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Das Kreuz des irakischen Südens

Wo immer im Irak Wahlen stattfinden, siegen säkulare Kräfte


von Thomas von der Osten-Sacken, Suleymaniah


Dieser Tage schlagen angesichts der Unruhen nicht nur im sunnitischen Dreieck, sondern auch im Süden des Irak auch konservative Unterstützter der Bush-Administration Alarm. In den "Fox News" und der Zeitschrift "National Review" mehren sich Stimmen, die fragen, ob die Iraker überhaupt in der Lage oder willens seien, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Zweifel am Nahost-Programm ihres Präsidenten werden laut, der den Krieg gegen Saddam Hussein mit dem Versprechen geführt hatte, die Bedingungen für eine Demokratisierung des Nahen Ostens zu schaffen, um so dem Terror von Al Qaida seine Basis zu entziehen. Ein Konzept, das in Europa, wo man lieber den kritischen Dialog mit orientalischen Despoten pflegt, sowieso auf weit gehende Ablehnung und offene Kritik stieß. Dabei haben die USA bislang vor allem im schiitischen Süden des Irak keineswegs auf Demokratisierung gesetzt, sondern von Anfang an schiitische islamische Parteien und Kleriker, die als gemäßigt galten, kooptiert. Nach dem Sturz Saddam Husseins setzten sie in den südirakischen Provinzen Stadträte ein, die fast ausschließlich aus Vertretern islamischer Gruppierungen bestanden.

Proteste aus der Bevölkerung, die sich von Islamisten keineswegs repräsentiert fühlte, überhörte man dagegen geflissentlich. Scheinbar hatte niemand sich die Mühe gemacht, die Geschichte des Südirak zu studieren, denn Provinzen wie Kut, Basra, Diwanija oder Nasirija waren einst bekannt als Hochburgen des Säkularismus im Irak. Kommunisten und Demokraten übten hier, bevor Saddam Husseins sie brutal niedermachen ließ, mindestens so viel Einfluss aus wie Ayatollahs.

Es ist einem amerikanischem Berater der Koalitionsverwaltung, Tobin Bradley, zu verdanken, den allseits gehegten Glauben, die Schiiten sehnten nichts sehnlicher herbei als einen Gottesstaat, nachhaltig erschüttert zu haben. Gemeinsam mit der lokalen Verwaltung und weit gehend ohne andere Unterstützung organisierte Bradley in der Provinz Nasirija eine Reihe von Kommunalwahlen. Und wo der Urnengang stattfand, verloren die Islamisten haushoch. In der Stadt Shatra etwa wurden sieben unabhängige Kandidaten, darunter zwei Frauen, vier Kommunisten, und lediglich vier Islamisten in den neuen Stadtrat gewählt. Zuvor bestand der 15-köpfige Rat ausschließlich aus islamischen Parteivertretern. Die Lage in der Provinz krankte, wie ihre Bewohner immer wieder erklärten, nicht etwa an zu viel ungewollter Demokratie, sondern daran, dass diese Parteien und ihre selbstherrlich auftretenden Milizen keineswegs die Unterstützung der Bevölkerung genossen, wohl aber die weit gehende Duldung der Koalition.

In Deutschland betrachteten die Medien den Aufstand des khomenistischen Predigers Muktada Al Sadr, der zum Angriff gegen die Besatzer und das "Weltjudentum" trommelte, als genuinen Ausdruck der schiitischen Volksseele, während die Wahlergebnisse aus Nasirija unerwähnt blieben. In den meisten Städten des Südirak brach sein vornehmlich vom Iran finanzierter und inszenierter Aufstand mangels Unterstützung entweder kläglich in sich zusammen oder stieß sogar auf offenen Widerstand.

In Europa beschwört man allen Fakten zum Trotz weiter unermüdlich das Gespenst eines schiitischen Massenaufstandes. Dass dieser offensichtlich ausblieb, wird nämlich keineswegs als ermutigendes Zeichen dafür gewertet, wie wenig Begeisterung die Schiiten bislang für Sadrs angestrebte Theokratie aufbringen. Denn die Wahrnehmung des Nahen Ostens ist in Deutschland - und offenbar auch in den Reihen der amerikanischen Konservativen - medial längst präfiguriert: Schiiten, so erklären monoton allerlei Nahost-Experten, hassen inbrünstig den Westen, sind tief religiös und lehnen Demokratie und Bürgerrechte als dekadente Formen imperialistischer Herrschaft ab. (Mit den gleichen Argumenten rechtfertigen die Kleriker im Iran in kritischen Dialogen ihre illegitime und korrupte Diktatur.) Araber, so will es die westliche Projektion, die den im Nahen Osten herrschenden Despotien ideal in die Hände spielt, treten als gewaltsamen Menge auf, in Form der viel beschworenen "arabischen Straße", skandieren Slogans gegen die USA und Israel, wenn sie nicht gleich zur blutigen Tat schreiten, und werden mühsam von ihren Führen, so man diesen nur entgegenkommt, im Zaum gehalten. Wer im Irak dagegen einen grundlegenden Wandel der politischen Strukturen fordert, gilt als Kollaborateur.

Die Bewohner von Shatra belehren eines Besseren. Immer dann, wenn im Irak nicht selbst ernannte Führer oder Ideologen von der Koalition beschwichtigt und kooptiert wurden, sondern man auf die Stimme derjenigen hörte, die es einfach satt haben, als "arabische Straße" in Erscheinung zu treten, verhielt die Mehrheit der Iraker sich pragmatisch und rational. Sobald die Umstände es zugelassen haben, ob in den Wahlen in Nasirija, seit über einem Jahrzehnt im befreiten Irakisch-Kurdistan und in einer Unzahl von Umfragen, haben die Iraker vielmehr all denen eine deutliche Absage erteilt, die in ihrem Namen erklärten, Demokratie und "Rule of Law" sei von ihnen entweder nicht gewünscht oder ein ihnen kulturell oder religiös fremdes Konzept.


Artikel erschienen am 24. April 2004 in der "Welt"

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