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"Modifizierte Körper"

Was die internationalen Hilfswerke mit ihren Aktivitäten gegen die weibliche Genitalverstümmelung so alles anrichten.

von Thomas Uwer

http://www.jungle-world.com/

Wenn in Deutschland die Regierung ihre Nicht-Regieruns-Organisationen (NRO) lädt, um die Probleme der Armen und der Frauen zu beraten, dann weiß der Parlamentsschreiber im Bundestag so gut wie der Berichterstatter aus dem armen Süden, daß das Mitschreiben die Mühe kaum lohnt. Spielen in anderen Staaten Hilfswerke und Lobbyverbände längst eine feste Rolle in der Regierungspolitikberatung und der Planung konkreter Gesetzesvorhaben, so kommt den NRO in Deutschland wenig mehr als die Aufgabe zu, für Trommelmusik und begleitende Betroffenheitslyrikrezitationen bei den Auftritten der Entwicklungsministerin zu sorgen. Das ist kaum bedauerlich, teilen die meisten Hilfswerke doch ganz unbestochen die Meinung der Ministerin, von Detailfragen abgesehen. Tun sie das einmal nicht, werden sie nicht geladen. So kommt es, daß gerade in jenen Bereichen, derer sich die Menschenrechts- und Hilfsorganisationen in Deutschland besonders intensiv und ausdauernd annehmen, am wenigsten geschieht. Und wird erst einmal ein gemeinsamer "Aktionsplan" beschlossen, darf auch das schönste Anliegen getrost als gescheitert verbucht werden.

Weibliche Genitalverstümmelung, also die teilweise oder vollständige Klitorisamputation, gilt seit Jahren als Topthema der nationalen und internationalen NRO-Gemeinde. Tatsächlich stellt die Verstümmelung, die jährlich etwa zwei Millionen Mädchen angetan wird, eine der brutalsten Formen der Unterdrückung weiblicher Sexualität dar. Der Eingriff ist mit Schmerzen und hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Regelmäßig verbluten Mädchen, es kommt zu lebensgefährlichen Infektionen. Viele der betroffenen Frauen leiden dauerhaft an Schmerzen, Unfruchtbarkeit und psychischen Problemen. Das Ganze geschieht nur, weil Mädchen und Frauen die Möglichkeit körperlichen Lustempfindens genommen werden soll. Genau hier beginnt der im Norden geführte Streit über die verstümmelten Mädchen des Südens.

Längst haben Aktivisten und Akademiker entdeckt, daß der materiellen Unterdrückung die hermeneutische vorausgeht, und sprach- wie genderkritisch korrekt bemerkt, daß dem Begriff der "Verstümmelung" eine Negativwertung anhaftet. Frauen würden, so argumentieren beispielsweise Autorinnen des Berliner "Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien", den Eingriff mitunter gar nicht als Verstümmelung empfinden, sondern eher als Schönheitsoperation und Zeichen der Zugehörigkeit. Sie seien stolz auf ihren "modifizierten Körper". Der abendländische "Diskurs" über die Verstümmelung indes perpetuiere nur die "hegemonialen Genderidentitäten" des kapitalistischen Abendlands. In einem schillernden Stück postkolonialer Literatur fassen die Autorinnen zusammen, "daß erfüllte Sexualität nicht zwingend mit Orgasmusfähigkeit in Zusammenhang gebracht wird. Die Frauen in Eritrea fühlen sich dann geschätzt und geliebt von ihren Ehemännern, wenn sie als Ehefrau geachtet und respektiert werden." Ganz genderkritisch kommt hier die vorzüglichste Werbung für die Barbarei daher: Die operative Verunmöglichung des Orgasmus' wird zum Akt zivilen Ungehorsams gegen die diskursive Vormacht des Nordens.

Wer das verstehen will, muß sich nicht erst durch die Untiefen Foucaultscher Machtdispositive mühen. Lediglich sprachlich modernisiert findet sich derselbe Affekt, der schon der katholischen Hilfe für "gefallene Mädchen" zugrunde lag, die brutale Projektion eigener Unerfülltheit nämlich auf andere, die in der Unterstellung gipfelt, diese wenigstens hätten Freude an der Unfreiheit. So dreht sich vorab bereits ein guter Teil der hierzulande geführten Diskussion um die Frage, ob von Beschneidung oder Verstümmelung gesprochen werden soll, obwohl viele der mit dem Problem befaßten Organisationen bereits längst und höchst freiwillig den vermeintlich neutralen Begriff "Beschneidung" übernommen haben.

Dinge, über man nicht oder doch wenigstens nicht offen redet, gibt es in der deutschen wie internationalen Gemeinde der Aktivisten gegen Genitalverstümmelung einige. Ganze Myriaden von unlesbaren UN-Strategiepapieren, Konferenzberichten, Doktorarbeiten und NRO-Analysen widmen sich den Ursachen der Verstümmelung, die mal traditionell, mal kulturell verortet werden. Was keiner sagt, ist, daß es in den meisten Staaten auch ein Problem des Islams ist. Zwar sind nicht alle Gesellschaften, in denen Mädchen verstümmelt werden, überwiegend islamisch, aber doch die meisten. Zwar wird die Verstümmelung ebenso von anderen, nicht-islamischen Gruppen und Gesellschaften praktiziert, gleichwohl sind es islamische Geistliche, die die Verstümmelung predigen, auch wenn sich hin und wieder ein korangelehrter Scheich an der Al-Azhar Universität in Kairo zu dem Hinweis hinreißen läßt, die Verstümmelung sei nicht vom Koran gefordert. Die Mehrheit der islamischen Rechtslehrer sieht zumindest kein Problem in ihr; viele fordern sie sogar.

Beharrlich verschweigen Organisationen wie das Kinderhilfswerk Unicef, daß weibliche Genitalverstümmelung auch kein rein afrikanisches Phänomen ist, sondern aus einer ganzen Reihe islamischer Gesellschaften Asiens gemeldet wird, wie beispielsweise aus dem Irak, dem Iran, aber auch aus Indonesien. Und auch Europa, Kanada und die USA fehlen auf den im Internet so beliebten Landkarten, die den Verbreitungsgrad der Genitalverstümmelung beschreiben, obwohl das Phänomen über die Migration längst auch im "Norden" angekommen ist.

Statt dessen wird das einfache und letztlich zutiefst rassistische Bild der indigenen afrikanischen Frau gezeichnet, die mal ihren "Körper modifiziert", mal zum Opfer schlechter Traditionen wird, der aber andererseits auf die Sprünge zu helfen nicht viel mehr als eine Frage guten Willens, gemeinsamen Handelns und der Einsicht in die Notwendigkeit von globalen Netzwerken ist. Wer eine solche Lockspur auslegt, darf sich nicht wundern, wenn er am Ende Heidemarie Wieczorek-Zeul bekommt - oder schlimmeres.

Als Ende November 2008 die Organisationen "Terres des Femmes" und "Forward" ihren von der Bundesregierung finanzierten "Nationalen Aktionsplan" gegen Genitalverstümmelung im Deutschen Bundestag vorstellten, durften die afrikanischen Trommeln natürlich nicht fehlen. Mit allerlei ethnischem Budenzauber, der üblichen Sprachkritik an dem Begriff "Verstümmelung" und unter dem Vorsitz der deutschen Schaustellerin Katja Riemann wurde beispielhaft vorgeführt, wo eine Kampagne landet, läßt man die Nicht- und die Regierungsorganisationen in Deutschland gemeinsam daran wirken. Von den insgesamt fünf zentralen Punkten des Forderungskatalogs enthalten zwei den Vorschlag einer "flächendeckenden Verteilung" der Informationsbroschüren beider Organisationen, einer fordert die Schaffung eines entsprechenden "Kompetenzzentrums", ein weiterer Punkt faßt summarisch zusammen, was zuvor vergessen wurde: die "Förderung der wirtschaftlichen und politischen Positionen von Frauen", die "Stärkung von lokalen Frauenorganisationen". Die zentrale Forderung aber besteht darin, einen eigenen Straftatbestand "weibliche Genitalverstümmelung" in das deutsche Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Das ist zwar weder notwendig, noch verspricht ein solcher Straftatbestand eine effektivere Ahndung, als dies bisher der Fall war. Die Verstümmelung der Sexualorgane von Mädchen ist in Deutschland schon längst und umfassend strafbar nach den einschlägigen Paragraphen zur Körperverletzung, gefährlichen Körperverletzung oder Mißhandlung von Schutzbefohlenen. Gleichwohl ist die Forderung nach einem neuen Straftatbestand populär - gerade weil es dabei wenigstens am Rande auch um Sexualität geht. Und noch etwas dürfte sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreuen. Mit einem Tatbestand "Genitalverstümmelung" würde in der Praxis nämlich ein waschechter "Neger"-Paragraph ins Strafgesetzbuch aufgenommen, mit eigenen Tatbestandsmerkmalen für eine ganz eigene afrikanische Bevölkerung.

Artikel erschienen in Konkret 1/2009


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