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Saftige Früchte

Die irakische Regierung hat in einer gemeinsamen Erklärung mit den Staaten der arabischen Liga den ‚Widerstand’ gegen die ‚Besatzer’ für ‚legitim’ erklärt.

von Thomas Uwer

Es gibt wohl keinen Gewaltakt, zu dem nicht irgendjemandem noch etwas Kluges einfiele über den Lauf der Welt. »Eine Metapher für die künftige Kon­frontation« nannte der Kurator der Documenta 11, Okwui Enwezor, seinerzeit »Ground Zero«, den Ort an dem dreieinhalbtausend Menschen von Islamisten ermordet wurden. »Die Menschen erspähen jenseits der Mauer jede Menge saftiger Früchte, und sie haben Hun­ger«, sinnierte Enwezor weiter und stellvertretend für das Gros jener, die im 11. September den Ausdruck eines verschärften Zentrum-Peripherie-Konflikts ausmachten, dessen Grundlage wiederum die globale Ausbeutung darstellt. Mit ihnen kehrte die Idee von der Totalität gesellschaftlicher Beziehungen wieder als groteske Verzerrung: Wann immer eine Bombe explodiert, ein Staatsmann ermordet oder eine Geisel hingerichtet wird, folgt, zuverlässiger als der Bekennerbrief, die Subsumtion der Tat unter das Widerstandsrecht der Unterdrückten. Oder, wie der deutsche »Friedensratschlag« aktuell zur Entführung einer Archäologin im Irak schreibt: »Die Entführungen, wie die allgemeine Eskalation der Gewalt, ist (sic!) eine der hässlichen Folgen des völkerrechtswidrigen Krieges. Die US-amerikanische Besatzung ist die Hauptursache dieser Gewalt«, was bedeutet, daß diese wiederum im Kern berechtigt ist. So gemein kann keine Tat sein, daß sich nicht jemand berufen fühlte, ihr einen sinnvollen Platz im Weltgefüge zuzuweisen, so niedrig kein Anliegen, daß es nicht noch Unterstützer fände.

Daß weder das eine, noch das andere in Gänze falsch ist, also weder die Suche nach den Gründen für die Tat, noch das Wissen um deren gesellschaftliche Bedingungen, setzt die unterstellte Kausalität noch nicht ins Recht. Zur Gewalttat gehören eben neben allgemeinen Bedingungen auch der Täter und nicht zuletzt die Tat selbst. Im Islambomber letztlich finden beide eine Einheit, fallen das angestrebte Ziel und die Art und Weise der Tatausführung zusammen. Die Nagelbombe, die der Attentäter in einer belebten Einkaufsstraße Bagdads zündet, ist nicht Mittel zum Zweck, nicht Ausdruck von oder Metapher für, sondern Weg und Ziel in einem. Beinahe täglich reißen Bomben im Irak Menschen in den Tod, die nach allem gesunden Menschenverstand objektiv unschuldig sind: Kinder auf dem Weg zur Schule, Frauen auf dem Markt, Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Die christliche Gemeinde in Bagdad ist gegen Null geschrumpft, seit Islamisten sie als Ungläubige zum Abschuß freigegeben haben, der Verkauf alkoholischer Getränke ist lebensgefährlich, Frauen ohne Kopftuch sind vielerorts nur noch in Privatwohnungen zu sehen. Ba’thisten und Islamisten behaupten das Recht, jeden zu töten, den sie als »Ungläubigen« oder »zionistischen Agenten«, als »US-Imperialisten« oder »Kollaborateur« kennzeichnen, und zwar nicht weil, sondern obwohl amerikanische Truppen im Lande stehen. Dies ist auch das Problem der Koalitionstruppen, die auch im dritten Jahr nach der Befreiung eine Befriedung des Landes nicht erreichen können.

Daß diese Gewalt enden sollte, stellte die große Hoffnung dar, als Saddam Husseins Regime im Frühjahr 2003 gewaltsam beendet wurde. Bis dahin hat ein nicht unerheblicher Teil des heutigen sogenannten »Widerstands«, jene nämlich, die statt von der islamischen Apokalypse von der arabischen »Auferstehung« (Ba’th) Staat träumen, Gewalt in Form staatlicher Sanktion ausgeübt. Folter und Mord in irakischen Gefängnissen, wie dem berüchtigten Abu Ghraib, stellte die Grundlage eines Staates dar, der sich durch die Fähigkeit zur Identifikation, Kennzeichnung und Vernichtung von Feinden legitimierte. Staat und Gesellschaft befanden sich im permanenten Ausnahmezustand, umzingelt von Aggressoren, unterwandert von Agenten und im historischen Kampf gegen die Feinde der »arabischen Nation«. Es ist kein Zufall, daß noch die Säuberungswellen innerhalb der Ba’th-Partei als Enttarnung von Verrätern und Agenten inszeniert und Straftäter als Volksfeinde öffentlich gerichtet wurden. Der ba’thistische Staat war eine institutionalisierte Gewaltorgie, die seit seinem Verschwinden bemängelte Sicherheit bestand in der geordneten Zuteilung von Gewalttätigkeit durch die Konzentration auf staatlich definierte Feinde. Der Terror des sogenannten »Widerstands« ist, was davon bleibt, wenn die lenkende Organisation verschwindet.

Die Erfindung fremder Feinde - sowie die totale Mobilisierung von Massen gegen diese, wie im Iran-Irak Krieg - ist zentraler Bestandteil arabischer Herrschaft im Nahen Osten und wirkt, weit mehr als bloß ideologische Legitimation, tief in die sozialen und ökonomischen Strukturen der Gesellschaften hinein. Die Bedrohung durch fremde Feinde prägt das gesamte Verhältnis vom Bürger zum Staat, beispielsweise wenn er aus der Staatspresse erfährt, daß der Minister, dessen Namen in der Öffentlichkeit zu nennen gestern noch nur unter beigefügten Gunstbezeugungen möglich war, heute ein »Hund«, ein »Verräter« und »zionistischer Spion« ist, dessen Leichnam nicht selten dem wütenden Mob zur Rache für tägliche Demütigung übergeben wird. Wann immer aber vom »imperialistischen Feind«, von »Kreuzrittern«, »Besatzern« oder »Zionisten« die Rede ist, legt sich der Schleier der Lüge über die realen gesellschaftlichen Beziehungen, die durch Gewalt und Ausbeutung, Unfreiheit und Perspektivlosigkeit gekennzeichnet sind - in der Regel ganz ohne das feindselige Zuwirken von Fremden.

Dies abzuschaffen, indem man dem Staat seine Feinde nimmt, stellte den Kern der Befreiung dar, die alleine dadurch selbst dann noch Befreiung war, als sich schon herausstellte, daß sie weder Gewalt noch Ausbeutung kurzfristig abzuschaffen in der Lage ist. Dies erklärt die gerne als »Ethnozoo« belächelte Proporzbeteiligung der Bevölkerungsgruppen an der Übergangsregierung genauso wie zuletzt die empörten Reaktionen arabischer Staaten auf jene Passage der neuen irakischen Verfassung, derzufolge nicht der Irak, sondern lediglich »die arabische Bevölkerung [...] Teil der arabischen Nation« ist. Alleine damit wurde dem sogenannten »Widerstand« die Möglichkeit genommen, von sich als dem »irakischen Volk« zu sprechen.

Daß ausgerechnet die Staaten der arabischen Liga im November zur »Versöhnungs«(Reconciliation)-Konferenz zwischen der irakischen Regierung und den sie bekriegenden arabisch-sunnitischen Gruppen aufrief, darf vor diesem Hintergrund nicht verwundern. Das Resultat dieser Konferenz, die nicht zufällig an die südafrikanischen »Truth-and-Reconciliation« Komitees gemahnte, muß dennoch verstören. »Obwohl Widerstand ein legitimes Recht aller Völker ist, repräsentiert Terrorismus nicht den Widerstand«, heißt es in der Abschlusserklärung. »Daher verdammen wir den Terrorismus und die Gewalttaten, Morde und Entführungen gegen irakische Staatsbürger sowie humanitäre, zivile und zur Regierung gehörende Institutionen, nationale Ressourcen Gebetshäuser«. »Besatzer« und ausländische Staatsbürger, die nicht »humanitär« aktiv sind, wurden nicht zufällig ausgelassen. Um, wie es in dem Dokument heißt, eine »nationale Einigung« auch mit jenen Gruppen aus dem sunnitischen Dreieck zu erreichen, die bis dato die Gewalttaten islamischer und ba’thistischer Milizen unterstützen, gilt als »Terror« fortan nur mehr der Angriff auf irakische Zivilisten und Moscheen, während die Gewalt gegen die »Besatzer« und die damit zusammenhängende nicht-humanitäre Infrastruktur als legitim bezeichnet wird.

Damit hat die irakische Regierung nicht nur das Töten amerikanischer Soldaten, die derzeit unter anderem eben diese Regierung schützen, für legitim erklärt. Sie hat zugleich der Lüge vom »Widerstand« gegen die fremden Feinde zur Wiederkehr verholfen. Wer sonst, wenn nicht die irakische Regierung, sollte wissen, daß mit jedem ermordeten amerikanischen Soldaten die Chancen sinken, einen Staat aufzubauen, der nicht konstitutiv auf einer als »Widerstand« legitimierten Gewalt fußt. Denn wie einst der ba’thistische Staat von »fünften Kolonnen« und »Imperialisten« sprach und die irakische Bevölkerung meinte, so zielt auch die Gewalt des sogenannten »Widerstands« nicht gegen eine als ungerecht empfundene Besatzung, sondern auf die Schaffung politischer Bedingungen, unter denen Mord und Vertreibung wieder in geordneten Bahnen gegen die eigene Bevölkerung verlaufen. Taten wie das Lynchen westlicher Ingenieure, die Enthauptung von Geiseln oder das Morden amerikanischer Soldaten sind mehr als nur äußerer Ausdruck. Sie stellen den Kern eines politischen Programms dar, das seine Rechtfertigung aus einer verrückten Kausalität bezieht, derzufolge »die saftigen Früchte jenseits der Mauer« nahelegen, den Gärtner zu ermorden und den Obstgarten zu zerstören.


Leicht gekürzt erschienen in Konkret 1/ 2006


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