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Punktesieg für Terroristen

Der Krieg gegen den Terror ist noch nicht zu Ende, die erste Runde geht aber an die Terroristen

von Thomas Schmidinger

Nicht, dass diese vor der Gründung eines Kalifats mit Bin Laden oder Zarqawi als Kalifen stünden, dazu sind al-Qaida und Konsorten schon aufgrund ihrer inneren Strukturen nicht in der Lage.

Vielmehr gelang es ihnen jedoch, den »War on Terror« in die Länge zu ziehen und ihre GegnerInnen, die zu Beginn dieses Krieges noch so etwas wie bürgerliche Staatlichkeit und Demokratie repräsentierten, in einen Kleinkrieg zu verwickeln, der auch auf deren Seiten zunehmend zu einer Barbarisierung der Kriegsführung und zu einer Erosion rechtsstaatlicher Strukturen führt. Je länger dieser »War on Terror« dauert, desto drängender wirft sich die Frage auf, was dieser mit den Akteuren macht, die diesen Terror bekämpfen. Die Gefahr, die jeder noch so revolutionären Guerilla bei einem lange andauernden Guerillakrieg droht, nämlich sich zunehmend zu einer Bande von Warlords zu entwickeln, die sich immer mehr ihrem korrupten staatlichen Gegner angleichen, besteht nämlich umgekehrt auch für den Staat, der eine Bande von Warlords bekämpft. Damit soll ebenso wenig einer (links-) populistischen »Logik« eines »Bush = Bin Laden« das Wort geredet werden, noch einer im gegenwärtigen Irak zunehmend verbreiteten Gleichung, wonach die derzeitige Situation auch nicht besser wäre als unter Saddam. In meinen Überlegungen spielen konkrete Personen, die in dem ganzen Spiel ohnehin nur als Charaktermasken mitspielen, kaum eine Rolle. Es geht mir nicht um die Mitspieler, sondern um die Spielregeln des Spiels. Diese sind es nämlich, die sämtliche Spieler sich zunehmend ähnlicher machen und auch jene mit ins Verderben reißen, deren Sieg sich jeder halbwegs bei Trost befindliche Beobachter zu Beginn des »Spiels« wünschte.
Tatsächlich fällt über vier Jahre nach Beginn des »War on Terror« eine Zwischenbilanz keineswegs positiv aus. Nicht nur in den USA selbst werden seit dem Erlass des »Homeland Security Act« 2002 systematisch Bürgerrechte einer imaginären »Sicherheit« geopfert, die vermutlich bestenfalls im nachhinein eine leichtere Identifizierung von Attentätern ermöglicht, aber keine Selbstmordattentate wie den 11. September wird verhindern können. Auch in Europa werden die blutigen Anschläge in Madrid und London genutzt, um den Ausbau des Überwachungsstaates und eine repressivere Immigrationspolitik zu rechtfertigen. Die Sinnlosigkeit dieser Politik zeigt etwa der massive Ausbau von Videoüberwachung in Großbritannien nach dem 11. September 2001. Zwar können damit vorbeifahrende Autos mit ihren Nummern oder der Weg von FußgängerInnen durch die Stadt London nachvollzogen werden. Einen Anschlag konnte aber auch die Rekonstruktion der letzten Wege der Londoner U-Bahn-Attentäter nicht verhindern. Erst als es bereits zu spät war, wusste man mehr über die Attentäter. Versuche, bereits nach dem 11. September 2001 die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) partiell außer Kraft zu setzen, waren im Dezember 2004 lediglich an einem Einspruch des Rechtsausschusses des Oberhauses gescheitert, der die Inhaftierung von terrorverdächtigen Ausländern auf unbestimmte Zeit ohne förmliche Anschuldigung oder Gerichtsverfahren mit der EMRK für unvereinbar erklärte. Daraufhin kündigte die britische Regierung Alternativen, wie den Rückgriff auf sogenannte »Control Orders« an. Diese stellen eine umfassende Einschränkung der Aktivitäten und Bewegungsfreiheit von Personen dar, denen Taten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten vorgeworfen werden.
Schließlich nutzt die britische Labour-Regierung die Terroranschläge vom 7. Juli 2005, um die Vollmachten zu erweitern, die dem Innenminister aufgrund des Einwanderungsgesetzes von 1971 zustehen. Mittlerweile dürfen nicht nur Mitglieder und UnterstützerInnen terroristischer Gruppen abgeschoben werden, sondern auch jeder, der den Terrorismus »verherrlicht« oder »rechtfertigt«. Wie groß die Panik ist, zeigte bereits die Erschießung von Jean Charles de Menezes am 22. Juli 2005, einem einfachen Immigranten aus Südamerika, der für einen Terroristen gehalten wurde und von britischen Sicherheitskräften präventiv erschossen wurde.
Aber nicht nur an der innenpolitischen Front führt der »War on Terror« zu einer zunehmenden Verrohung. Auch außenpolitisch blieb dem demokratischen Westen bislang der große Erfolg versagt. Zwar gibt es mit dem Sturz der salafitisch-jihadistisch orientierten Taliban in Afghanistan und dem baathististischen Regime im Irak partielle Erfolge beim Ausbau der Presse- und Meinungsfreiheit in Afghanistan und im Irak. Die Erfolge in der Demokratisierung beider Staaten blieben bisher aber in den Kinderschuhen stecken.
Wie prekär die dabei gewonnenen Freiheiten sind, zeigt die jüngste Entwicklung in Irakisch-Kurdistan. Ausgerechnet hier fanden in den letzten Monaten eine Reihe von Verhaftungen kritischer JournalistInnen statt. Am 2. Mai 2006 wurden die beiden Chefredakteure der größten parteiunabhängigen Wochenzeitungen Irakisch-Kurdistans zu je sechs Monaten Haft verurteilt.
Seit 2003 ist der Irak zum Hauptschlachtfeld des »Kriegs gegen den Terror« geworden. Noch immer sind 133.000 US-Soldaten in dem Land stationiert. Rund 2.300 von ihnen ließen seit Kriegsbeginn ihr Leben. Täglich werden in Bagdad und im Zentralirak irakische ZivilistInnen zu Opfern jihadistischer und postbaathistischer Terrorgruppen. Zwar beherrschen einzelne Regierungsparteien mit ihren Milizen den kurdischen Norden und den schiitisch dominierten Süden des Irak, allerdings ist der Aufbaus gesamtstaatlicher Strukturen ebenso unbefriedigend vorangeschritten, wie die Gewährleistung einer minimalen Sicherheit für die Bevölkerung.
Angesichts des alltäglichen Terrors gegen ZivilistInnen ist es wenig verwunderlich, dass sich im Irak mittlerweile zunehmend eine Stimmung gegen Terroristen breit macht, die keine Rücksicht mehr auf »Menschenrechte« oder andere Beschränkungen des Antiterrorkampfes nimmt. Wer im Irak den starken Mann gegen den Terror mimt, kann damit Wahlen gewinnen. Konstruktive politische und religiöse Integrationsfiguren wie Präsident Talabani oder der höchste schiitische Geistliche Ayatullah Sistani bemühen sich sichtlich, ihre Anhängerschaft von Racheaktionen abzuhalten. Dass dies zunehmend schwerer wird, zeigte sich zuletzt nach dem Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra, im Februar 2006, als es erstmals zu öffentlichen Rachakten von Anhängern des fanatischen schiitischen Predigers Muqtada al-Sadrs kam, dieser selbst aber letztlich ebenso wie die Führer der anderen schiitischen Parteien zur Ruhe aufrief.

Letztlich führten die Folterbilder aus Abu Ghraib zu mehr Aufregung in Europa und den USA selbst, als im Irak. Im April 2004 waren die Fotos von misshandelten und sexuell gedemütigten Häftlingen über den amerikanischen Fernsehsender CBS an die Öffentlichkeit gelangt. Auf den Bildern waren nackte Gefangene zu sehen, die zu einer Pyramide aufgetürmt oder wie Hunde an der Leine geführt wurden oder unter einer Kapuze Scheinhinrichtungen über sich ergehen lassen mussten. Im Irak steht Abu Ghraib immer noch für das berüchtigtste Foltergefängnis Saddam Husseins, in dem zehntausende IrakerInnen gefoltert und ermordet wurden. Erst vor wenigen Wochen erzählte mir ein irakischer Künstler, der mehrere Jahre lang in Abu Ghraib gefoltert worden war und der heute noch unter Alpträumen leidet, die er mit Pinsel und Spachtel auf Leinen festhält, wie sehr es ihn schmerzt, dass die Erinnerung an die Leiden der Gefangenen des Baath-Regimes in Abu Ghraib durch die Weltöffentlichkeit an die folgenden Folterungen durch die Besatzer ersetzt worden waren. Neben der Tatsache der Tortur für die Gefangenen der US-Truppen selbst, liegt gerade darin die zweite Tragik der erneuten Folterungen: Sie löschen auch die Erinnerung an die zuvor dort Gefolterten aus.
Aber nicht nur die Besatzungstruppen stellten diese Ernsthaftigkeit in Frage. Der zentrale Erfolg des Terrors im Irak ist die Verhinderung des Aufbaus funktionierender staatlicher Strukturen. Selbst die von den Regierungsparteien gehaltenen Territorien werden eben nicht von einer gesamtstaatlichen Struktur, von einem funktionierenden Rechtsstaat verwaltet, sondern von Parteien und ihren Milizen. Diese wurden zwar formal in staatliche Strukturen integriert, de facto beherrschen aber immer noch kurdische und schiitische Milizen das Straßenbild im Nord- und Südirak, deren Loyalität stärker gegenüber der jeweiligen Partei und schwächer gegenüber der irakischen Staatlichkeit ausgeprägt sind. Jede irakische Partei verfügt über eigene Milizionäre, die nicht nur das Sicherheitsvakuum des Staates ausfüllen, sondern auch die jeweils eigene politische Position mit der faktischen Macht der Gewehre durchsetzen. Sicherheit wird dabei teilweise teuer erkauft, etwa mit der Einhaltung islamischer Kleidungsvorschriften durch Frauen in von schiitischen Milizen kontrollierten Gebieten.
Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass diese Milizen in ihrer privat organisierten Sicherheit auch in Racheakte und illegale Exekutionen verwickelt sind. Insbesondere Spezialeinheiten des Innenministeriums, die sich aus ehemaligen schiitisch-islamistischen Milizen gebildet haben, werden massive Menschenrechtsverletzungen gegen (vermeintliche) sunnitische Aufständische vorgeworfen. General Raschid Flajih ist Kommandeur der Truppen des von den Schiiten geführten Innenministeriums. Diese agieren nach seinen eigenen Angaben unabhängig von der irakischen Armee. Die Existenz geheim operierender Spezialeinheiten wird von ihm nicht bestritten. Er bezeichnet sie euphemistisch als »Field Intelligence Units«, als »Geheimdienstmitarbeiter im Außeneinsatz«. Wie weit der noch amtierende Innenminister Bajan Bakr Solagh vom schiitisch dominierten »Hohen Rat der islamischen Revolution« (SCIRI) dabei seine eigenen Leute noch unter Kontrolle hat, ist Gegenstand heftiger Polemik und Auseinandersetzungen zwischen SCIRI-Politikern und US-Sicherheitskräften. Während die USA den Truppen des Innenministeriums schwere Menschenrechtsverletzungen vorwirft, werfen schiitisch-islamistische Politiker den US-Besatzungstruppen vor, mit sunnitischen Terroristen zusammenzuarbeiten und mit der Kritik am Innenministerium nur vor der eigenen Unfähigkeit bei der Terrorbekämpfung und vor eigenen Menschenrechtsverletzungen ablenken zu wollen. Irakische Politiker verschiedener Parteien warfen in der Vergangenheit den Besatzungstruppen zudem vor, gefangene Terroristen einfach wieder laufen gelassen zu haben.
Im irakischen Fernsehen sind hingegen seit langem gefangene Terroristen zu bewundern, die irakischen Sicherheitskräften in die Hände gefallen sind. Ausschnitte aus ihren Verhören werden allabendlich dem Publikum vorgeführt. Eingeschüchterte Gefangene, denen manchmal noch die blauen Augen anzusehen sind, die ihnen bei diesen Verhören geschlagen wurden, berichten von geplanten Selbstmordattentaten, Enthauptungen, entführten, vergewaltigten und in Einzelteile zerhackten Frauen und anderen sadistischen Einzelheiten. Wer wundert sich angesichts dieser Bilder über die wachsende Wut gegen die Terroristen, die sich eben nicht immer zielgerichtet gegen reale Terroristen richtet, sondern auch gegen vermeintliche.
Längst sind es eben nicht nur kleine terroristische Gruppen, die sich im sunnitischen Dreieck zwischen Bagdad und Mossul bewaffnet haben, sondern auch größer werdende Teile der Bevölkerung, die sich für einen Bürgerkrieg rüsten, der sich zunehmend entlang ethnisierter und religiöser Linien formiert.
Damit ist der Irak nicht nur ein Schlachtfeld für einen internationalen »War on Terror« geworden. So gerne IrakerInnen immer wieder auf die ausländischen Kämpfer verweisen und so sehr gerade die Drahtzieher der blutigsten Attentate gegen SchiitInnen von nichtirakischen Jihadisten aus dem Umfeld der al-Qaida geplant worden sind, so sehr ist der Konflikt auch ein innerirakischer Konflikt. Von insgesamt 14.000 durch irakische Sicherheitskräfte und Besatzungstruppen inhaftierten Kämpfern waren laut einer Studie des US-amerikanischen »Center for Strategic and International Studies« lediglich 600 ausländische Jihadisten. Lediglich fünf Prozent der Anschläge wären demnach von diesen nichtirakischen Freiwilligen verübt worden, über 90 Prozent von sunnitischen irakischen Arabern. (1)
Dass die Bekämpfung dieses Terrors von Seiten schiitischer und kurdischer Iraker durch die Abwesenheit eines funktionierenden Staates zunehmend selbst in die Hand genommen wird, ist ebenso wenig verwunderlich, wie die Übernahme von staatlichen Aufgaben durch Parteien und ihre Milizen. Kompetenzen und Handlungen, die für einen Staat legitim sind, können jedoch im Falle ihrer Privatisierung langfristig zur Etablierung krimineller Strukturen eines Bandenwesens führen. Was für einen Staat die legitime Erhebung von Steuern darstellt, ist in seiner privatisierten Variante die Schutzgelderpressung, was für einen Staat die Entlohnung seiner Beamten, ist für den Milizionär und seine Parteifunktionäre die Korruption, was für den Staat das staatliche Gewaltmonopol mit seinen bewaffneten Organen von Polizei und Armee bildet, wird im Falle seiner Privatisierung der Warlord und die bewaffnete Räuberbande. Dies ist keine Besonderheit des Irak, sondern eine allgemeine Charakteristik schwacher bzw. privatisierter Staaten.
So analysiert etwa auch Norbert Mappes-Niediek für Südosteuropa: »Was von einem Staat unternommen wird, unterliegt einer anderen Beurteilung als das, was Privatleute oder nicht souveräne Territorialverbände unternehmen. Die Unterscheidung ist überall da sinnvoll, wo der Staat das allgemeine Interesse repräsentiert. Wo das nicht der Fall ist und nie war, in Ländern wie Albanien oder Mazedonien, ist der Unterschied für Privatleute und Vertreter partikularer Interessen bloß ein Anreiz, sich des Staates möglichst rasch zu bemächtigen und seine Souveränität möglichst lange zu erhalten.« (2) Herrschaft wird so rasch auf ihre ureigenste Form des Rackets reduziert. Selbst ohne den offenen Terror und die Herrschaft privatisierter Gewalt, zu der sich im Falle des Irak neben irakischen Milizen auch noch private Söldnerfirmen gesellen, zeigt eine solche von den Fesseln staatlicher Strukturen entfesselte Herrschaft, den archaischen Typus unmittelbarer privatisierter Gewalt, die offensichtlich nicht nur archaisch, sondern auch neoliberal ist. Zum privaten Unternehmertum gehört eben auch das private Gewaltunternehmen. In diesem Sinne sind Unternehmen wie die /Global Risk/ International oder /DynCorp/ im selben Geschäftszweig aktiv wie al-Qaida, Gaish Ansar al-Sunna oder al-Gaish al-Islami fil-Iraq. Wie private Sicherheitsfirmen das Geschäft der Gewalt verstehen, verstehen Terrororganisationen das private Unternehmertum. Längst finanzieren sich auch und gerade die radikalsten Jihadisten durch ein internationales Netzwerk »islamischer Banken«, wurde der 11. September 2001 nicht nur medial, sondern auch geschäftlich genutzt. Denn anders als mit Insiderhandel, lassen sich eine Reihe von Aktientransaktionen unmittelbar vor dem Anschlag auf das World Trade Center nicht erklären. Bin Ladens al-Qaida ist jedoch nicht nur aufgrund ihrer engen Verknüpfung von Terror und Geschäft eine neue Form des Terrorismus, sondern v.a. weil er Terrorismus als globales Franchising-Unternehmen betreibt an dem Interessierte sich jederzeit beteiligen können und das tatsächlich eher wie ein multinationaler Konzern und nicht wie eine klandestine Kaderorganisation funktioniert. (3)

Aber nicht nur in ihren Geschäftsideen werden sich Terroristenjäger und Terroristen zunehmend ähnlicher. Am deutlichsten wird die fatale Annäherung in den Methoden des militärischen Kampfes. Selbstverständlich wird im »War on Terror« von Seiten der US-Regierung oder ihrer Verbündeter nicht auf Selbstmordattentate oder ähnliche Formen des Massakers gegen ZivilistInnen zurückgegriffen, wie auf Seiten al-Qaidas, bei der immerhin neben der Geschäftstätigkeit auch noch eine entsprechende Ideologie als Motivationsinstrument vorhanden ist. Diese Ideologie, der fanatisierte Hass auf »den Feind« ist der Hauptunterschied zwischen beiden konkurrierenden Unternehmenskonglomeraten. Allerdings ist mit der Aussetzung gewisser Standards des Kriegsvölkerrechts in Guantanamo oder in der Anwendung von Folter in irakischen Gefängnissen ebenso ein Schritt in die falsche Richtung gesetzt, wie im bereits erwähnten exzessiven Ausbau des Überwachungsstaates. Der liberale Rechtsstaat ist hier nicht nur gegen terroristische Feinde von außen zu verteidigen, sondern auch gegen sich selbst, gegen seine Selbstabschaffung durch die Etablierung eines Sicherheitsregimes nach innen.
In diesem Punkt zeigt uns gegenwärtig der Irak im Kleinen auf, wohin die Reise im Großen geht. Im Tausch gegen Sicherheit gestatten es immer mehr Iraker, die eben gewonnene Freiheit wieder zurückzunehmen. Wenn in einer Stadt im Süden des Irak das Alkoholverbot und die Kleiderordnung der den Straßenzug beherrschenden Miliz Muqtada al-Sadrs im Tausch gegen ein gewisses Maß an Sicherheit hingenommen wird, unterscheidet sich dies im Kleinen nicht von der Akzeptanz für die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und den Ausbau des Überwachungsstaates in Europa oder den USA. In beiden Fällen stehen am Ende nicht die Freiheiten der bürgerlichen Demokratie, sondern die nackte Terrorherrschaft des Gewaltunternehmens. Der Verlierer ist dabei das bürgerliche Subjekt, der Citoyen, der erst auf Basis der Aufklärung über diese hinaus in Richtung einer allgemeinen Emanzipation denken kann.
Auf diesem Wege hat der Terrorismus im »War on Terror« einen Punktesieg errungen. Soll er diesen in der Schlussrunde nicht gewinnen, gilt es, sich weder kritiklos in die Reihen der TerrorbekämpferInnen einzureihen, noch auf inhaltsleere Äquidistanz zu begeben. Vielmehr müsste gerade eine radikale Linke wieder eine eigene Position der Verteidigung bürgerlicher Demokratie finden, die diese auch vor sich selbst verteidigt, um über diese hinauszudenken. Gerade weil der jihadistische Terrorismus heute scheinbar als einzige Fundamentalopposition zu Staat und Kapital übrig geblieben ist ? und diese dabei doch nur affirmiert ? scheinen diese falschen Gegensätze so stark wie nie zuvor. Der jihadistische Islamismus richtet sich als autoritäre Rebellion genauso wenig gegen Staat und Kapital, wie der historische Faschismus oder Nationalsozialismus. Allerdings gelingt es ihm mit seinem Verbalradikalismus und Gewaltfetischisierung bei diffus Unzufriedenen den Eindruck zu erwecken, eine radikale Alternative zu sein, also scheinbar gegen Staat und Kapital aufzutreten. Soll jenseits dessen eine Handlungsfähigkeit bewahrt ? oder besser wieder gewonnen ? werden, müssen die Spielregeln und nicht nur die Spieler kritisiert werden.

Fußnoten:

(1) Center for Strategic and International Studies, The Iraqi Insurgency and the Risk of Civil War: Who are the Players?, 1. März 2006, 60, http://www.mafhoum.com/press9/272P6.pdf.

(2) Norbert Mappes-Niediek, Balkan-Mafia. Staaten in der Hand des Verbrechens? Eine Gefahr für Europa, Berlin 2003, 155f.

(3) Vgl. Peter Bergen, Holy War Inc.. Inside the Secret World of Osama bin Laden, New York 2001.

Thomas Schmidinger
Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft in Wien und Mitarbeiter von WADI.


Artikel erschienen in Phase 2 [Nummer:20/2006]


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