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Ruinen und Rauchsäulen

Die politische Stabilität ist Jordaniens bedeutendster Wirtschaftsfaktor. Ein Land zwischen Terrorismus und Tourismus.

von Thomas Schmidinger

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Hier wage ich nicht, mit jemandem zu diskutieren. Alle stehen hier auf der Seite der Terroristen im Irak«, erzählt mir Hassan, ein junger Iraker aus Basra, der seit einigen Jahren in Amman lebt. Im Starbucks in der Mecca Mall, einem der Shoppingcenter im Neubauviertel von Umm al-Summaq im Westen Ammans, klagt er über das Unverständnis, das ihm in Jordanien entgegengebracht wird. Er erklärt dies damit, dass das Land großen Profit aus dem Regime Saddam Husseins gezogen hat: »Du weißt doch, dass der ganze Ölschmuggel während der Zeit des Embargos über Jordanien lief und König Hussein schon 1991 im Kuwait-Krieg auf der Seite Saddams stand. Ganz zu schweigen von den Palästinensern hier, die alle dem alten Regime im Irak nachtrauern und allein schon deshalb mit dem Terror sympathisieren.«

So verständlich Hassans Frustration über die Stimmung in Amman ist, so neigt er doch zur Verallgemeinerung. Zwar sympathisierten die meisten Jordanier tatsächlich bis zum Ende mit dem Regime Saddam Husseins, und Amman war nicht nur eine der Hochburgen des Schmuggels aus dem Irak und in den Irak, sondern auch eines der Haupttätigkeitsfelder des irakischen Geheimdienstes im Ausland. Mit Beginn der Anschläge im Irak einige Monate nach dem Sturz des dortigen Ba’ath-Regimes galten deshalb auch die Sympathien der meisten Jordanier den jihadistischen und post-ba’athisti­schen Terrorgruppen.

Spätestens jedoch mit den Anschlägen auf zwei Hotels in Amman im November 2005 hat sich dies zumindest in der politischen und intellektuellen Elite, aber auch in großen Teilen der Bevölkerung geändert. Der Anfang Juni von US-Truppen getötete jordanische Terrorist Abu Mussab al-Zarqawi, der sich nicht nur nach seiner Heimatstadt Zarqa benannt hat, sondern auch seine Karriere als Krimineller noch vor der Bekehrung zum Islam in dieser Industriestadt nordöstlich Ammans begann, hat mit diesen Anschlägen den irakischen Terror in sein eigenes Land importiert und damit viele Sympathien verspielt.

Das jordanische Königshaus, das taktische Allianzen mit Islamisten nie grundsätzlich ausschloss, ist sich durchaus bewusst, dass die jordanische Wirtschaft auf der vergleichsweise großen Sicherheit und Stabilität des Landes beruht und vor allem von ägyptischen, palästinensischen und irakischen Arbeitsimmi­granten und vom Tourismus lebt. All dies ist nur möglich, wenn dem Land die Stabilität, die es heute besitzt, erhalten bleibt.

So isoliert, wie das Regime es der Weltöffentlichkeit gerne weismachen will, sind die Anhänger al-Zarqawis jedoch nicht. Unter einfachen Jordaniern, die mit den illustren Gesellschaften in den Hotels von West-Amman wenig zu tun haben, kann man nach dem Tod al-Zarqawis durchaus auch anerkennende Worte für den ehemaligen Anführer der al-Qaida im Irak finden. Selbst vier Parlamentarier der Islamischen Aktionsfront, einer den Muslimbrüdern nahe stehenden, angeblich gemäßigt islamistischen Partei, kondolierten der Familie des Terroristen und erklärten ihn zum Märtyrer. Die vier Abgeordneten Mohammed Abu Fares, Jaafar al-Hourani, Ali Abu Sukkar und Ibrahim al-Mashwakhi wurden daraufhin verhaftet.

Vom angeblichen Volkszorn über die parlamentarischen Freunde al-Zarqawis ist jedoch in den ärmeren Vierteln von Ost-Amman wenig zu spüren. Wäh­rend die Regierung behauptete, hunderte erzürnte Demonstranten hätten eine harte Bestrafung der Abgeordneten gefordert, war am 15.?Juni in Amman nur ein Grüppchen von vielleicht 40 Demonstranten auszumachen. In den ehemaligen Palästinenserlagern oder eben in Zarqa war hingegen der Zorn über die Verhaftung der Abgeordneten durchaus zu vernehmen.

Kronprinz Hassan Ibn Talal, der Präsident des Royal Institute for Inter-Faith Studies und Mitglied des Club of Rome, betonte hingegen als Gastgeber des »Second World Congress for Middle Eastern Studies« Mitte Juni in Amman, dass militante Islamisten keinerlei Verständnis erwarten dürften. »Fundamentalismus tötet die Freude«, sagte er bei der Eröffnung der Konferenz und forderte die »schweigende Mehrheit« der Muslime auf, endlich entschieden und lautstark gegen den Islamismus Stellung zu beziehen. Wie die anderen Organisatoren des Kongresses, an dem Sozialwissenschaftler aus 78 Staaten teilnahmen, freute er sich besonders, dass sich die rund 1?300 Teilnehmer nicht von den Anschlägen des vergangenen Herbsts davon abschrecken ließen, nach Amman zu kommen. Damit hätten sie auch ein Zeichen gesetzt.

Dass dies viele seiner Landsleute anders sehen, erwähnte der Onkel des amtierenden Königs jedoch nicht. Viele Referenten aus Jordanien erschienen erst gar nicht auf der Konferenz. Jordanische Tageszeitungen hatten vor der Tagung wegen der Teilnahme israelischer Sozialwissenschaftler eine Medienkampagne inszeniert, bei der den arabischen Teilnehmern vorgeworfen wurde, einer »Normalisierung« gegenüber Israel das Wort zu reden. Nach der Veröffentlichung von Namenslisten arabischer Teilnehmer bekamen es viele mit der Angst zu tun und sagten kurzerhand ihr Erscheinen ab.

Trotz dieser Widrigkeiten hat es Jordanien in den vergangenen Jahren verstanden, sich nicht nur im Bereich des Konferenztourismus einen Markt zu sichern. Auch Kultur- und Naturfreunde finden immer öfter ihren Weg in das Hashemitische Königreich. Dabei sind es längst nicht mehr nur die klassischen Touristen aus Europa, die in die Nabatäerstadt Petra, ans Tote Meer oder zu den römischen Ruinen von Jerash kommen. Inzwischen reisen Interessierte aus aller Welt an.

Eine junge Chinesin aus Singapur, die mit einer Reisegruppe nach Jordanien gekommen ist, etwa zeigt sich auf der Festung, der Qala von Amman, begeistert: »Es ist wirklich wunderschön hier. In Jordanien gibt es einfach alles, was ich im Nahen Osten sehen will: Wüste, Meer und Kultur!« Ihre Reisegefährten, darunter auch Muslime und Hindus aus Singapur, scheinen ähnlich begeistert zu sein und fotografieren sich abwechselnd vor den Säulen des Herkules-Tempels über der Stadt.

Die wohlhabendste Touristengruppe sind jedoch die Saudis, die im Sommer oft wochenlang im Land bleiben und dabei überwiegend luxuriöse und teure Hotels beziehen. Neben dem Libanon und Ägypten ist Jordanien in den vergangenen Jahren zum Hauptreiseziel der Saudis geworden. Alles, was zu Hause verboten ist, kann hier während des Sommers genossen werden. In Jordanien kann Alkohol legal erstanden und getrunken werden. Manches Mädchen wagt es hier sogar, Kopftuch und Schleier abzulegen. Ein Bruder oder Vater ist jedoch nie weit, um die »Ehre« der unverheirateten weiblichen Familienmitglieder zu schützen.

Ein Tourist ganz anderer Art ist Nabil. In einem Café in Amman spricht er mich an, weil er in meinem Arabisch einen ägyptischen Einschlag bemerkt hat. Er will genau wissen, wie lange ich in Ägypten war und wo ich Arabisch gelernt habe, ehe er mir seine Geschichte erzählt. Nabil kommt aus al-Minya in Mittelägypten, wo er während des Schuljahres als Arabischlehrer an einer Schule arbeitet. Die 200 ägyptischen Pfund, umgerechnet rund 400 Euro, die er dabei verdient, genügen jedoch nicht zum Leben: »Ich komme jeden Sommer nach Jordanien, um hier zu arbeiten. Hier verdiene ich als Kellner besser als in Ägypten als Lehrer.« Wenn er einmal genug gespart hat, um in Ägypten zu heiraten und ein Haus zu bauen, will er nicht mehr kommen.

Auch Mohammed ist aus Kairo nach Jordanien gekommen, um hier für die Gründung einer Familie zu sparen. Als Losverkäufer für jordanische Lotterien ist er mit diesem Vorhaben jedoch noch nicht weit gekommen. »Ich lebe seit drei Jahren hier und muss froh sein, wenn ich über die Runden komme. Sparen konnte ich noch immer nicht wirklich etwas«, erzählt er. Die große Politik interessiert ihn wenig. »Ein gutes Leben will ich«, meint er schmunzelnd und sagt damit vielleicht doch etwas sehr Politisches.

Als ich schließlich in einem Flugzeug der Royal Jordanien auf dem Rückflug nach Wien sitze und unter mir die Dörfer, Städte und Siedlungen des Westjordanlandes vorbeiziehen, spreche ich mit einer weiteren Arbeitsmigrantin. Die 24jährige Shukarm aus Indien ging nach ihrem Studium nach Amman, um hier als Stewardess zu arbeiten. Obwohl sie seit über zwei Jahren in Jordanien lebt, kann sie noch fast kein Wort Arabisch. »Meine Kolleginnen sprechen sowieso alle Englisch und ich möchte ja auch nicht für immer in Jordanien bleiben«, erläutert sie.

Eigentlich träumt sie davon, nach Europa zu kommen. Bisher bekam sie jedoch nur europäische Flughäfen zu Gesicht. Nicht einmal einige Stunden für eine Stadtbesichtigung bleiben ihr. Ihre Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung muss sie jedes Jahr erneuern lassen. Trotzdem wirkt die junge Frau nicht unzufrieden und findet offensichtlich immer wieder mal Zeit dafür, mit einem Passagier zu plaudern. Während unter uns die Maschine über die wenigen Kilometer israelisches Territorium in Richtung Mittelmeer fliegt, frage ich sie, ob sie denn etwas davon bemerkt habe, dass der Tourismus in Jordanien seit den Anschlägen im November zurückgegangen sei. Shukarm lächelt und meint, dass sie das nicht wirklich interessiere. »Aber du siehst ja selbst, dass dieses Flugzeug halb leer ist. Es war aber schon schlimmer.«

Tatsächlich haben die Bomben im vergangenen Jahr dem Tourismus in Jordanien nicht schaden können. Das Land kann seinen Ruf als Insel der Stabilität in der Region offenbar wahren. Jeder weitere Anschlag in Jordanien selbst oder weitere Eskalationen in den Palästinensergebieten mit der Gefahr des Übergreifens nach Jordanien könnten dieses Bild jedoch gefährden und damit einen der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes erneut erschüttern.


Artikel erschienen in Jungle World 27 am 05. Juli 2006


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