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Der Irak und die Menschenrechte: wie Verschwundene nach Jahren wieder auftauchen

Während sich der Streit zwischen irakischer Regierung und der USA von gut einem Monat zuspitzte, meldete das Menschenrechtszentrum der irakischen KP die Exekution von 125 Gefangenen in irakischen Gefängnissen. Diese Hinrichtungen waren Teil einer im Frühjahr 1997 begonnen Welle, die offiziell "Aktion zur Säuberung der Gefängnisse" genannt wird, und der bisher mehr als 2000 Gefangene zum Opfer gefallen sein sollen. Ein Auslöser dieser Aktion stellte die Forderung des UN Menschenrechtsbeauftragten Max von der Stoel im Frühjahr letzten Jahres dar, daß Menschenrechtsinspektoren die Lage in den Gefängnissen des Landes kontrollieren sollten. Im März begann das Regime ein für dieses Problem extra verabschiedetes Präsidenten-Dekret mit der Nrummer 181 zu erfüllen, in dem die Hinrichtung von Gefangenen befohlen wurde, die vor allem wegen "staatsfeindlichen Aktivitäten und Bestrebungen, die zum Sturz der irakischen Regierung führen sollten" inhaftiert waren. Unter Zeitdruck - die Inspektionen waren für den Sommer des Jahres angekündigt - begannen Sonderpolizisten zwei mal wöchentlich jeweils bis zu 100 Gefangene hinzurichten, mit dem erklärten Ziel all die Inhaftierten zu beseitigen, die der UN Einzelheiten über die unwürdigen Haftbedingungen hätten berichten können. Seitdem geht diese Kampagne unverändert weiter, auch wenn längst die UN-Menschenrechtsorganisation es aufgegeben hat auf eine Besichtigung der Haftanstalten zu insistieren. Denn auf diese Weise gelingt es dem Regime nicht nur weitere Angst unter der Bevölkerung zu verbreiten - zumindest in Bagdad ist das Vorgehen gegen Gefangene gerüchteweise bekannt, auch aus Sicht der spezifischen "Ökonomie" der Baath Regierung ist es nur folgerichtig, sind doch die Gefängnisse sowohl mit "normalen" als auch mit politischen Gefangenen heillos überfüllt. Die desolate ökonomische Lage hat in den letzten Jahren die Kriminalitätsquote in die Höhe getrieben, aber auch Unmutsäußerungen und regimefeindliche Handlungen sind vermehrt aufgetreten. Als folgerichtig im April dieses Jahres der Minister für Arbeit und Soziales im April der Tageszeitung Nabdh al Shabab mitteilte, daß "die Zahl der Gefangenen die Kapazität unserer Gefängnisse um ein Fünffaches" überstiege, hieß dies, in die Sprache des Regimes übersetzt, nichts anderes, als das geplant sei, "überzählige" Häftlinge zu liquidieren. Denn weiterhin kennt die Diktatur Saddam Husseins gegen vermeintliche oder reale Gegner nur drakonische Strafen; großangekündigte Amnestien, die an die Adresse des Auslandes gerichtet sind, betreffen lediglich kriminelle, niemals Personen, die das System als politische Gefangene definiert. Vor allem in Zeiten direkter Konfrontation mit der USA und der UN verstärkt das Regime regelmäßig den Terror nach innen, um im Falle einer militärischen Auseinandersetzung jedwede reale oder potentielle Opposition unter Kontrolle halten zu können. Zu frisch ist noch die Erinnerung an die landesweiten Aufstände 1991, die erstmals eine reale innere Bedrohung der Regierung darstellten.

Außenstehenden mag es besonders makaber vorkommen, daß unter den kürzlich Hingerichteten, deren Namen von der KPI veröffentlicht wurden, sich auch die sogenannter Verschwundener befinden. Namen von Personen also, die in der Vergangenheit ohne Anklage festgenommen wurden, und über deren Angehörige keine Informationen haben. Alleine das weitere Schicksal von über 100000 Kurden, die während der sogenannten Anfal Kampagne 1988 aus dem Nordirak deportiert wurden, ist bis heute völlig ungeklärt. Einige der Namen von Personen, die damals verschwanden, tauchen jetzt auf diesen Listen wieder auf, ebenso wie die von Südirakern, die 1991 an den Aufständen gegen das Regime, die der Niederlage im Golfkrieg folgten, teilgenommen hatten.

Überhaupt scheint es ein Teil der Politik Saddam Husseins zu sein gewisse Information "durchsickern" zu lassen, die in ihrer ganzen Dimension jedem vor Augen führen, was ihn erwartet, sollte er vom Regime als Gegner betrachtet werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Meldung zu betrachten, daß im Rahmen der Säuberung und "Reorganisation" des Gefängniswesens im Februar über 1000 Gefangene, die der Gruppe der sog. "Fayli Kurden" angehören und seit Mitte der 80er Jahre als verschwunden galten, in die Untergrundverliese des berüchtigten Abu Graib Gefängnisses verlegt worden seien. Fayli Kurden sind Abkömmlinge einer Gruppe von ehemals aus Persien stammenden Einwanderern, die während des Ersten Golfkrieges von Saddams Regime zu feindlichen Ausländern erklärt wurden, obwohl sie schon in der dritten oder vierten Generation im Irak ansässig waren. Der Großteil dieser Faylis wurde Anfang der 80er Jahre in den Iran deportiert, einige tausend verschwanden, um teilweise nun, nach 15 Jahren wieder "aufzutauchen". Andere Faylis sollen Informationen der Opposition zufolge als Versuchsobjekte für Experimente mit chemischen und biologischen Kampstoffen verwendet worden sein, wobei die Kommunistische Partei spricht von mindestens tausend Menschen spricht, die im vergangenen Jahr für deratige Zwecke mißbraucht wurden. Unter welchen Haftbedingungen die anderen "Gegner" des Regimes leben müssen entzieht sich dem Vorstellungsvermögen, gerade auch weil sie jeder Zeit, ohne Gerichtsverfahren nur per Dekret, exekutiert werden können.

Obwohl diese Tatsachen allgemein bekannt sind und regelmäßig auch in Berichten von amnesty und der UN publiziert werden, spielen sie ideologisch in Konflikten mit dem Irak allerhöchstens eine sekundäre Rolle. Nicht von ungefähr rückt die Auseinandersetzung um Aufrüstungsprogramme und Waffeninspektionen in das Zentrum der Auseinandersetzung zwischen dem Irak und der USA, über die es aber - verglichen mit der Informationsfülle, die über irakische Menschenrechtsverletzungen vorliegen - wenig konkrete Informationen gibt. Eine westliche Außenpolitik, die vom herrschenden irakischen Regime die Einhaltung auch nur von menschenrechtlichen Mindesstandards einfordern würde, geriete in Gefahr sich international lächerlich zu machen, ist doch allgemein bekannt, daß das irakische Regime konstitutiv auf deren Mißachtung und Außerkraftsetzung fußt. Da dieser Fakt in London und Washington und rudimentär auch in Bonn zum diplomatischen Allgemeinwissen gehört, können Menschenrechte nicht im Zentrum der Irakpolitik stehen, vielmehr wird stattdessen versucht diese Fragestellung hintanzustellen. Maßstäbe, die wie selbstverständlich an Jugoslawien angelegt werden, müßten im Falle des Irak nämlich notwendigerweise zur Forderung nach einem sofortigen militärischen Sturz Saddam Husseins und des Baath-Regimes führen, stellt doch das System selbst seit seinem Bestehen 1979 eine andauernde Menschen- und Völkerrechtsverletzung dar. Momentan aber wäre eine derartige Konfrontation nicht mit den kurzfristigen Interessen der verbliebenen Anti-Irak Koalition vereinbar. Einerseits fehlt die oppositionelle Systemalternative - nach Einschätzung des Pentagon existiert momentan keine irakische Opposition, die in der Lage wäre, das Land nach einem Sturz der Regierung säkular und im Interesse des Westens zu kontrollieren -. Andererseits halten sich sowohl die USA als auch Großbritannien weiterhin eine vage Option offen: nämlich die Hoffnung, daß im Militär eine einflußreiche Gruppe gegen Saddam Hussein putschen könnte, die dann, unter Beibehaltung der politischen Strukturen, als demokratischere Herrschaftsform international akzeptiert werden könnte. Da aber, wie gesagt, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen notwendiger Teil der bisherigen Machtausübung im Irak waren, finden sich wohl auch keine Militärs oder Politiker, deren Vergangenheit auch nur ansatzweise für eine Legitimation als neue Machthaber taugen würde.

Vor diesem Dilemma steht die US Politik ohne bisher auch nur in Ansätzen Lösungsvorschläge vorweisen zu können. Selbst das "INDICT" Projekt, der Versuch Saddam Hussein und seine engsten Mitstreiter vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal zu stellen, das von hochrangigen Politikern wie Magareth Thatcher, George Bush und anderen unterstützt wird, steht vor diesem Problem. Denn würde ein derartiges Vorhaben gelingen, und die irakische Führung stünde geschlossen vor Gericht, käme diese strukturelle Beschaffenheit der irakischen Diktatur ans Licht und damit die Tatsache, daß sie mittels eines Putsches nicht reformierbar wäre. Zudem müßte die internationale Tolerierung und Unterstützung des Regimes bei Giftgaseinsätzen gegen iranische Soldaten und die eigene Bevölkerung in Kurdistan behandelt werden. Abgesehen von der Tatsache, daß in diesem Fall die BRD mit ihrer direkten Hilfe an den Irak eigentlich auf Mitanklagebank eines solchen Tribunals gehörte, müßte auch die logistische Hilfe der USA, Frankreichs und Großbritanniens thematisiert werden und damit Tatsachen, die ähnlich unangenehm wären, wie entsprechende Enthüllungen im Fall Pinochets. (Wobei im Falle des Iraks der ideologische Bonus wegfallen würde, daß man, wenn auch schweren Herzen, das kleinere Übel in Form eines antikommunistischen Bollwerkesunterstützt habe)

Aus diesem Grund also wird ohne großen Protest die Säuberungswelle in irakischen Gefängnissen auch im dritten Jahr ungestört fortgeführt werden. Wie hilflos sich Appelle, die sich in diesem Falle nicht mit der Forderung verbinden Saddam Hussein von außen militärisch zu stürzen, ausmachen, zeigen die entsprechenden Publikationen des Menschenrechtszentrums der KP. Diese enden jedes Mal mit einem Forderungskatalog an die UN und Menschenrechtsorganisationen, dem "Schlächter von Bagdad" in den Arm zu fallen, wobei im gleichen Atemzug die "imperialistische Politik der USA" angegriffen wird. Im Falle des Irak aber ist längst international und regional eine Realität geschaffen worden, in der das eine ohne das andere nicht zu haben ist, wobei ebenso klar ist, daß der irakische Staatsterrorismus - wobei die Massenexekutionen nur einen Bruchteil aller systematischen Menschenrechtsverletzungen darstellen - nicht zum Anlaß genommen wird, militärische Aktionen gegen die Führung des Landes durchzuführen, da die Menschenrechts- und Minderheitenfrage, anders als im Jugoslawienkonflikt, in diesem Fall von den westlichen Staaten nicht für ihre Interessen instrumentalisierbar ist.

Thomas v. der Osten-Sacken, WADI e. V.

(Der Artikel erschien am 23.12.1998 in der Wochenschrift "Jungle World".)

 


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