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Barbarei mit Kalkül

Terror im Irak

von Thomas von der Osten-Sacken, Suleymaniah

Verblüffenderweise sind die arabischen Satellitensender al-Jazeera und al-Arabiya immer dann zur Stelle, wenn der »irakische Widerstand« zur Tat schreitet. So wurden vergangenen Mittwoch die Bilder aus Falluja, wo vier Mitarbeiter der US-amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater getötet, von einem grölenden Mob zerstückelt, durch die Straßen geschleift und dann an einer Brücke wie Trophäen aufgehängt wurden, auch live und voller zustimmender Schadenfreude gesendet. Seit Mogadischu 1993 gehören solche Szenen zum Repertoire des islamistischen und panarabischen Aufstandes gegen die USA und Israel.

Es ist kein Zufall, dass Falluja zum Schauplatz dieser jüngsten Bluttat wurde, die sogar die in Saudi-Arabien ansässigen ArabNews als »Barbarei in Reinform« verurteilten. Jahrzehntelang lebte ein Teil der Bevölkerung von staatlichen Alimenten des Ba’ath-Regimes, die sie sich vornehmlich als Spitzel, Folterknechte und Offiziere der Republikanischen Garden verdiente. Der Lynchmob benahm sich dabei so, dass andere Iraker, vornehmlich die unzähligen Opfer des Regimes, sich an vergangen geglaubte Zeiten erinnert sahen.

Die Anwendung öffentlich inszenierter Gewalt, etwa bei Verstümmelungen und Exekutionen von dissidenten Zivilisten, waren ein wichtiges und und exzessiv angewendetes Herrschaftsinstrument des Ba’athismus. Jene Jugendlichen, die Körperteile der getöteten Amerikaner wie Trophäen in die Kamera hielten und dabei Allah und Arabien priesen, sind das Produkt eines auf Terror, Angst und Brutalität fußenden Systems.

Als dieses Regime vor einem Jahr beseitigt wurde, stürzten Orte wie Falluja in eine tiefe Krise. Untergetauchte Ba’athisten fanden in Falluja ebenso Zuflucht wie ausländische Jihadisten und al-Qaida-Kämpfer. Da fortan reichlich Geld aus Saudi-Arabien floss, konnten die arbeitslos gewordenen Schergen des verflossenen Regimes mühelos für neue Aufgaben gewonnen werden.

Ernsthafte Schritte zur Unterbindung dieses Treibens haben die USA bislang nicht unternommen. Die von interessierter Seite vorgetragene Behauptung, im sunnitischen Dreieck hätten die »Besatzer« eine Diktatur errichtet, strafen alleine die Bilder vom vergangenen Mittwoch Lügen: Niemand innerhalb des Mobs sah sich genötigt, sein Gesicht zu verbergen, offenbar rechnete man nicht mit Vergeltung.

Dabei scheint die Inszenierung des Massakers vorbereitet gewesen zu sein. Al-Qaida wollte, so der Terrorismusexperte Steven den Beste, einen undurchdachten, gegen ganz Falluja gerichteten Vergeltungsschlag der USA provozieren und plante die »spontanen« Reaktionen des Mobs dabei in sein Kalkül ein. Längst haben die Jihadisten begriffen, dass die USA sich nicht durch die Produktion von schockierenden Bildern werden vertreiben lassen. Wie zuvor die Suicide Bombings gegen Schiiten und Kurden sollte dieses Massaker helfen, einen Bürgerkrieg zu entfachen, um die gefürchtete demokratische Veränderung des Irak aufzuhalten.

Einen Bürgerkrieg zu verhindern, ist allerdings oberstes Ziel der USA, die folglich mit äußerster Zurückhaltung reagierten. Die Täter aber, deren Gesichter inzwischen weltweit bekannt sind, müssen, wie Peggy Noonan im Wall Street Journal fordert, gezielt und unnachgiebig verfolgt, gefasst und zur Verantwortung gezogen werden. Weder dürfen »die Sunniten« dabei entsprechend dem Kalkül der al-Qaida und des »irakischen Widerstandes« kollektiv für die verübte Bestialität verantwortlich gemacht werden, noch darf durch Nichtstun die Behauptung der al-Qaida Bestätigung finden, die USA seien lediglich ein Papiertiger.


Artikel erschienen in Jungle World 16 - 07. April 2004


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