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Sehnsucht nach der Freiheit

Reportage aus Kurdistan

von Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger


Irakisch-Kurdistan gilt den türkischen und iranischen KurdInnen als Vorbild. Trotz aller Hindernisse intensivieren sich die innerkurdischen Beziehungen.

Der unwirsch auftretende Angehörige der „Jandarma“, der berüchtigten türkischen Gendarmerie, will es genau wissen: „Wie ist der Name des Vaters? Was unterrichten Sie genau?“ Schon zum dritten Mal werden wir aus dem Kleinbus geholt, der uns von Yüksekova nach Hakkari bringen soll. Auf der einstündigen Fahrtstrecke sind überall Checkpoints errichtet. An den Berghängen sind Bewaffnete zu sehen. Auch ohne dass wir die aktuellen Agenturmeldungen gelesen haben, ist offensichtlich, dass hier mehr als die übliche Routine vor sich geht.

Die Grenzregion zu Irak und Iran zählte zwar immer zu den am stärksten militarisierten Gebieten Türkisch-Kurdistans. Zurzeit schlägt sich dort aber nicht nur die erwartete alljährliche Frühjahrsoffensive der türkischen Armee nieder, sondern auch die Drohung des türkischen Generalstabschefs, massiv im Nordirak militärisch zu intervenieren. Während die bereits an der Grenze stationierten 200.000 türkischen Soldaten noch verstärkt werden sollen, drangen Mitte April Spezialeinheiten über 20 Kilometer in irakisches Territorium ein. Sie sollten eine Militäroperation gegen die auf irakischer Seite verschanzten PKK-Einheiten vorbereiten und mögliche Fluchtwege abschneiden.

In Erwartung einer länger andauernden Militäroperation wurden bereits alle Urlaube der in der Grenzregion eingesetzten türkischen Soldaten für die kommenden drei Monate gestrichen. Lediglich die deutliche Warnung von Seiten der USA und das demonstrative Positionieren einiger GIs an der Grenze dürften bislang dem geplanten Überfall auf das derzeit mit anderen militärischen Problemen beschäftigte Nachbarland Irak noch im Wege stehen.

Azadi Kurdistan

Dass europäische BeobachterInnen bei den Vorbereitungen für diesen Militärschlag nicht erwünscht sind, zeigt sich in Hakkari schnell. Kaum haben wir das Hotel verlassen, werden wir bereits von zwei Autos mit türkischen Zivilpolizisten aufgehalten und erneut befragt. Eines der Fahrzeuge folgt uns daraufhin auf Schritt und Tritt. Trotzdem wird schnell deutlich, auf wessen Seite die Sympathien der Bevölkerung liegen. Fast jeder fragt, ob wir kurdisch sprechen können. Selbst kurze beiläufige Gespräche lassen immer wieder ein Bekenntnis zur „Kurdischen Sache“ erkennen. Dabei liegen die Sympathien jedoch nicht nur bei den Guerilleros in den Bergen, sondern auch bei „Azadi Kurdistan“, beim „Freien Kurdistan“ südlich der Grenze im Irak.

Auf einem Handybildschirm zeigt uns ein junger Mann stolz ein Bild von Masud Barzani, „der kurdische Präsident“, wie er versichert. Spätestens seit Barzani der Türkei bei einer Einmischung in die Kirkuk-Frage mit der Einmischung in die kurdischen Gebiete der Türkei gedroht hatte, ist er hier neben Ex-PKK-Chef Öcalan der zweite Held der kurdischen Nationalbewegung geworden.

Irakisch-Kurdistan ist auch in Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt Türkisch-Kurdistans, zunehmend zu einem Anziehungspunkt für die eigenen Sehnsüchte geworden. Im Vergleich zur eigenen alltäglichen Repression scheint das kurdische Autonomiegebiet geradezu als Hort der Freiheit. Abdullah, ein älterer kurdischer Geschäftsmann, der in seiner Jugend nach dem Militärputsch von 1980 jahrelang im berüchtigten Foltergefängnis Nr. 5 in Diyarbakir inhaftiert war, reist heute regelmäßig in die irakisch-kurdische Hauptstadt Arbil/ Hawler. Irakisch-Kurdistan ist für türkische Kurden nicht nur politisch, sondern mittlerweile auch ökonomisch interessant geworden.

Benzin gegen Schnaps

„Hier siehst du fast ausschließlich türkische und iranische Produkte, im Irak wird so gut wie nichts produziert“, ärgert sich Falah, Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation. Er zeigt auf die Regale in einem der aus dem Boden spriessenden Supermärkte in Arbil/ Hawler. Jedoch profitieren nicht nur die Händler aus den Nachbarregionen von der Existenz Irakisch-Kurdistans, sondern auch politische Flüchtlinge aus der Türkei und dem Iran. Während IrakerInnen aus dem Zentralirak in die Nachbarländer flüchten, kommen KurdInnen aus dem Iran und der Türkei in das kurdische Autonomiegebiet.

Der wirtschaftliche Austausch mit Iranisch-Kurdistan besteht neben iranischer Elektronik vor allem im Alkohol- und Benzinschmuggel. In Mahabad, der Hochburg der kurdischen Partei KDP-Iran, ist in den letzten Jahren ein ganzes Stadtviertel entstanden, das ausschließlich davon lebt, Benzin in den Irak zu transportieren und vollgeladen mit Alkohol in den Iran zurück zu kehren. „Hier in Mahabad trinken alle Alkohol“, erklärt Nareman, der Inhaber einer Fleischerei im Bazar, mit einem Schmunzeln auf den Lippen: „Die Polizei wagt es nicht, uns das zu verbieten.“

Nach der Spaltung der KDP-Iran in mittlerweile drei Splittergruppen ist die Basis in Mahabad von der Parteiführung enttäuscht. Shiman, eine junge Frau, die wir in einer Konditorei im Zentrum kennen lernten, sieht darin aber nicht nur negative Seiten: „Davon profitieren letztendlich die linken kurdischen Parteien.“ Tatsächlich hat im Süden Iranisch-Kurdistans die Komala in der letzten Zeit ihre Aktivitäten verstärkt. Im Norden Iranisch-Kurdistans konnte sich hingegen die 2005 gegründete „Partei für Freies Leben in Kurdistan“, die PJAK, als Schwesterpartei der PKK etablieren und eine Reihe militärischer Erfolge feiern.

Offenes Klima

Zurück in Hakkari und in der Annahme, die (un-)auffälligen Zivilpolizisten abgehängt zu haben, flüchten wir uns in ein Jugendcafe. Dort beobachten wir die vergnügt tanzenden Frauen, die selbstbewusst Männer zum Shake auffordern und die Live-Band mit Musikwünschen bestürmen. Das ist ein weiterer Unterschied zu allen anderen Gebieten Kurdistans. Das gesellschaftliche Klima, vor allem hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse, ist in Türkisch-Kurdistan eindeutig offener und fortschrittlicher.

Kurdische Regionalregierung und Azadi Kurdistan hin oder her: ein Kino, ein Theater, gar eine Disko mit Livemusik und tanzenden Frauen, das wird wohl in Irakisch-Kurdistan noch lange auf sich warten lassen.


Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger gründeten die Hilfsorganisation WADI-Österreich und gaben den Sammelband "Irak. Von der Republik der Angst zur parlamentarischen Demokratie?" heraus.


Artikel erschienen in antidot am 04. Mai 2007


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