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Ohne Krise keine Knete

von Thomas von der Osten-Sacken

In extrem armen Ländern, so liest und hört man angesichts des G-8-Gipfels ständig, könne sich keine Demokratie entfalten, schon gar nicht wenn die Mehrheit der dort lebenden Menschen Muslime seien. Arme seien, so heißt es, von demokratischer Partizipation ausgeschlossen, ihnen ginge es zudem an erster Stelle um so existentielle Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser und Unterkunft.

Dass es in Wirklichkeit extrem arme islamische Länder geben könnte, in denen Rechtsstaatlichkeit herrscht und frei gewählte Parlamente den Vorgaben säkularer Verfassungen folgen, erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten undenkbar. Ein Blick auf die Weltkarte der Organisation Freedom House, die jährlich die demokratische Verfasstheit aller Staaten misst, ist ja auch in hohem Maße ernüchternd. Von allen Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung war jahrelang nur eines, nämlich Mali, als frei eingestuft. Nun sind Indonesien und der Senegal hinzugekommen. Kein weiteres Dutzend Länder aus der islamischen Welt gilt als halbwegs frei.

Umso drängender wäre es doch, sich mit diesen wenigen Demokratien eingehender zu befassen. Aber wer hat ernsthaft schon etwas von Mali gehört, dem viertärmsten Land der Welt, mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von gerade einmal 400 Euro und einer mehrheitlich sunnitisch-islamischen Bevölkerung?

Dabei gilt das Land, in dem dieser Tage der Anti-G-8-„Gipfel der Armen“ stattfindet, seit Jahren als eines der „demokratischsten Länder Afrikas“, wie es kürzlich auch in einer Studie des „United States Institute of Peace“ hieß.

In Mali herrscht Pressefreiheit, die Regierung kann und wird abgewählt und die Verfassung ist säkular. Selbst islamische Parteien fordern nicht die Einführung der Scharia. Auch wenn Frauen in Mali noch immer Diskriminierungen ausgesetzt sind, stellen sie doch fünf der 28 Ministerposten.

Und selbst die in Afrika notorische Korruption, eines der größten Entwicklungshindernisse, wurde in den vergangenen Jahren in Ansätzen erfolgreich bekämpft.

Der kleine Staat mit 13,4 Millionen Einwohnern scheint zu schaffen, was entwicklungspolitischen Debatten zufolge ein Ding der Unmöglichkeit ist. Doch nicht ohne Bedrohung. So fließen Millionen an Petrodollars aus Saudi-Arabien und dem Iran in das Land. Die wichtigste Brücke in der Hauptstadt Bamako ist nach dem ehemaligen saudischen König Fahd benannt. Mit derartigen Projekten versuchen islamistische Staaten, denen die säkulare und freie Verfasstheit des Landes ein Dorn im Auge ist, die Herzen der Malianer zu gewinnen. Bislang scheinen sie dabei erfreulicherweise nicht den gewünschten Erfolg gehabt zu haben.

Nur stehen diesen Bemühungen nichts Entsprechendes aus Europa entgegen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) etwa finanzierte im Jahr 2006 Projekte im Wert gerade einmal von 26 Millionen Euro in Mali. Diese Hilfe zielt den Angaben der Behörde zufolge vor allem auf Armutsbekämpfung. Mali erhält demzufolge Geld, weil es arm, nicht weil es demokratisch ist.

Vergebens auch sucht man Frauenrechtlerinnen oder Politiker aus Mali in deutschen Talkshows oder Dialogforen. Dabei könnten sie aus ihrer Praxis wichtiges über so aktuelle Themen wie Islam und Säkularismus beitragen und wären sogar, anders als die meisten anderen „Dialogpartner“, demokratisch legitimiert.

Offenbar pflegt man lieber weiter den Dialog mit dem Iran und anderen Islamisten, während das BMZ etwa die Palästinensische Autonomiebehörde für Terror, Autokratie und Korruption mit 110 Millionen Euro im laufenden Jahr prämiert, von Hilfsgeldern an Länder wie Syrien ganz zu schweigen.

Sollten allerdings radikale Islamisten eines Tages in Mali an Einfluss gewinnen und das Land mit Terror überziehen, dann wird es ganz sicher genug Politiker in Europa geben, die lautstark zum Dialog mit dem Islam rufen werden.

Der Autor ist Geschäftsführer der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation Wadi e. V.


Artikel erschienen im Tagesspiegel am 06. Juni 2007


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