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"Rache gibt es nicht"

Interview mit dem Vorsitzenden Richter des irakischen Sondertribunals gegen Saddam Hussein, Rizgar Mohammad Amin

Frage: Sehr geehrter Herr Rizgar Mohammad Amin, wie und warum wurden Sie als Vorsitzender für das Tribunal gegen Saddam Hussein und seine Mitangeklagten ausgewählt?

A.: Das irakische Justizministerium und die kurdischen Regionalregierung haben mich ernannt. Ich war bis dahin Vorsitzender Richter in einem Strafgericht in Suleymaniah. Warum man ausgerechnet mich für dieses Amt ausgewählt hat, kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich die genauen Gründe nicht kenne.

Fr.: Wie lange hatten Sie Zeit, sich auf dieses Verfahren vorzubereiten

A: Etwas mehr als ein Jahr, damals ist man an mich herangetreten und hat mir diese Aufgabe übertragen. Als Richter bin ich eigentlich immer auf ein Verfahren vorbereitet, das ist schließlich mein Beruf. Ich musste, wie alle anderen auch, einige neue Gesetze, die für dieses Verfahren verabschiedet worden sind, studieren, um mich vorzubereiten.

Fr: Sie sprechen es an. Um dieses Verfahren zu ermöglichen, mussten eigens neue Gesetze geschrieben und verabschiedet werden, da das alte irakische Recht viele der Anklagepunkte, wie Völkermord oder „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gar nicht kennt. Wie schätzen Sie diese neuen Gesetze ein?

A: Es gab zwei Änderungen aus den Jahren 2003 und 2005, die entweder von dem damaligen Regierungsrat und vor kurzem vom gewählten irakischen Parlament verabschiedet, also in nationales irakisches Recht verwandelt worden sind. Diese Änderungen sind sehr eng an das internationale Recht angelehnt und entsprechen den Gesetzen des Internationalen Strafgerichtshofes in Rom.

Fr.: Der Prozess gegen Saddam Hussein steht ohne Vergleich zumindest im Nahen Osten dar. An welchen anderen Verfahren orientieren Sie sich, am Tribunal gegen Slobodan Milosevic Verfahren, dem Ruanda Tribunal oder sogar den Nürnberger Prozessen?

A: Die Gesetze, die für das Verfahren gegen Saddam Hussein verändert wurden, entsprechen dem Internationalen Recht, das auch im Verfahren gegen Milosovic Verfahren und in Ruanda Anwendung findet. Auch die Verfahrensweise selbst ist sehr ähnlich. Zusätzlich findet hier natürlich das irakische Recht Anwendung, auch wenn das internationale Strafrecht vor allem in Bezug auf seine Rechtsprechung in Zusammenhang mit Völkermord berücksichtigt wird. Zudem profitieren wir von dem in Rom ansässigen Internationalen Strafgerichtshof und seinen Gesetzen.

Fr: Nun besteht der große Unterschied aber darin, dass Slobodan Milosovic außerhalb Jugoslawiens vor einem Internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen wird, Saddam Hussein aber vor einem nationalen Gericht im Irak angeklagt wird.

A: Ich spreche hier nur von den Gesetzen und der Verfahrensweise, die sich sehr ähnlich sind, nicht von den politischen Implikationen. Ich bin Richter kein Politiker.

Fr.: Nun hat es an den vorgenommenen Gesetzesänderungen ja international einige Kritik gegeben. Human Rights Watch etwa bemängelt, dass es keine höhere Berufungsinstanz bei diesem Verfahren gäbe.

A: Dieser Kritikpunkte ist nicht richtig. Alle Angeklagten haben das Recht nach der Urteilsverkündung beim Obersten Gericht des Irak Berufung einzulegen.

Fr: Amnesty International kritisiert, dass das Gericht die Todesstrafe verhängen kann.

A: Diesen Punkt kann und will ich als Richter nicht kommentieren, auch wenn ich meine persönliche Meinung dazu habe

Fr: Es wurde außerdem bemängelt, dass unter den herrschenden Sicherheitsbedingungen im Irak kein faires Gerichtsverfahren abgehalten werden könne und außerdem den Angeklagten und ihren Verteidigern nicht genügend Vorbereitungszeit gelassen worden ist.

A: Ich denke, alle Seiten, Angeklagte ebenso wie Ankläger sollen und müssen alle Möglichkeit haben, sich unter den besten Bedingungen auf ein solches Verfahren vorzubereiten. Ein Gerichtsverfahren sollte unter normalen Bedingungen stattfinden, nur ist Situation im Irak dieser Tage leider nicht normal.

Fr: Wäre es deshalb nicht besser gewesen das Verfahren zu vertagen, bis sich die allgemeine Lage beruhigt? Vor kurzem erst sind zwei Anwälte der Angeklagten auf offener Strasse erschossen worden.

A: Bis jetzt erlaubt, trotz aller Schwierigkeiten, die Situation eine geregelte und faire Fortführung des Verfahrens. Auch wenn die Bedingungen schwierig sind. Auch ich habe schon daran gedacht, ob man das Gericht nicht etwa in die kurdischen Gebiete verlegen sollte, wo die Lage ruhiger ist und mehr Sicherheit gewährleistet wäre.

Fr: Dann aber würden doch viele arabischen Medien sofort erklären, hier säßen Kurden über Saddam Hussein zu Gericht und übten Rache für das was ihnen in der Vergangenheit angetan wurde.

A: Wir sind ein Gericht und entscheiden den Gesetzen entsprechend. Es gibt für uns so etwas wie Rache nicht. Politisch mag es da andere Überlegungen im Irak und im Ausland geben, aber ich bin ein Richter und halte mich an die Vorgaben des Rechts und frage mich, was zur Ausübung meines Amtes das Beste ist.

Fr: Aber der Prozess selbst ist doch ein Politikum und wir politisch bewertet. So las ich kürzlich die Schlagzeile „Kurde urteilt über Saddam“ und es gab Diskussionen, warum das Gericht zuerst ein Massaker an Schiiten in Dujail verhandelt und nicht den Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabja.

A: Ich bin mit diesem Vorwurf nicht konfrontiert worden. Und Zeitungen können schreiben, was sie wollen, sie haben mich jedenfalls vorher nicht interviewt.
Außerdem sind wir fünf Richter vier Araber und ich. Und wir wählen schließlich nicht aus, welche Anklagepunkte wir in welcher Reihenfolge verhandeln. Der Fall Dujail wurde uns vom zuständigen Untersuchungsgericht zugestellt. Die emotionale Haltung der Menschen im Irak und ihre Diskussionen über dieses Gericht kenne und verfolge ich. Sie sollten und dürfen uns aber in unserer Arbeit nicht beeinflussen.

Fr.: Bislang weigern sich Saddam Hussein und die anderen Angeklagten dieses Gericht anzuerkennen und mit Ihnen zu kooperieren. Sie sagen, dieses Gericht sei von den USA eingesetzt und illegitim. Erschwert das nicht das Verfahren in einem extremen Ausmaß?

A: Ich glaube am ersten Verhandlungstag deutlich gemacht zu haben, welchen Umgang ich für den richtigen mit den Angeklagten halte. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Fr.: Aber wie wird sich Ihrer Ansicht nach das Verhalten der Angeklagten auf den Fortgang des Verfahrens auswirken?

A: Das kann ich Ihnen nicht beantworten, die nächsten Sitzungen werden dies zeigen.

Fr: Welche Auswirkungen erhoffen Sie sich von diesem Verfahren für die Zukunft des Irak?

A: Ich hoffe, dass dieses Verfahren dazu beiträgt die irakische Justiz weiter zu demokratisieren und allen Irakern zu verdeutlichen, dass beide Seiten, Angeklagte wie Anklage die im heutigen Irak die gleichen Rechte haben und das Gesetz für alle gleich gilt und Richter neutral gegenüber allen Seiten sind. Und ich hoffe, dass im Irak alle Gerichte nach diesen Prinzipien verfahren werden, weil alle Angeklagten wissen sollen, dass vor Gericht ihre Rechte gewahrt werden und das Gesetz auch für sie in vollem Umfang gilt.

Fr: Welche Folgen, glauben Sie, wird dieses Verfahren in den anderen arabischen Ländern haben, in denen es ja nirgends so etwas wie rechtsstaatliche Prinzipien gibt?

A: Ich hoffe uns gelingt es ein Beispiel zu sein für den Grundsatz, dass Gerichte unabhängig sind von den anderen Institutionen der Regierung und nicht deren Willen erfüllen. Und ich wünsche mir, dass die Idee der Gewaltenteilung sich ausbreitet und eines Tages wirklich alle Menschen in der Region als Gleiche vor dem Gesetz behandelt werden.

Fr: Fürchten Sie nicht um Ihre Sicherheit, seitdem dieses Verfahren sie so bekannt gemacht hat? Es ist allgemein bekannt, dass sie sehr wenige Sicherheitsvorkehrungen für sich treffen?

A: Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten

Herr Rizgar Mohammad Amin, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch

 

Die Fragen stellte Thomas von der Osten-Sacken

Das Interview ist gekürzt erschienen in: Focus Nr. 48 vom 28. November 2005


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