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Unheimliches Schweigen

Zehn Jahre nach dem Golfkrieg


Von Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-Sacken

Die Debatte über den Irak nimmt zehn Jahre nach dem Zweiten Golfkrieg erneut schizophrene Züge an. Während sich die Öffentlichkeit darüber erregt, dass Uranmantelgeschosse so tödlich sind wie Waffen es nun einmal zu sein haben, kritisieren andere, von denen man es auf den ersten Blick nicht erwartet, das Wirtschaftsembargo des Westens gegen den Irak. In ihrer Einladung zu der dieser Tage stattfindenden Konferenz "Irak - UN-Sanktionen ohne Ende" fragen die Veranstalter von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen mit kritischer Attitüde: "Wächst (in Folge der Sanktionen, d.Verf.) im Irak nicht eine verlorene Generation für den Westen und die Nachbarländer auf?" Mit dieser Fragestellung gerät das zentrale Dilemma aller Auseinandersetzungen mit dem Irak aus dem Blick: Dass auch ohne Embargo unter der Herrschaft Saddam Husseins eine "verlorene Generation" herangewachsen wäre. Nicht weniger aufdringlich als seinerzeit die Propagandisten, die aus Hussein einen Hitler machten, kommen heute diejenigen daher, die über das Embargo die Diktatur vergessen.

Besser wissen könnte es zumindest einer der Tagungsteilnehmer: Ludger Vollmer, der an der Diskussionsrunde über "Möglichkeiten von Demokratie/ Zivilgesellschaften, auf diktatorische Regime und auf Veränderungen in den dortigen Gesellschaften hinzuwirken" teilnehmen soll - als Staatsminister eines Außenamtes, dessen Bagdader Botschaft einst deutsche Giftgasingenieure betreute und das Know How für Husseins Nachrichtendienste lieferte. Schon jetzt lässt sich prognostizieren, dass der Staatsminister wenig mehr als das aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes bekannte Lamento zum Besten geben wird, dass der Irak zwar "totalitär" sei, die massenhafte Flucht von Irakern aber auf die schlechte Wirtschaftslage in Folge des Embargos zurück gehe.

Diese Widersprüche liegen in der Ausprägung irakischer Herrschaft selbst begründet. Zwar scheint sich auf den ersten Blick der Irak förmlich anzubieten, den nach 1989 wieder in Mode gekommenen Totalitarismusbegriff anzuwenden, wie es etwa das deutsche Außenministerium tut. Denn kaum ein Regime der Nachkriegszeit hat sich derartige Greueltaten gegen die eigene Bevölkerung zu schulden kommen lassen: Über 200.000 ermordete Kurden, deren Städte und Dörfer mit Giftgas bombardiert wurden; geschätzte 50.000 Menschen, die den Militäraktionen im schiitischen Südirak zum Opfer fielen; 400.000 Flüchtlinge im Südirak; mehr als 16.000 namentlich bekannte "Verschwundene" und zehntausende "Inkognitogefangene" ohne richterliches Urteil; Deserteure die gebrandmarkt, Dieben, deren Hände amputiert, Händler, denen Ohren abgeschnitten wurden. Im Oktober noch, als europäische Solidaritätsgruppen in Bagdad für die Aufhebung des Embargos demonstrierten, wurden mehrere hundert Frauen wegen 'Prostitution öffentlich enthauptet.

Gerade aber angesichts der Situation im Irak scheitert die gängige Verwendung eines Totalitarismusbegriffs, der so gut griff gegen Regierungen, die Bürgerrechtler ausspionieren. Denn in diesem Fall tritt deutlich die Wesensnähe zu Tage, die Hannah Arendt als prominenteste Verfechterin der Totalitarismustheorie zwischen bürgerlichen Demokratien und totalitären Staaten ausmacht. Anders als die nach ihr benannten Institute trennt sie nämlich keineswegs dichotomisch zwischen Demokratie hier und Diktatur dort, sondern sieht die Diktatur in den Herschaftsformen des bürgerlichen Parlamentarismus schon angelegt. Im Widerspruch zwischen der Möglichkeit von Freiheit und den Bedingungen, die dieser Möglichkeit von einer kapitalistischen Wirtschaftsweise aufgezwungen werden, ist die Unmöglichkeit von demokratischer Politik im Kern schon angelegt. Sie wird im totalitären Staat nur am negativsten sichtbar.

Nimmt man diesen Gedanken ernst, so löst sich der vermeintliche Widerspruch auf, dass derselbe irakische Staat, der 1991 zum Albtraum der westlichen Staaten wurde, nur wenige Jahre zuvor von eben diesen militärisch hochgerüstet und im Krieg gegen den Iran mit Bildern aus US-amerikanischen Aufklärungssatelliten versorgt worden war. Gerade weil der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Interessen, deutschen Giftgaslieferungen und dem umfassenden Staatsterror des irakischen Regimes so offenbar ist, muss der Totalitarismusbegriff als Legitimation der "westlichen Wertegemeinschaft" versagen.

Das unheimliche Schweigen gegenüber den Verhältnissen im Irak liegt nicht zuletzt auch in der Logik der Verfolgung selbst begründet. Arendt fasste diese in dem Gedanken, dass es, "ist man zum Verbrechen entschlossen, zweckmäßig ist, Verbrechen in allergrößtem, allerunwahrscheinlichstem Maßstabe zu inszenieren. Die Ungeheuerlichkeit der begangenen Untaten schafft automatisch eine Garantie dafür, daß den Mördern, die mit Lügen ihre Unschuld beteuern, eher Glauben geschenkt wird als den Opfern, deren Wahrheit den gesunden Menschenverstand beleidigt." Eine Logik, die beispielsweise die irakische Exil-Opposition zu spüren bekommt, die bei Irak-Solidaritätsgruppen seit zehn Jahren für ein internationales Tribunal gegen die Hussein-Regierung wirbt und nun ansehen muss, wie diese Gruppen im Kampf gegen das Embargo die irakische Herrschaftslogik affirmieren. So kündigt der linke Papyrossa Verlag für März das Erscheinen eines Buches unter dem Titel Irak, ein belagertes Land an, dessen Titel stolz die irakische Flagge schmückt.

An der Herrschaftsrealität im Irak scheitert auch die Menschenrechtsdebatte, die umso mehr mit universalen Begriffen operiert, je weniger sie konkret erreicht. Über acht Jahre hatte beispielsweise der im vergangenen Jahr zurückgetretene UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Irak, Max van der Stoel, Berichte vorgelegt, denen es an Eindringlichkeit nicht mangelt - ohne jemals mehr zu bewirken als die kaltschnäuzige Antwort der irakischen Regierung, die gestiegene Kriminalitätsrate in Folge des Embargos mache ein härteres Durchgreifen der Sicherheitskräfte erforderlich. An einem Hussein, dessen Herrschaft alleine auf Gewalt fußt und den weder Appelle noch Embargo dazu bringen können, sein Regime aufzugeben, resignieren auch jene, zu deren rhetorischen Repertoire Menschenrecht und Totalitarismus sonst als feste Codes gehören. Auch deshalb schweigt Volmers Außenministerium seit anderthalb Jahren zum Irak.

Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-Sacken sind Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Organisation WADI e. V. in Frankfurt a.M.

Erschienen in: Blätter des iz3w Feb/ März 2001 Nr. 251


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