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„Keine Zustände wie im Irak“

Interview mit dem syrisch-kurdischen Oppositionspolitiker Kheredin Murad

Seit der Ermordung des syrienkritischen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 steht das syrische Ba´th-Regime unter Präsident Baschar Assad international unter Druck. Denn vieles spricht dafür, dass an diesem Anschlag syrische Kräfte beteiligt waren. Auch in Syrien selbst regt sich die Opposition. Insbesondere die syrischen Kurden verlangen nach Demokratisierung.

Wie stellt sich die Situation in Syrien ein Jahr nach der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Hariri dar?

Der Druck der syrischen Bevölkerung auf das Regime hat in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Nicht nur die Kurden, die seit dem Aufstand in Qamishli 2004 immer wieder auf der Straße protestiert haben, auch viele Araber wollen nicht mehr unter diesen Bedingungen leben. Die Forderungen nach Demokratisierung, Presse-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit und nach der Freilassung politischer Gefangener sind in letzter Zeit lauter geworden. Außerdem hat der Druck der internationalen Staatengemeinschaft, insbesondere der UNO, deutlich zugenommen. Seit dem Mord an Hariri wird verlangt, dass das syrische Regime mit den Ermittlern zusammenarbeitet und Rechenschaft über die Verwicklung an dem Mord ablegt.

Wie ist in diesem Zusammenhang die Flucht des ehemaligen syrischen Vizepräsidenten Halim Khaddam nach Paris einzuschätzen?

Die Flucht von Khaddam, der über 40 Jahre wichtige Positionen in der syrischen Regierung eingenommen hatte, hat in der arabischen Welt großen Eindruck hinterlassen. In einem Interview mit der arabischen Zeitung al-'Arabiya hatte er den syrischen Präsidenten Assad bezichtigt, hinter der Ermordung von Hariri zu stehen, und scharfe Kritik an jenem Regime geübt, dem er selbst jahrelang angehört hat. Jetzt kritisiert er, dass es in Syrien keine Freiheit und Demokratie gäbe. Er will dazu beitragen, die Opposition zu sammeln. Das syrische Regime steht damit unter innen- und außenpolitischem Druck und wird einiges ändern müssen, wenn es an der Macht bleiben will.

Die Realität der syrischen Opposition ist jedoch von Einheit weit entfernt. Wie ist das Verhältnis zwischen kurdischer und arabischer Opposition einerseits, zwischen säkularer und islamistischer Opposition andererseits?

Die syrische Opposition ist nach Jahrzehnten der Herrschaft der Ba´th-Partei sehr geschwächt und zersplittert. Zudem gibt es eine Reihe von Fragen, in denen sich die syrische Opposition uneinig ist, etwa beim Verhältnis zwischen Staat und Religion oder bei den Rechten der Kurden und anderer nichtarabischer Bevölkerungsgruppen in Syrien. Wir Kurden verlangen die Anerkennung unserer Rechte, was auch für viele arabische Oppositionsparteien alles andere als selbstverständlich ist.

Strebt ihre Partei einen unabhängigen kurdischen Staat an oder ein demokratisches Syrien? Könnte es ähnlich wie im Irak eine Autonomie innerhalb Syriens geben?

Die Entwicklung im Irak hat den Kurden in Syrien und in den anderen Nachbarstaaten Hoffnung gegeben. Wir Kurden stellen 15 Prozent der Bevölkerung Syriens dar und wollen als gleichberechtigte Nation in diesem Staat anerkannt werden. Dazu zählt die Anerkennung unserer Sprache als Amts- und Unterrichtssprache, die Rücknahme der Vertreibungen von syrischen Kurden durch das Projekt eines „arabischen Gürtels“ an der türkischen Grenze sowie die Anerkennung der syrischen Staatsbürgerschaft für die syrischen Kurden. Seit 1962 mehreren hunderttausend syrischen Kurden die Staatsbürgerschaft abgesprochen wurde, sind sie und ihre Nachkommen „Staatenlose“. Assad hat schon vor Monaten versprochen, dieses Problem zu lösen. Umgesetzt wurde dieses Versprechen bis heute nicht.

Auch die kurdische Opposition selbst ist in Syrien keineswegs geeint.

Die bedeutenderen Gruppierungen haben sich in zwei Allianzen organisiert: Die „Kurdische Demokratische Allianz“, vier Parteien unter Führung der KDP Syrien, sowie die „Kurdische Demokratische Front“ um unsere Partei. Neben diesen beiden Allianzen gibt es noch zwei kleinere Gruppen. Diese Zersplitterung ist sicher ein Problem, aber die Bildung dieser Parteifronten zeigt, dass wir gewillt sind, stärker zusammenzuarbeiten.

Worin bestehen die inhaltlichen Differenzen?

Die KDP-Allianz ist eher traditionell orientiert und hat sich immer wieder von den Demonstrationen der letzten Monate distanziert. Die KDP weigert sich zurzeit, auf Konfrontationskurs mit der Regierung zu gehen. Wir hingegen vertreten das linke politische Spektrum der kurdischen Nationalbewegung in Syrien und sind in den Protestbewegungen der letzten Jahre sehr aktiv.

Während die USA in den letzten Monaten den Druck auf Syrien erhöht haben, scheint Europa trotz der von der Regierung inszenierten Karikaturen-„Proteste“ gegen EU-Botschaften weiterhin an guten Beziehungen mit dem syrischen Regime interessiert zu sein. Welche Haltung wünschen Sie sich von Europa?

Wir haben grundsätzlich nichts gegen Beziehungen zu Syrien einzuwenden. Die Frage ist nur, ob diese genutzt werden, die Menschenrechtsverletzungen durch das Ba´th-Regime anzuprangern und Demokratisierung und Anerkennung unserer Rechte als Kurden einzufordern. Dies geschieht von Seiten der EU-Staaten zu wenig. Ohne ihre Unterstützung wird es schwierig sein, einen friedlichen Wandel in Syrien herbeizuführen.

In Europa herrscht Sorge vor einer Entwicklung wie im Irak. Dort hat sich die Demokratisierung nicht so entwickelt, wie manche Optimisten erhofft haben. Stattdessen ist das Land von Terror und ethnisierten Konflikten geprägt.

Wer eine solche Entwicklung in Syrien verhindern will, muss Druck auf das Regime ausüben, um einen friedlichen Übergang zur Demokratie zu ermöglichen. Es liegt nicht in unserem Interesse, einen Zerfall Syriens und Zustände wie im Irak zu provozieren. Das Regime selbst befördert mit seinem Autoritarismus eine solche Entwicklung. Deshalb muss rasch mit einer Transformation des Staates in Richtung einer modernen Demokratie begonnen werden, um nicht auf Dauer zu einem „failed state“ zu werden.


Kheredin Murad ist Generalsekretär der kurdischen Azadi-Partei in Syrien. Sie wurde 2005 als Vereinigung der Kurdischen Linkspartei und der Kurdischen Volksunion gegründet und stellt neben der KDP-Syrien die größte kurdische Oppositionspartei des Landes dar. Trotz der Repression gegen seine Partei lebt Murad immer noch im kurdischen Teil Syriens.

Interview: Thomas Schmidinger.

erschienen in: iz3w, April/Mai 2005, Nr. 292, S. 10


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