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Eine Mauer des Schweigens

Irakische Frauen zwischen Terror und Hoffnung

von Mary Kreutzer

Manal Omar berichtet von verblüffenden Meinungsumfragen im Irak, über den Kampf gegen die islamische Rechtssprechung, über die Vertuschung sexualisierter Gewalt und den Terror gegen Frauen und religiöse Minderheiten. Als Regionalkoordinatorin von Women for Women International bereist sie den Irak, Afghanistan und den Sudan. Das Gespräch über die aktuelle Lage im Irak führte Mary Kreutzer.

m.k.: Auf der Pressekonferenz in Wien, bei der du gemeinsam mit Frauen ohne Grenzen und weiteren sechs irakischen AktivistInnen euer aktuelles Projekt vorstelltest, kam als erste Journalistenfrage, ob euch denn bewusst sei, dass die alliierten Truppen den Irak aus `imperialistischen Gründen´ und nicht aus `Nächstenliebe´ überfallen hätten.

m.o.: Ich höre diese Fragen hier oft, auch heute noch, drei Jahre nach dem Krieg. Die Irakis sind nicht dumm und natürlich wussten sie, dass die Befreiung einen Preis haben würde. Die Menschen im Irak hatten zu keinem Zeitpunkt Illusionen über die Kriegsgründe, doch sie hatten eines, Hoffnung. Und die haben sie trotz der katastrophalen Lage auch heute noch. Über die europäischen Regierungen und diverse Firmen und Vereine, die jahrelang von der Terrorherrschaft des Baath-Systems profitierten, wusste man übrigens ebenfalls immer bescheid. Trotzdem strecken Irakis heute ihre Arme aus und sind bereit, mit Europa zu kooperieren.

m.k.: Für viele mag es verwunderlich klingen, dass du von Hoffnung im Zusammenhang mit dem Irak sprichst. Die Bilder, die tagtäglich in den Medien gezeigt werden, vermitteln ein hoffnungsloses Bild des von islamistischen und baathistischen Rackets gebeuteteln Landes.

m.o.: Wir führten im Jahr 2004 eine Studie unter Frauen in sechs großen Städten des Zentral- und Südiraks durch und die Ergebnisse waren im Anbetracht der Lage überraschend: über 90 % der Frauen sehen der Zukunft mit Hoffnung entgegen, eine große Mehrheit fordert selbstbewusst Mitbestimmung, legale Verankerung spezifischer Frauenrechte, gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Vor ein paar Monaten folgte eine weitere Studie unter Jugendlichen, die Resultate sind ähnlich: trotz Angst, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit sind die Jugendlichen zukunftorientiert, Mädchen noch mehr als Jungs. Die meisten Mädchen gaben in der Umfrage an, den Islam als einschränkend für ihr Leben zu empfinden. Sie fordern Bewegungsfreiheit, freie Partner- und Berufswahl.

m.k.: Der demokratische Prozess hat nun auch eine neue Verfassung, über die per Referendum abgestimmt wurde, hervorgebracht. Trotz Proteste irakischer Frauenorganisationen wurde darin die Sharia, die islamische Rechtssprechung, als Quelle der Gesetzgebung verankert.

m.o.: Im Jahr 2003, als das Baath-Regime zum Sturz gebracht wurde, waren die irakischen Frauen wie aus dem Häuschen, sie waren in Ekstase, sie galten als Potential um die Zukunft des Irak neu zu gestalten, für sie gab es keine Grenzen der Hoffnung. Sie dachten, sie würden in überdurchschnittlichem Ausmaß Teil des politischen demokratischen Prozesses, doch die hochgeschraubten Hoffnungen erwiesen sich als falsch. So waren von den 23 Mitgliedern der Übergangsregierung nur drei Frauen, eine davon wurde bald ermordet. Ihre Nachfolgerin war dann auch keine Frauenrechtsaktivistin sondern eine sehr konservative Frau.

Die Höhepunkt der Enttäuschung war erreicht, als versucht wurde, im Jänner 2004 mittels der Resolution 137 die islamische Sharia einzuführen. Irakische Frauen fühlten sich betrogen und merkten, dass sie nun darum kämpften müssten, wenigstens ihren Status Quo zu behalten. Nur dank ihres Kampfes wurde die Einführung der Sharia und die Abschaffung des Personenstandrechtes damals verhindert. In der neuen Verfassung ist die Sharia nun doch verankert. Trotzdem ist auch im Irak nicht alles verloren, denn es kommt nach wie vor auf weitere, auch legale, Entwicklungen an. Zum Beispiel: werden die Verfassungsrichter von Sekulären oder Religiösen besetzt? Wenn erstere das Sagen haben, dann stellt diese Verfassung keine Gefahr für Frauen dar. Wenn es Geistliche – wie im Iran der Wächterrat - sind, sieht die Situation komplett anders aus. Diese Entscheidungen wurden noch nicht gefällt.

m.k.: Konnten die Frauen, die im Verfassungskonvent mitarbeiteten, keinerlei Einfluss gewinnen?

m.o.: Doch, sie setzten z.B. das Recht auf Staatsbürgerschaft für Frauen durch. Dieses Recht ist nicht in allen Ländern der Region in Kraft. Auch wenn Frauen ihre Kinder im Ausland zur Welt bringen, können diese trotzdem die irakische Staatsbürgerschaft erhalten. Das ist fortschrittlicher als beispielsweise Ägypten und Jordanien. Aber die große Kontroverse wird kommen, wenn es darum geht, das Personenstandsrecht auszuarbeiten. Gerade für ein kriegsgeschütteltes Land sind Fragen wie Erbrecht, Scheidung, Recht auf Eigentum uvm. für Frauen von grundlegender Bedeutung.

m.k.: Im Südirak kommt es vermehrt zu Übergriffen durch lokale Parteimilizen, die die „Ordnung“ wiederherstellen wollen.

m.o.: Frauen werden gezwungen sich zu verschleiern, da es das Risiko vermindert, von Milizen angegriffen, vergewaltigt oder von Terroristen entführt zu werden. Aus Basra erreichen uns immer wieder die Nachrichten von Säure-Attacken auf unverschleierte Frauen. Sicherheitsaspekte führen verstärkt zum Verlust von Freiheit: viele Eltern lassen ihre Töchter nicht mehr aus dem Haus gehen, damit ihnen nichts passiert. Dieser Handel: Freiheit gegen Sicherheit, ist ein sehr gefährlicher. Denn die Spirale geht endlos weiter. Frauen wehren sich jedoch gegen diese Logik, deshalb werden sie ja ermordet.

m.k.: Eine Umfrage der Hilfsorganisation Wadi, die seit 14 Jahren im Nordirak emanzipatorische Frauenprojekte unterstützt, hat ergeben, dass über 60 % der Frauen in der Region Germian genital verstümmelt wurden. Existiert FGM ( weibliche Genitalverstümmelung), auch im Zentral- oder Südirak?

m.o.: Das wissen wir noch nicht. Diverse Frauengruppen sagen zwar Nein, es existiert nicht, aber ich habe den Verdacht, dass es zu früh ist, um definitiv eine Antwort zu geben. Erst wenn sich die Sicherheitslage normalisiert und das Leben stabilisiert hat, wird es möglich sein, Umfragen durchzuführen. Was Vergewaltigungen betrifft, so wird uns ebenfalls – selbst von Frauengruppen – wiederholt erklärt: das gibt es bei uns nicht. Sexualisierte und innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen, auch Ehrenmord, wird vertuscht. Doch ständig wenden sich Vergewaltigungsopfer direkt an uns. Wenn wir dann Hilfe für sie organisieren wollen, stoßen wir auf eine Mauer des Schweigens.

m.k.: Religiöse Minderheiten wie z.B. Christen, Mandäer, Yeziden werden verstärkt zu Angriffszielen der islamistischen Banden. Auf ihre Kirchen und Heiligtümer werden gezielte Anschläge verübt.

Eine meiner Mitarbeiterinnen ist eine Christin aus Basra, wo ihre Familie seit Generationen in friedlicher Koexistenz lebten. Sie sind nun aus Basra geflüchtet und leben zur Zeit in Bagdad. Von Angehörigen religiöser Minderheiten höre ich vermehrt, dass sich die Frauen verschleiern, um nicht aufzufallen. Eine der gängigen Verschwörungstheorien im Irak lautet, dass ChristInnen reich sind, was natürlich Blödsinn ist. Christliche Frauen aus der Unterschicht nehmen deshalb nicht an unseren Programmen teil, weil sie Angst haben, das Haus zu verlassen. Weiters werden sie zwischen den verschiedenen christlichen Parteien aufgerieben. Plötzlich ist es relevant, ob man katholisch oder assyrisch ist. Diese fragwürdige Ethnisierung findet also nicht nur unter Muslimen statt. Es herrscht Verunsicherung bezüglich der Urheber von Gewalt: sind es die Syrer, die über die Grenzen schleichen und Kirchen in die Luft jagen? Die Yezidi, die von den Islamisten als „Teufelsanbeter“ attackiert werden, stehen vor dem Dilemma die Gewalt, die gegen sie verübt wird, anzuprangern und der Angst, dass sie dadurch erst recht Ziel der Attentate werden.
Minderheiten und auch Frauen sehen sich zusätzlich immer wieder mit dem Argument konfrontiert, dass es keine spezifische Gewalt gegen sie gäbe, dass die Gewalt generalisiert sich gegen alle wende.

Nähere Informationen zum Irak-Projekt von Women for Women International und Frauen ohne Grenzen, welches von Manal Omar koordiniert wird, sind unter www.frauen-ohne-grenzen.org und www.womenforwomen.com nachzulesen. Im Jänner 2006 war Manal Omar gemeinsam mit weiteren sieben irakischen MultiplikatorInnen auf einem Workshop in Österreich zu Gast. Im laufe der nächsten Monate soll im Rahmen des Projektes ein Treffen von verschiedenen irakischen Jugendlichen im Norden des Landes organisiert werden.

Mary Kreutzer ist Mitherausgeberin des Sammelbandes „Irak. Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie?“ (ca ira-Verlag, 2004) und bereiste den Nordirak als Mitarbeiterin der Hilfsorganisation WADI (www.wadinet.at) zuletzt im März 2005.


Artikel erschienen in Frauensolidarität 1/06


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