuklagen. Angesichts dieser Perspektivlosigkeit
werden innerhalb des amerikanischen Kongress seit
längerem Stimmen laut, die eine zielgerichtete
militärische Destabilisierung des Regimes
fordern. Stütze einer derartigen Politik
sind einmal mehr die Kurden im Norden des Landes,
die sich nach jahrelangen internen Kriegen in
jüngster Zeit auf einen von den USA gebrokerten
Waffenstillstand geeinigt haben.
Die beispielsweise vom Us-Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld gefordte Stärkung der kurdischen
Parteien ist nicht neu. Bereits Mitte der neunziger
Jahre wurden in Washington Vorschläge diskutiert,
den Irak, dessen Führungselite man nicht
los wurde, durch die Stärkung der Kurden
im Norden und der Schiiten im Süden des Landes
in drei Teile zu zerlegen. Noch bevor sich das
US State Department auf eine unterstützende
Haltung gegenüber den potentiell proiranischen
schiitischen Oppositionsgruppen einigen konnten
aber wurde jeder Widerstand im Südirak mit
einer beispiellosen Militärkampagne endgültig
zerschlagen. Die Kurden im Norden des Landes,
die - nachdem sie schon 1975 fallen gelassen wurden
- im März 1991 erneut erleben mußten,
wie die versprochene US-amerikanische Hilfe im
Kampf gegen das Baath-Regime ausblieb, trauen
den tendenziell feindlich gesinnten Anrainerstaaten
Türkei und Iran zwischenzeitlich mehr, als
den USA. So kommt es, daß der sich jetzt
abzeichnende Frieden zwischen den verfeindeten
nordirakischen Kurdenparteien vor allem türkischen
Interessen dient, die in der Region die Chance
auf ein befriedetes kurdisches Gebiet außerhalb
der eigenen Landesgrenzen und zugleich eine mögliche
Freihandelszone im Länderdreieck zwischen
Türkei, Iran und Irak sehen. nachdem auch
die PUK (Patriotische Union Kurdistans) ihre bislang
duldsame Haltung gegenüber der militärisch
isolierten PKK gegen offene Feindschaft eingetauscht
hat und die verbliebenen türkisch-kurdischen
Kämpfer in unbedeutende Grenzregionen zurückgedrängt
wurden, wittern auch die USA wieder eine Chance
in der Region. Die kurdischen Parteien allerdings
wissen nur zu gut, daß die avisierte "politische
Lösung" unvermittelt wieder in einen
militärischen Konflikt umschlagen kann. In
jeder Situation äußerer Bedrängung
hat das Regime seine Gewalt regelhaft nach innen
gerichtet, mit dem Resultat von 200.000 ermordeten
Kurden während des Iran-Irak-Krieges und
nahezu zwei Millionen Flüchtlingen in Folge
des letzten Golfkriegs. Im Zweifelsfalle setzen
sie daher eher auf das Regime in Bagdad, als auf
die USA, wie bereits im September 1996. Damals
intervenierte die irakische Armee auf Seiten der
KDP (Demokratische Partei Kurdistans) im innerkurdischen
Konflikt und zerstörte binnen eines Tages
die gesamte Infrastruktur der USA im Nordirak.
Thomas Uwer/Thomas v. der Osten-Sacken
Erschienen in konkret 4/2001