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Die Konkurrenz der Optionen

Von Thomas Uwer

Beitrag zur Veranstaltung "Kriegsrat. Die Linke und der Irakkonflikt" mit Thomas Ebermann und Thomas Uwer, die die Jungle World am 13. Februar in Berlin präsentierte.


Der auffälligste Unterschied zwischen uns sei gleich vorweggeschickt. Er scheint mir in der grundlegend verschiedenen Perspektive zu liegen, von der aus man den Irak und den nunmehr um ihn ausgebrochenen Konflikt betrachtet.

Hier geht es, wenn über den Irak gesprochen wird, üblicherweise nicht um den Irak selbst, sondern immer um etwas anderes: um Öl, imperialistische Interessen, die Vorherrschaft der USA, den »Medienkrieg«, den »virtuellen Krieg«, den »Krieg der Rassen«, der »Kulturen«.

Offensichtlich reicht es auch in der Linken aus, die Worte Öl, USA und Krieg in beliebiger Reihenfolge zu arrangieren, um ein Statement zum Irak zu verfassen. Der Rest ist dann eine reine Fingerübung. Ein par Ölpreise hier, Krieg ist immer schlecht, »das Volk zahlt immer die Zeche«, und wer zur Linken gehört, sieht vorneweg auch immer ein paar linke Bellizisten marschieren.

Hier lauert bereits die erste Enttäuschung, denn den Bellizismus kann ich Ihnen nicht bieten. Denn darüber, ob Sie für einen solchen Krieg sein sollten oder dagegen, kann ich nichts sagen. Die Frage ist – ein instrumentelles Verhältnis zur Gewalt vorausgesetzt – ob unter bestimmten Voraussetzungen militärische Gewalt sinnvoll und richtig sein kann. Diese Frage ist derzeit nicht zu beantworten. Und zwar so lange nicht, bis klar ist, wie und gegen wen gerichtet dieser Krieg erfolgen wird.

Entscheidend wird sein, welches Ziel vor Ort verfolgt wird, ob es also um den Sturz Saddam Husseins und des Ba’ath-Regimes geht oder erneut um dessen Eindämmung und vielleicht um einen Personalwechsel auf oberster Ebene, wie wir es aus dem Jahr 1991 kennen. Dies, und nicht die Frage nach Krieg und Frieden, scheint mir zentral zu sein, und diese Frage ist trotz aller Verlautbarungen aus Washington meiner Auffassung nach noch längst nicht geklärt. Die Zukunft des Irak wird nicht im Pentagon allein ausgeheckt, die Haltung Deutschlands und Frankreichs zielt letztlich darauf, das scheinbar »Schlimmste« zu verhindern.

Ich werde mich bemühen, Ihnen einige der Voraussetzungen des Konflikts zu beschreiben. Umgekehrt glaubt die Mehrheit der Deutschen ganz genau zu wissen, worum es bei der Sache gehen wird. Die USA, so lautet eine der geläufigen Antworten, wollen nur das nächste diktatorische Marionettenregime einsetzen, das ihnen die Kontrolle über die Erdölvorkommen sichert. Die andere Variante lautet, dass ein Flächenbrand, also ein Krieg der Minderheiten, ausbrechen wird und die ganze Region zu den Separatisten und Islamisten überlaufen wird.

Eine dritte Variante liegt in der offensiven Leugnung dessen, was das irakische Regime bewiesenermaßen angerichtet hat. Die in der jungen Welt dargelegte so genannte Halabja-Lüge behauptet schamlos, dass es ernsthafte Hinweise darauf gäbe, der Irak habe niemals Giftgas in der kurdischen Stadt Halabja eingesetzt.

Die deutsche Beteiligung an der Aufrüstung des Irak mit chemischen Waffen und die wissentliche Beihilfe zum Mord an den Kurden wird mit derselben Resistenz gegenüber Tatsachen geleugnet, mit der andere vor ein paar Jahren Rudolf Scharpings erfundenen Gräueln im Kosovo Glauben schenkten. Beide sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie der deutschen Vorstellung von ihr entspricht.

Worum also geht es im Irak? Es geht um ein Regime, das wie kein anderes vor ihm das Land kolonisiert hat, das die Bevölkerung unterdrückt und die gesamte Wirtschaft einer rücksichtslosen Wertabschöpfung zuerst durch die Parteielite und dann durch die Familie Saddam Husseins unterworfen hat.

Nahezu eine Million irakische Bürger sind dem Regime zum Opfer gefallen. Mehr als 10 000 Kommunisten, Liberale und Kurden wurden seit Anfang der siebziger Jahre ermordet. Gewerkschaften, Jugend- und Studentenverbände, Frauenorganisationen, Parteien wurden aufgelöst und durch Ba’ath-Verbände ersetzt. Der repressive Wohlfahrtsstaat von einst, der so genannte arabische Sozialismus, hat als großflächiges Klientelsystem, finanziert von der Ölrente und kontrolliert von der Ba’ath-Partei, jede Herausbildung von Klassenstrukturen und

-interessen, also von Klassenkampf, unterdrückt. Wer nicht spurt, wird im Irak bestraft, und das ist seit Mitte der achtziger Jahre praktisch die ganze Bevölkerung.

Lange bevor das Embargo gegen den Irak verhängt wurde, war der Staat pleite und längst nicht mehr in der Lage, die Grundbedürfnisse zumindest der Bevölkerung zu decken. Zwei internationale Kriege hat das Regime angezettelt. In den siebziger Jahren wurde zuerst der schiitische Klerus bekämpft, dann kamen die Kurden dran. Dabei wurden mehr als 4 000 Dörfer systematisch zerstört, 100 000 Kurden wurden umgebracht. In 41 Fällen wurden nachweisbar chemische Kampfstoffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt.

Unter diesen Voraussetzungen ist alle Politik gegenüber dem Irak immer auch Kriegspolitik, und selbst die scheinbar zivilen Bereiche, wie z.B. der Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland, waren immer auch Kriegspolitik, indem man das irakische Regime mit chemischen Waffen und anderen Gütern versorgte.

So geht es auch heute nicht um Krieg oder Frieden, sondern lediglich um die Wahl zwischen zwei Optionen des Krieges. Die Frage wäre also, ob dieser Krieg jetzt den permanenten Krieg, den das irakische Regime gegen die eigene Bevölkerung führt, beenden kann oder nicht.

Bisher hat sich Saddam Hussein wechselnder Unterstützung von außen erfreut. Es ist hinlänglich bekannt, dass die USA die irakische Diktatur gegen die islamische Revolution im Iran unterstützt haben. Was immer wieder verschwiegen wird, ist, dass nicht nur die USA, sondern eine ganze Reihe anderer Länder dies auch getan haben, natürlich auch Deutschland, das 70 Prozent – und damit wesentlich mehr als die USA und jedes andere Land – der Fertigungsanlagen und vor allem des technischen Know-hows zur Herstellung der chemischen und biologischen Waffen, um die es heute geht, geliefert hat.

Containment wurde das genannt. Diktatorische Regimes wurden an der Macht gehalten, weil sie eben den schmutzigen Job gegen die echten und halluzinierten Feinde, also Kurden, Kommunisten, Islamisten und die Bevölkerung insgesamt, so wunderbar erledigten. Wer also glaubt, die Diktatur Saddam Husseins allein aus der inneren Entwicklung des Ba’ath-Staates erklären zu können, und dabei die Rolle vergisst, die Amerika und Europa in dieser Geschichte gespielt haben, ist beschränkt. Wer aber meint, die Geschichte des Landes einzig über den Ölmarkt erklären zu können, dem ist nicht mehr zu helfen.

Diese Containment-Politik im Nahen Osten funktioniert nicht mehr, wahrscheinlich hat sie niemals richtig funktioniert. Im arabischen Nahen Osten hat sich eine Dynamik entwickelt, an deren Ende der antisemitische Terror gegen Israel und der Angriff des 11. September als sichtbarer Ausdruck stehen. Damals wurden die USA von Attentätern getroffen, die entweder aus eng verbündeten Staaten wie Saudi-Arabien stammten oder sich dort aufhielten und das Attentat planten. Wer zuvor als Verbündeter galt, stellte sich als Feind heraus. Allein das hat lange gültige Prämissen der amerikanischen Außenpolitik in Frage gestellt.

Seitdem scheint es sich zumindest in Teilen des amerikanischen Establishments herumgesprochen zu haben, dass die gewohnte Politik zur Stützung nahöstlicher Eliten gescheitert ist. Die Regimes bestrafen jede oppositionelle Äußerung als Verrat, Kritik ist nur im Rahmen einer panarabisch oder panislamisch verbrämten Ablehnung äußerer Feinde – nämlich des Zionismus, des Imperialismus – erlaubt.

Es geht um Länder, in denen jede Demonstration, die sich eben nicht gegen Israel und die USA richtet, sofort verboten und niedergeknüppelt wird. Mit dem Ergebnis, dass seit 1970 keines dieser Regimes abgewählt oder gestürzt oder ihre Elite wenigstens personell abgelöst wurde. Ussama bin Laden und seine Freunde stammen aus der Elite der Herrschaftshäuser, nicht aus den elenden Massen der gefürchteten arabischen Straßen. Der unbedingte Krieg der al-Qaida fügt sich perfekt ein in das herrschende Gemisch aus Islam, Panarabismus und Antisemitismus, aus Unterdrückung, Verelendung und Klientelismus, mittels dessen sich die Eliten an der Macht gehalten haben.

Saddam Hussein stellt den ideellen Vertreter dieser Ordnung dar, nicht nur, weil er Selbstmordanschläge in Israel finanziell belohnt und Verbindungen zu al-Qaida unterhält, an denen man getrost zweifeln kann. Sondern weil er wie kein anderer den Wahn panarabischer Herrschaft unentwegt vorexerziert gegen die eigene Bevölkerung, die sich nichts sehnlicher wünscht, als die Diktatur endlich loszuwerden.

Vor diesem Hintergrund spielt auch die Frage der Massenvernichtungswaffen eine Rolle. Hussein meint es bitter ernst, wenn er ankündigt, Tel Aviv von der Landkarte zu streichen. Die irakische Bevölkerung weiß das, weil sie Ähnliches erlebt hat. Sie weiß daher auch, dass nicht Israel, sondern Saddam Hussein ihr Problem ist.

Darin ist ein wichtiger Grund für die Zuspitzung des Konflikts im Irak zu suchen. Menschen im Irak sind, wie zurzeit vielleicht in keinem anderen arabischen Land, willens, die eigene Regierung zu stürzen, und das ist revolutionär im arabischen Nahen Osten. Sollte ein Umsturz im Irak gelingen, so wäre der Wahn, dass Besserung nur durch die Herstellung arabischer oder islamischer Einheit erreichbar ist, widerlegt. Wenn im Irak gezeigt würde, dass gegen Verelendung und Diktatur auch ein Sturz des eigenen Regimes hilft, so wäre die Herrschaft der arabischen Eliten grundsätzlich in Frage gestellt. Es mag sicherlich absurd erscheinen, dass dies ausgerechnet von jenen gewünscht wird, die zuvor diese Regimes stützten. Es mag auch richtig sein, dass sie dies aus den falschen Gründen tun.

Dennoch ist es richtig, was sie wollen. Fraglich ist in der Tat allerdings, wie dies vor sich gehen soll und ob es auch funktioniert. Der Sturz Saddam Husseins ist selbstredend nicht das Ende von Abhängigkeit und kapitalistischer Herrschaft. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber scheint vielmehr die Regierung der USA zu glauben, ein demokratischer Staat würde ihren Interessen wirksamer und dauerhafter dienen als die Aufrechterhaltung einer Diktatur.

Genau darin liegt die große Hoffnung, der sich die irakische Opposition verschrieben hat, und genau darin könnte ganz praktisch und konkret eine Befreiung bestehen, eine Befreiung der Menschen, wenn man so will, ins Diktat des Marktes hinein. Diese Perspektive ist keine rein antideutsche, sie ist keine bellizistische, sondern eine zutiefst internationalistische. Das Objekt, an das sie sich wendet, ist die irakische Bevölkerung, das Ziel ist deren Befreiung von einer faschistischen Diktatur.

Daraus erklärt sich umgekehrt auch, warum es die viel beschworene linke Antikriegsbewegung nicht gibt, sondern nur eine deutsche Friedensbewegung. Ihr Adressat ist nicht die irakische Bevölkerung, sondern das »irakische Volk«, das auf jedem Flugblatt auftaucht. Die Friedensbewegung landet so bei der Aufrechterhaltung einer unhaltbaren Herrschaft, die beständig den »Willen des arabischen Volkes« mit den Zielen diktatorischer Eliten in eins setzt.

Ich habe von der unterschiedlichen Perspektive gesprochen, die wir einnehmen. Sie rührt daher, dass ich mich den Menschen im Irak gegenüber eben nicht neutral verhalten kann. Es ist mir ein Herzensanliegen, dass dieser Faschist Saddam Hussein und seine gesamte Ba’ath-Clique endlich gestürzt und zum Teufel gejagt werden. Weil mir etwas am Irak, weil mir etwas an den Menschen im Irak und weil mir auch etwas an der ganzen Region und an Israel liegt.


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