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Der Offensive der "Religiösen" begegnen

von Thomas Schmidinger

Was tun nach dem Krieg? Die irakische KP hat sich für die Mitarbeit am Aufbau demokratischer Strukturen unter den gegebenen Bedingungen der Besatzung und des anhaltenden Terrorszur Zusammenarbeit mit den laizistischen Kräften entschieden. Ein Gespräch mit dem irakischen Kommunisten Mufid al-Jazairi. Mufid al-Jazairi arbeitete bis zu seiner Rückkehr in das kurdische Autonomiegebiet 1993 als Journalist für al-Hayat und andere arabische Zeitungen in Europa. 1993 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Irakischen Kommunistischen Partei und Chefredakteur des Zentralorgans der Partei „tariq al-shaab“ („Weg des Volkes“). Der Kulturminister der ersten irakischen Übergangsregierung ist heute einer von zwei Abgeordneten der KP und Vorsitzender der Kulturkommission des irakischen Parlaments.

Wie zufrieden sind sie mit der neuen irakischen Verfassung?

Wir sind nicht sehr zufrieden mit der Verfassung und haben das auch offen erklärt. Wir hatten jedoch folgendes Problem: Entweder wir stimmen diesem Text zu und arbeiten daran den Mechanismus zur Veränderung der Verfassung – der selbst wiederum Teil der Verfassung ist – zu verwenden um Verbesserungen herbeizuführen oder wir lehnen die Verfassung ab und verursachen damit vielleicht eine weitere Verzögerung einer Normalisierung des Lebens im Irak.
Die Bevölkerung will vor allem ein Ende des Terrors, ein normales Leben und einen Wiederaufbau des Landes, der durch eine Ablehnung der Verfassung weiter verzögert worden wäre. Wir wollen einen modernen demokratischen und säkularen Staat. Das konnten wir diesmal noch nicht erreichen, denn diese Verfassung spiegelt nicht zuletzt die Kräfteverhältnisse wieder, wie sie seit den Wahlen vom Jänner im irakischen Parlament zu finden sind. Die Verfassung bietet uns aber ein Instrumentarium für spätere Verbesserungen in Bezug auf Frauen- und Menschenrechte, die Trennung von Religion und Staat, und so weiter. Insbesondere die Beschränkung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen durch die Sharia, wollen wir rasch beenden. Wir sind uns sicher, dass die Dominanz der islamistischen Parteien im nächsten Parlament nicht mehr so deutlich sein wird, wie im derzeit amtierenden Übergangsparlament. Der Einfluss dieser Parteien wird zwar sicher weiter vorhanden sein, aber jetzt konnten sie einfach entscheiden, da sie die Mehrheit hatten. Wir sind uns sicher, dass zukünftige Parlamente anders aussehen werden. In einem komplizierten Land wie dem Irak wäre es illusorisch zu glauben, dass wir diese Probleme von heute auf morgen ändern können. Für diese Veränderungen brauchen wir Geduld.

In der Volksabstimmung habt ihr dazu aufgerufen für die Verfassung zu stimmen.

Ja, wir hatten uns also trotz unserer Bedenken entschieden, die Verfassung zu unterstützen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass die Verfassung trotz ihrer reaktionären Elemente auch eine Reihe fortschrittlicher Artikel besitzt, wie sie keine Verfassung unserer Nachbarstaaten beinhaltet. Diese werden wir weiterentwickeln.
Was wir nun brauchen ist ein wirklich legitimes Parlament und eine wirklich legitime Regierung, die über eine längere Zeit das Land regieren kann. Wenn sich damit die Situation stabilisiert, die Sicherheit im Lande garantiert wird und der wirtschaftliche Wiederaufbau beginnt, dann können auch die Verfassungsfragen neu diskutiert werden.
Zurzeit ist die Arbeitslosigkeit um Irak dermaßen hoch, dass viele kaum die Möglichkeit haben ihr tägliches Brot zu bekommen. Diese armen Leute sind dann natürlich auch ein gutes Reservoir für die Terroristen. Wenn jemand nicht einmal das nötigste zum Leben hat, ist er leichter bereit für 100 Dollar einen Anschlag durchzuführen. Diese ganzen Terrorakte sind ja mittlerweile zu bezahlten Dienstleistungen geworden.

Angesichts dieser Entwicklung zweifeln selbst Leute wie der damalige US-Außenminister Powell an der Sinnhaftigkeit des Irak-Krieges von 2003. Wie sieht ihre Zwischenbilanz zweieinhalb Jahre nach dem Sturz des Baath-Regimes durch die Truppen der Vereinigten Staaten aus?

Wir als irakische Kommunisten waren ja gegen den Krieg, da wir von Anfang an dachten, dass die Art wie Saddam Hussein gestürzt werden würde, Einfluss auf die folgenden Ereignisse haben würde. Natürlich begrüßten wir den Sturz Saddam Husseins, hätten uns aber gewünscht, wenn dies von den Irakis selbst erreich werden hätte können. Leider hat uns nun die derzeitige Situation im Irak in der negativen Einschätzung dieses Krieges Recht gegeben. Die irakische Bevölkerung wünscht sich nichts mehr als ein Ende des Terrors, ein Ende von Krieg und Gewalt und ein ganz normales Leben. Daran hindert uns jedoch nicht nur die Besetzung des Landes durch fremde Truppen, sondern auch der alltägliche Terror von Überbleibseln des alten Regimes und Gruppen mit Verbindungen zu al-Qaida. Bei einem übereilten Rückzug der Besatzungstruppen würde die Situation zurzeit nur noch schlimmer werden. Die irakische Bevölkerung fürchtet sich vor Saddam Hussein, seinen Anhängern und den islamistischen Terroristen immer noch mehr als vor den Amerikanern. Die einfache Bevölkerung fürchtet sich im Irak immer noch von einer Rückkehr Saddam Husseins. Er ist zwar im Gefängnis, aber er lebt noch, seine Leute haben noch Waffen, Geld und Know-how und Verbindungen zu al-Qaida. Nachdem was sie die letzten 30 Jahre erlebt haben, werden sich die meisten Irakis vor Saddam Hussein fürchten so lange er lebt.

Jetzt wird ihm jedoch der Prozess gemacht. Erhoffen sie am Ende des Prozesses die Todesstrafe?

Ich bin aus grundsätzlichen Überlegungen gegen die Todesstrafe, werde mich aber auch nicht ausgerechnet besonders für Saddam Hussein einsetzen. Welche Strafe ihn erwarten wird, werden die Gerichte nach einem rechtsstaatlich hoffentlich einwandfreien Verfahren entscheiden. Das Verfahren selbst ist vor allem zur Wahrheitsfindung über die Verbrechen des Regimes wichtig, nicht zur Rache an Saddam Hussein.

Bei den letzten Wahlen konnte die Kommunistische Partei des Irak unter dem Namen „Volksunion“ nur zwei Mandate erringen. Die Kurdische KP bekam zusätzlich drei Mandate im Rahmen der Kurdistan-Liste. In welcher Form werden die beiden Schwesterparteien zu den nächsten Wahlen im Dezember antreten?

Wir haben uns diesmal nicht als Volksunion für die Wahlen registrieren lassen, sondern kandidieren gemeinsam mit anderen säkularen und gemäßigt religiösen Kräften in einem Block mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi, dem Parlamentspräsidenten al-Hassani, der Partei des sunnitischen Vizepräsidenten Yawar und verschiedenen anderen liberalen, demokratische, nationalistischen und gemäßigt religiösen Kräften. Dabei sind etwa auch die Nationaldemokratischen Partei, die „Unabhängigen Demokraten“ Pachachis, die arabischen Nationalisten von der Arabischen Sozialistischen Bewegung und der Partei der Einheit und die gemäßigten Islamisten von der Bewegung der islamischen Verkündigung, der Organisation demokratischer Islamisten, der bekannte fortschrittlicher Kleriker Iyad Jamal ed-Din und einige christliche Gruppen.

Kurdische Gruppen fehlen in dieser Allianz?

Sie wissen ja, dass die kurdischen Parteien alle in einer gemeinsamen Kurdistan-Allianz kandidieren wollen. Außer der Islamischen Union Kurdistans kandidiert die Kurdistan-Allianz wieder in derselben Konstellation wie letztes Mal.

Leistet ihr mit dieser Trennung in ethnisch dominierte Wahlblöcke nicht der Ethnisierung des Landes Vorschub? Wenn sogar schon die Kommunistische Partei, die immer die einzige nichtethnische Partei des Landes war, in ethnisch getrennten Wahlblöcken kandidiert, dann ist das doch ein Alarmsignal.

Wir waren immer stolz darauf die einzige wirklich gesamtirakische Partei zu sein. Aber es gibt nun einmal eine Realität. Wir hätten gerne alle kurdischen Parteien, die wir als unsere logischen Verbündeten im Kampf um einen säkularen zivilen Staat sehen, in eine gemeinsame Allianz eingebunden.
Wir können nichts daran ändern, dass diese kurdischen Parteien einfach mit einem eigenen Block antreten wollen. Wir können sie nicht zwingen mit uns zu kandidieren.
Aufgrund des irakischen Wahlrechtes hätten wir aber keine Chance wenn wir die Realitäten nicht anerkennen würden. Wir haben uns deshalb mit unserer kurdischen Schwesterpartei geeinigt, dass sie in der Kurdistan-Allianz kandidieren soll und wir eben in einem anderen Rahmen. Die Entscheidung für diese breite neue Allianz basiert auf der Einschätzung, dass eine solche Allianz der einzige Weg ist, der Offensive der religiösen Parteien zu begegnen.


erschienen in Vorwärts Nr. 46, 18. November 2005


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