zurück


"Rassisten und Islamisten arbeiten sich zu"

Wissenschaftler Thomas Schmidinger über Islamismus in Österreich, "Wölfe im Schafspelz" und einem "Klima der Angst" unter Muslimen.

von Nicole Thurn

Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler, Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Mitarbeiter bei der Caritas Niederösterreich und Mitbegründer des Vereins WADI - Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit im Irak. Laut Thomas Schmidinger gibt es in Österreich islamistische Gruppierungen, die auf die hier lebenden Muslime Einfluss nehmen wollen. In diesem Zusammenhang kritisiert er die Islamische Glaubensgemeinschaft. Der Politikwissenschaftler im Interview mit KURIER ONLINE.

Sie haben Vertretern der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich vorgeworfen, Anhänger der fundamentalistischen Muslimbruderschaft zu sein. Welche Gefahr geht Ihrer Meinung nach von solch verdecktem „Engagement“ aus?

Die Anhänger der Muslimbruderschaft arbeiten als Geheimorganisation in ganz Europa in verdeckten Strukturen und mit informellen Netzwerken. Gefährlich sind diese zuallererst für andersdenkende Muslime selbst, die sich unter Druck gesetzt fühlen, sich islamisch zu kleiden und eben nach den Vorstellungen dieser Leute zu leben. Die Gefahr besteht aber auch darin, dass unter dem Deckmantel eines vermeintlich demokratischen Islam in Wirklichkeit an einer Politisierung des Islam gearbeitet wird. Wenn diese Strukturen einmal einflussreich genug sind, wird diese Strömung in Widerspruch mit einer säkularen politischen Ordnung kommen, die wir in Europa beginnend mit der Aufklärung mühsam gegen die christlichen Kirchen durchsetzen konnten.

Wie ist mit Islamismus in Österreich umzugehen? Sie sagen ja, er umgibt sich häufig mit dem Deckmantel liberalen und weltoffenen Denkens.

Das Problem in Österreich ist, dass es ein wechselseitiges Interesse daran gibt, diese politischen Strömungen nicht wahrnehmen zu wollen. Muslime werden hierzulande immer noch als monolithische (= aus einem Guss bestehende, Anm.) Bevölkerungsgruppe wahrgenommen. Die politischen Fragen reduzieren sich dann auf die Gretchenfrage, ob „der Islam“ nun eine Bedrohung „für uns“ wäre oder nicht. Die FPÖ benützt die islamistischen Strömungen für ihren Rassismus, Grüne und SPÖ arbeiten diesem mit der pauschalen Verteidigung von allem Islamischen letztlich in die Hände. Gerade aus antirassistischen Motiven heraus wäre es notwendig, Muslime als genauso vielfältig und widersprüchlich zu begreifen wie Nichtmuslime. Dann müsste man sich aber die Mühe machen, sich ihre unterschiedlichen Interessen und Positionen anzusehen. Stattdessen ist man froh über einen Ansprechpartner in Gestalt einer offiziellen Glaubensgemeinschaft, die zwar so tut, als würde sie alle Muslime vertreten, deren Führung aber lediglich von einem Prozent der österreichischen Muslime gewählt wurde. Und die primär dazu dient, sich selbst und der Öffentlichkeit zu versichern, dass alles in Ordnung wäre.

Wie kann mehr Transparenz in muslimischen Strukturen geschaffen werden? Die Politik darf und will sich ja nicht in Religionsangelegenheiten einmischen.

Selbstverständlich sollte sich die Politik nicht in theologische Fragen einer Religionsgemeinschaft einmischen, solange diese nicht den allgemeinen Menschenrechten widersprechen. Dann hat sich die Religion aber eben auch nicht in Angelegenheiten der Politik einzumischen. Aber genau das ist es, was zurzeit geschieht. Der „Integrationssprecher“ der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist zugleich Gemeinderat der Wiener SPÖ und geht vor den Wahlen in die Moscheen, um Vorzugsstimmen zu werben. Die Spitzen der Glaubensgemeinschaft rufen ständig zu Demonstrationen im Zusammenhang mit Palästina, dem Irak oder gegen die US-Regierung auf. Natürlich hat jeder das Recht zu irgendwelchen weltpolitischen Fragen zu demonstrieren, aber meines Erachtens gehört dies nicht zu den Aufgaben einer Religionsgemeinschaft. Integrationspolitik wird so zunehmend als religiöses oder kulturelles Problem wahrgenommen. Dabei werden soziale und ökonomische Fragen ebenso aus dem Blick verloren wie auch die Tatsache, dass es jede Menge nicht-islamischer Migranten aus Afrika, Indien oder Südosteuropa gibt.

Was kann gegen diese Vermischung von Politik und Religion getan werden?

Es müssen die innerislamischen Kritiker eines politisch verstandenen Islam gehört werden und nicht nur die offiziellen Vertreter. Mir gegenüber klagen säkuläre Gruppen immer wieder, dass sich niemand für sie interessiert. Wenn dann auch noch der Druck von Islamisten dazu kommt, nur ja nicht mit der Kritik an die Öffentlichkeit zu treten, verstummen diese Leute irgendwann. Ein ORF-Radiojournalist hat vor Kurzem berichtet, dass ihm eine ganze Reihe von Gesprächspartnern aus Angst untersagt hatte, sie zu zitieren. Hier ist ein Klima der Angst entstanden, das nur aufgebrochen werden kann, wenn die Öffentlichkeit klare Signale der Solidarität an säkulare Muslime sendet.

Befördert der Ausgangspunkt, dass Islamisten sich nach außen hin gemäßigt geben, nicht gerade rassistische Denkweisen?

Nein, denn es sind gerade auch säkulare Muslime, die gegen diese „Wölfe im Schafspelz“ protestieren. Man muss ihnen nur zuhören. In Wirklichkeit arbeiten sich Rassisten und Islamisten gegenseitig unbewusst zu. Der Islamismus dient den Rassisten zum Schüren irrationaler Ängste. Umgekehrt dient der Rassismus den Islamisten dazu, jede Kritik an ihnen als „islamophob“ zu brandmarken und damit zu delegitimieren.

Die gängige Meinung ist – auch laut Integrationsstudie 2006 – dass viele Muslime sich aufgrund ihrer Kultur und Religion gar nicht integrieren wollen. Je fundamentalistischer, desto weniger bereit zur Integration?

So eins zu eins würde ich das nicht übersetzen. Die Frage ist was hier unter Integration verstanden wird. Viele Islamisten sprechen ausgezeichnet Deutsch oder sind eben selbst als Europäer erst zum Islam konvertiert. Islamisten vertreten ein politisches Konzept und sind somit - wie andere autoritäre Bewegungen - ein politisches Problem. Die Frage der Integration hängt eher mit ökonomischen, politischen und sozialen Voraussetzungen zusammen als mit subjektiver „Integrationsbereitschaft“. Hier muss sich die österreichische Gesellschaft genauso fragen wie „integrationswillig“ sie ist. Wie viele haben schon im persönlichen Bekanntenkreis Freunde mit Migrationshintergrund? Da gibt es doch auch eine „Parallelgesellschaft“ der „echten Österreicher“, die in Wirklichkeit niemanden „integrieren“ will. Andererseits fallen uns die meisten Muslime, die über eine gelungene Integrationsgeschichte verfügen, heute ja gar nicht mehr auf. Sie sprechen perfekt Deutsch und sind gebildet. Ich bemerke das auch bei meinen muslimischen Studenten und besonders Studentinnen. Die werden hier einmal selbst in die intellektuelle Debatte um Integration und politischen Islam eingreifen. An der Öffentlichkeit wird es dann liegen, ihnen auch zuzuhören.


Artikel erschienen im Kurier vom 29.05.2007


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: