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"Schweigen zu Polygamie ist Gewalt gegen Frauen"

Ein Demonstrationsbericht

21. November 2008, von Thomas von der Osten-Sacken

Oft schon wurde ich gefragt, woher eigentlich jener Optimismus komme, den ich an den Tag legen würde, wenn es um die Zukunft des Nahen Osten gehe. Und dann versuche ich von Ereignissen, Diskussionen und Entwicklungen zu berichten, die in Europa mehr oder weniger unbemerkt stattfinden und doch zeigen, was hier möglich ist, wenn minimale Freiräume entstehen und Menschen nicht von Regierungen einerseits und Religiösen andererseits behindert, unterdrückt oder instrumentalisiert werden.

So geschehen wieder dieser Tage. Bevor ich aber berichten kann, wie es heute auf einer Spontandemonstration gegen Polygamie in Suleymaniah kam, muss die Vorgeschichte erläutert werden.

Seit Jahren steht in Kurdistan eine Reform des“ Personal Status Law“ an, also jener Gesetze, die so etwas wie unser Familienstandsrecht sind. Das alte Recht stammt aus den späten 50er Jahren und ist seitdem, vor allem von Saddam Hussein immer wieder geändert worden. Unter Saddam war Polygamie erlaubt, Ertötungen wurden nicht geahndet und trotz des panarabischen Anstriches der Diktatur waren Frauen rechtlich weit schlechter gestellt als Männer.

Seit Jahren nun kämpfen Frauenorganisationen, Linke und verschiedene andere Gruppen für eine Reform dieses Gesetzes. Unter anderem soll das Scheidungsrecht modernisiert, Ehrtötungen unter Strafe gestellt, Zwangsheiraten verboten werden und Genitalverstümmelung als Straftatstand gelten.

Als der Gesetzestext jetzt vor das Parlament kam stellte sich die Frage, wie die kurdische Region es künftig mit der Polygamie halten soll, als ein Punkt dar, an dem die Geister sich wahrhaft schieden. Während der größte Teil der Patriotischen Union Kurdistans und die Kommunisten für die Totalabschaffung der Polygamie votierten, unterstützen Kurdische Demokratische Partei, Islamisten und Sozialisten eine modifizierte Form der Vielweiberei.

Auf diese Position angesprochen erklärte der Premierminister Kurdistans, Narchewan Barzani, er dulde in Kurdistan keine Gesetze, die der Scharia widersprächen. Danach ging ein Aufschrei durch die unabhängigen Medien.

Nun kommt der 25.11, der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen, den die Regierung sozusagen als großen Feiertag zu begehen plant. Hierfür sind kurdischen NGOs Gelder in Aussicht gestellt und verschiedene Ausstellungen, Konferenzen und Seminare sollen stattfinden.

Auf einer größeren Versammlung von 50 lokalen NGOs, die erst vor kurzem eine Petition gegen Polygamie an das kurdische Parlament geschickt hatten, kam nun vergangene Woche die Frage auf, ob man unter solchen Umständen mit der Regierung gemeinsam dem 25. November begehen sollte.

Anfangs war es einer, der zum Boykott aufrief, doch in den folgenden Tagen schlossen sich sukzessive 12 andere Organisationen und eine Fülle von Einzelpersonen an; es entstand eine Art Boykottkomitee, das unter dem Slogan „Silence against Polygamie is Violence against Women“ eine Erklärung verfasste, in der es die Gründe für seinen Boykott bekannt gab. Wenn in der Türkei und damit auch bei den türkischen Kurden die Polygamie 1926 abgeschafft wurde und in Tunesien 1964, dann müsse dies auch in Kurdistan und dem Irak möglich sein. (Nur zur Information: in allen anderen muslimischen Ländern ist die Polygamie legal)

Gestern veröffentlichte die in Suleymaniah erscheinende unabhängige Zeitung Hawalati die Erklärung auf der ersten Seite und, wie mir einer unserer Mitarbeiter erklärt, sie und die andere freie Zeitung Awena hätten sich insofern dem Boykott angeschlossen, als sie angekündigt hätten, am 25. nichts über die offiziellen Veranstaltungen zu berichten.

Und gestern Abend dann erreichte uns ein Anruf, dass einige linke Frauenorganisationen, die den Arbeiterkommunisten und der PKK nahestünden für heute zu einer Demonstration gegen Polygamie aufrufen würden. Dabei würden sie von dem Boykottkomitee, an dem auch Wadi beteiligt ist, unterstützt. Eine Spontandemonstration! Das ist umso erfreulicher, als wir noch im Sommer darüber diskutiert hatten, wie wichtig es sei, dass solche Formen des Protestes legalisiert werden. Die beiden großen Parteien hatten nämlich einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der für alle Demos eine Ankündigungsfrist von drei Tagen vorsah.

Und dann stellte ich auch noch, wenn ich vorgreifen darf, fest, dass eine andere Initiative von uns aus dem Jahre 2003 inzwischen gefruchtet hat. Damals, in einem Seminar, hatten wir ausführlich erklärt, warum auf Demonstrationen die Polizei, wenn überhaupt bewaffnet, dann nur mit Knüppeln und keinen Schusswaffen erscheinen solle. Und wenn, angesichts der 500 Demonstranten, die sich heute vor dem Stadtpark versammelten, doch etwas arg viel Polizei erschien, so war dies mit früheren, ähnlichen Events nicht vergleichbar.

Ich hatte die Möglichkeit mit dem Einsatzleiter zu sprechen, der mir erklärte, man sei hier, um der Zivilgesellschaft die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern und die einzige Aufgabe sei es die Demonstranten zu schützen und den Verkehr umzuleiten. Schließlich sei Kurdistan eine Demokratie in der Meinungsfreiheit herrsche. Immerhin, auch wenn sich diese Polizisten noch arg martialisch gaben, auf solche Äußerungen wartet man in anderen Ländern der Region vergebens.

Und nun lasse ich Bilder sprechen, die ich heute aufgenommen habe:

Der Slogan der Demo - auch in englisch

 

Der Demonstrationszug formiert sich

 

Nicht nur gegen Polygamie in Kurdistan, sondern auch gegen die Verbrechen im Iran ..
Die meisten ohne …

 

… andere mit Kopftuch.

 

Ihre erste Demonstration.

 

Unterwegs

 

Passanten lesen die verteilten Flugblätter.

 

Die Polzei, martialisch aber nur mit Gummiknüppeln.

 

Mindestens die Hälfte der Demonstranten sind Männer.

 

Bei der Abschlusskundgebung

 

Musik und Rufe “Stoppt Polygamie - Freiheit für Frauen”

 

Sie ist zufrieden mit der Demonstration …

 

… der Einsatzleiter auch.

 

Und etwas Eigenwerbung: Falah Muradkhin, Projektkoordinator von Wadi im Irak, bei einem Presseinterview zu Beginn der Demonstration.

 



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