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Riss im Hause Saud

Im saudischen Establishment schwelt ein Machtkampf. Al-Qaida versucht, ihn zu radikalisieren

von Thomas von der Osten-Sacken

US-Vizeaußenminister Richard Armitage sagte nur die halbe Wahrheit, als er im vergangenen Herbst nach einem verheerenden Selbstmordattentat in der saudischen Hauptstadt Riad warnte, al-Qaida verfolge das Ziel, »die Herrscherfamilie und die Regierung von Saudi-Arabien zu stürzen«. Denn auch wenn al-Qaida ihren Terror in Saudi-Arabien intensiviert, verfügt das Netzwerk zugleich über exzellente Kontakte zu einflussreichen Kräften innerhalb des saudischen Establishments, die es weiter fördern und unterstützen. Es geht al-Qaida weniger um eine Beseitigung der wahhabitischen Regierung in Saudi-Arabien als darum, bestehende Fraktionskämpfe innerhalb des Establishments zu radikalisieren.

Längst tobt in dem Land, dessen König Fahd seit 1995 durch einen Herzinfarkt politisch ausgeschaltet ist, ein Machtkampf nicht nur um die Thronfolge, sondern um die politische Zukunft des Landes. Saudi-Arabien befindet sich in einer ökonomischen Dauerkrise. Wie zuvor im benachbarten Irak funktioniert das Modell eines auf Abschöpfung und Verteilung der Ölrente basierenden repressiven Wohlfahrtsstaates nicht mehr: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen fiel in den vergangenen Jahren von 15 000 auf 9 000 US-Dollar, inzwischen ist Schätzungen zufolge jeder fünfte Saudi arbeitslos. Die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung wächst, und während auf der einen Seite der Ruf nach Reformen und Demokratisierung lauter wird, radikalisiert sich auf der anderen Seite das wahhabitische Establishment.

Innerhalb des Herrscherhauses, einer 7 000köpfigen Prinzengarde, spiegelt sich diese Polarisierung der Gesellschaft in einem Machtkampf wieder, der sich vor allem zwischen dem über 80jährigen Kronprinzen Abdullah und dem nur Jahre jüngeren Innenminister Prinz Nayef abspielt. Während Abdullah sich für eine vorsichtige Öffnung des Landes stark macht, nähert sich Nayef immer weiter dem die Politik in Saudi-Arabien maßgeblich beinflussenden Rat der Kleriker, der Ulema, an. Nayef unterstützt nicht nur öffentlich den weltweiten Jihad, nach dem 11. September 2001 hatte er auch al-Qaida in Schutz genommen, indem er die Attentate als »zionistische Verschwörung« bezeichnete.

Für die von Prinz Nayef gestützte Ulema handelt es sich beim »War on Terror« um einen in New York und Tel Aviv ausgeheckten und mit Hilfe von Juden, Atheisten und Schiiten in die Tat umgesetzten Generalangriff auf den wahren sunnitischen Islam, als dessen Vertreter sich die ideologischen Erben Abdul Wahhabs sehen, der im 18. Jahrhundert eine strikt fundamentalistische Lehre entwickelte. Man glaubt sich in einer apokalyptischen Entscheidungsschlacht, die entweder zum globalen Sieg des Islam oder zu seiner endgültigen Niederlage führen werde. Für den wahhabitischen Klerus ist »Widerstand« gegen die »Ungläubigen« in Irak und Afghanistan ebenso Pflicht wie die Unterstützung des palästinensischen Jihads.

Al-Qaida und Prinz Nayef sind sich in ihrer Stoßrichtung weitgehend einig, die auf die »Moderaten« um Kronprinz Abdullah zielt, der seit längerem unter dem Schlagwort »Taqarub« (Öffnung) eine vorsichtige Liberalisierung und Demokratisierung des Landes ohne Aufgabe der »islamischen Identität« anstrebt. Weniger aus Überzeugung als aus Angst vor internationaler Isolierung, die Saudi-Arabiens ökonomische Krise weiter verschärfen könnte, rief Abdullah im vergangenen Jahr zum nationalen Dialog und traf sich sogar mit Vertretern der verfemten schiitischen Minderheit. Die dysfunktionalen Schulcurriculae des Landes, die zu 70 Prozent aus wahhabitischer Indoktrination bestehen, sollten geändert, der Einfluss des Klerus beschnitten werden. Frauen und Nichtmuslime wollte Abdullah in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einbeziehen und außenpolitisch das Land von seinem Ruf befreien, vornehmlich wahhabitische Terrororganisationen zu finanzieren. Dies schließt den Dialog mit Schiiten, US-Amerikanern und selbst Israelis ein.

Diese Pläne Abdullahs stießen bei anderen Teilen des saudischen Establishments auf radikale Ablehnung. Neben dem Innenminister gilt Verteidigungsminister Prinz Sultan als Hardliner. Beide favorisieren das der »Öffnung« entgegengesetzte wahhabitische Konzept des »Tawhid«. Tawhid steht für die Reinhaltung der wahhabitischen Lehre, für Jihad und gnadenlosen Kampf gegen alle inneren und äußeren Feinde des Islam. Es ist letztlich jenes Konzept, dem sich sowohl die Taliban als auch al-Qaida verpflichtet fühlen.

Mit der Taktik, ihren Terror, flankiert von einer Propagandaoffensive in ihr wohlgesonnenen Medien, zunehmend auch nach Saudi-Arabien zu verlegen, zielt al-Qaida auf eine Zuspitzung dieser Auseinandersetzung. Nayef als Innenminister ist gezwungen, immer öfter gegen die Terroristen vorzugehen. Zugleich signalisiert al-Qaida ihre Bereitschaft, den Terror einzustellen, sollte Saudi-Arabien zur reinen Lehre des Wahhabismus zurückkehren. Dies erfordere eine Ausschaltung der Reformkräfte im Land, die »Annihilierung« der Schiiten und ein Ende jeder Liberalisierung.

Gewissermaßen verlangt al-Qaida damit vom saudischen Königshaus nur, wofür dieses jahrzehntelang im Ausland eintrat. Denn so, wie der Iran sich nach Khomeinis Machtergreifung als Agentur der schiitischen Revolution definierte, verstanden die Saudis sich als Zentrale des wahhabitischen Islam. Über eine Unzahl undurchsichtiger Stiftungen und Wohlfahrtseinrichtungen finanzieren die Saudis auf der ganzen Welt den Bau von Moscheen sowie Koranschulen und unterstützen Familien von palästinensischen »Märtyrern« ebenso wie den Jihad in Tschetschenien oder Afghanistan. Nach saudischen Angaben sind in den vergangenen 20 Jahren auf diese Weise über 70 Milliarden US-Dollar an »Hilfsgeldern« an islamische Brüder geflossen. Entsprechend meldet die US-amerikanische Armee, dass sich unter getöteten Terroristen im Irak immer mehr mit saudischen Papieren befänden.

Seit 1979 befand sich der wahhabitische Islamismus auf dem Vormarsch, während seine ideologischen Konkurrenten in der arabischen Welt, Kommunismus und arabischer Sozialismus, an Attraktivität einbüßten. Dabei gelang Saudi-Arabiens Establishment das Kunststück, als enger, vermeintlich gemäßigter Alliierter von den USA Protektion zu erhalten und zugleich gesellschaftliche Unzufriedenheit zu exportieren.

Der »War on Terror« beendete diese Konstellation: In Afghanistan wurde mit den Taliban ein erklärt wahhabitisches Regime beseitigt, der Sturz Saddam Husseins ist ein schwerer Schlag gegen den sunnitisch dominierten Panislamismus. Überdies fürchtet nun das saudische Establishment einen wachsenden Einfluss der Schiiten im Irak, der zu einer Stärkung der schiitischen Minderheit im eigenen Land führen könnte. Schiiten sind der wahhabitischen Lehre zufolge keine Muslime, sondern Abkömmlinge einer von Juden gegründeten Sekte, die mit den »Kreuzfahrern« gegen die reine Lehre des Islam konspiriert.

Der Wandel der Nahostpolitik der USA, die Saudi-Arabien ihre Unterstützung mehr oder weniger entzogen haben – das Land wird zudem seit der Besetzung des Irak als Militärstützpunkt am persischen Golf nicht mehr benötigt –, hat klar gemacht, dass grundlegende Änderungen bevorstehen. Die zunehmend hysterischen Aufrufe zum Massenmord an Christen, Juden und Ungläubigen, zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen und zu weltweitem Jihad, die aus Saudi-Arabiens Moscheen berichtet werden, zeigen deutlich die Panik der radikalen sunnitischen Islamisten.

Auf der anderen Seite mehren sich kritische Stimmen, die den Wahhabismus als Herrschaftsideologie in Frage zu stellen beginnen. So schrieb der Kolumnist Dr. Muhammad Talal Al-Rasheed kürzlich in der Saudi Gazette: »Wir haben Monster herangezüchtet. Wir alleine sind dafür verantwortlich zu machen. Wir stellen das Problem dar, und Amerika ist so wenig die Ursache dafür wie die Pinguine des Nordpols.«


erschienen in Jungle World 9, 18. Februar 2004


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