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"Deutsche Friedenfreunde; Von der Kritik des Imperialismus zur Kritik des Antiimperialismus"

Rede gehalten auf dem Kongreß der Zeitschrift Konkret "Deutschland führt Krieg" am 18. 1. 2002

1) Der Einladungstext zu dieser Konferenz scheint an einigen Punkten der Revision bedürftig. Denn es wird im Zusammenhang mit dem so genannten "Krieg gegen den Terrorismus" sehr wohl und sogar etwas zu ausführlich von "Geld und Macht, von Öl und Hegemonie" gesprochen und geschrieben, und zwar im Spiegel im Stern, in FAZ und taz ebenso wie in der "Jungen Freiheit". Wobei allerdings, und dies ist Sinn der Sache, von Dollars und den Plänen der amerikanischen Ölindustrie, nicht von Euros und deutsch-europäischen Interessen die Rede ist. Über das Kalkül der USA werden so viele Informationen geliefert, dass die Friedensfreunde von "kein-blut-fuer-oel.de" kaum hinterherkommen, die Meldungen aus der bürgerlichen Presse über Gasvorkommen, Pipelines und ähnliches in die, ihnen eigene, Sprache ihrer Homepage zu übersetzen.
Deshalb, scheint mir, auch lehnen diejenigen, die in der Kongreß-Einladung "die Kritiker" genannt werden, weniger die Kriegsziele ab, als vielmehr die Kriegsherren, nämlich die USA, die angeblich wegen der "Umsatzrendite" einen "Vernichtungskrieg" (Karl Heinz Böhm) in Afghanistan führen und denen vorgeworfen wird, dort die unschuldige Zivilbevölkerung per Bombenteppich hinzumorden.
Eine Kriegsstimmung hingegen kann ich in diesem Land nicht feststellen. Im Gegenteil, herrschte doch seit 1991 keine so einmütige Ablehnung eines Krieges mehr in Deutschland wie jetzt - wohl auch deshalb, weil dieser Krieg bislang eben kein deutscher Krieg ist. In diesem Zusammenhang wäre es sicher erhellend die Statements führender Politiker und Kommentatoren über den Afghanistaneinsatz mit denen vor ein paar Jahren zu vergleichen, als deutsche Außenminister Serbien noch per Gewaltdrohung in die Knie zu zwingen wünschten.
Auch die "uneingeschränkte Solidarität mit den USA", die Kanzler Schröder im September verkündete, erwies sich als leere Phrase, als diese von US-Außenminister Collin Powell auch gefordert wurde und nicht mehr nur zur Rechtfertigung innenpolitischer Repression - durch die sogenannten Anti-Terrorgesetze - und der Durchsetzung einer eigenen Militärpolitik ohne den Dünkel deutscher Geschichte diente. Einmal mehr haben die Deutschen im Windschatten der "transatlantischen Freundschaft" ihre ganz eigenen Ziele verfolgt: Erstmals können deutsche Soldaten nun in alle Welt entsendet werden, ohne dass Ausschwitz als Legitimation herhalten musste, die seit Jahren geforderte außenpolitische Normalität wurde im Bundestag beschlossen, ohne dass bislang auch nur ein Schuss abgefeuert werden musste. Die praktische Tatenlosigkeit der an der Schlechtwetterfront festsitzenden deutschen Nachschubsoldaten liegt nicht an den fehlenden Möglichkeiten, sondern daran, dass im Moment es erklärtes Ziel des deutschen Einsatzes ist, die USA davon abzuhalten, Regimes zu beseitigen, an deren Fortexistenz die Deutschen und die EU ein manifestes Interesse haben. Schröders uneingeschränkte Solidarität entpuppte sich als Erklärung, dabei sein zu wollen, um "Schlimmeres" zu verhindern. Deshalb auch gab die Bundesregierung umgehend bekannt, militärisch sich "in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen" zu wollen. Und es sind gerade linke Blätter, die in bewährter deutscher Arbeitsteilung - die Opposition fordert, was die Regierung (noch) nicht umsetzen darf - das Interesse der deutschen Regierung einfühlsam erklären: Ein möglicher Angriff auf den Irak werde, so Michael Jäger im Freitag "von der öffentlichen Meinung (und den Regierungen) nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas einhellig abgelehnt." Ähnlich wie 1991 verhält es sich also wieder so, dass auf Demonstrationen mehr oder weniger gefordert wird, was die Regierung eh zu tun plant. Nicht Dissens, sondern Zustimmung zeichnet die Friedensaufrufe aus, die deshalb auch ähnlich lustlos wirken wie der "Aufstand der Anständigen" im vergangenen Jahr. Wer von der Regierung lediglich fordert, keine deutschen Soldaten an den Golf zu schicken, fordert nur, was diese auch will.
Es ist dies eine Art Pazifismus, der den deutschen Interessen so dient, wie der menschenrechtsorientierte Bellizismus vor drei Jahren. Mir scheint hier eine bemerkenswerte Analyse von Werner Pirker in der "jungen welt" zuzutreffen, dass Pazifismus und Bellizismus nur zwei Ausdrucksformen der gleichen bürgerlichen Ideologie sind.
Bis jetzt zumindest ist der Einsatz der Bundeswehr wirklich eine "Peace Keeping Misson" zum Schutze Saddam Husseins und anderer Regimes im Nahen Osten. Und er wird es vermutlich auch bleiben, bestenfalls wird sich die Bundeswehr, wie 1991, am Rande des Geschehens mit ein paar Soldaten beteiligen, aber nur wenn es keine andere Alternative mehr gibt, damit am Ende zumindest für die deutsche Wirtschaft noch ein Stück vom Kuchen abfällt. Von sich aus führt Deutschland gegen Antisemiten und andere Alliierte im Nahen Osten keinen Krieg, und auch der Islamismus war und ist bislang immer ein enger Verbündeter, nie der Feind Deutschlands, gewesen.
Nur vor diesem Hintergrund stimmt der Text der Ankündigung dieser Konferenz, dass im Rahmen der auf Kriegsverhinderung abzielenden Politik Deutschlands nämlich - was in diesem Falle bedeutet: die Zementierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse im Nahen Osten im Sinne von BdI und AA - von "Öl und Hegemonie" nicht die Rede ist. Und zwar weil Deutschland bekanntermaßen immer für höhere und hehre Menschheitsziele in den Krieg zieht und über ökonomische und andere materielle Begehrlichkeiten erhaben ist, wie schon Marx und Engels in der "Deutschen Ideologie" feststellten: "Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen."

Bevor ich nun näher auf diese "Borniertheit" eingehe, noch eine Anmerkung: Die Forderung deutsche Soldaten sollen nirgends in der Welt aus welchem Grund auch immer eingesetzt werden, bedarf keiner geopolitischen oder wie auch immer gearteten tagespolitischen Rechtfertigung. Von daher erübrigt es sich, noch einmal und an dieser Stelle zu erläutern, warum die Bundeswehr statt zu "Out of Area"-Einsätzen zum Teufel geschickt gehört.

2) Nun zum Überbau, zur seit dem 11. September in Hülle und Fülle gelieferten Ideologie, die sich in Deutschland vornehmlich in Form des Ressentiments zu rationalisieren pflegt. "Gerade weil die Anschläge ohne Bekenntnis geblieben sind", bemerkte richtig Wolfgang Kraushaar, "stieg ihre symbolische Aufladung schier ins Unermessliche". Eine Aussage, die insofern noch zu erweitern wäre, als dass nicht nur allerhand in Al Qaida hinein projiziert wurde, was diese Organisation nie gesagt hat, sondern ihre erklärten Ziele vielmehr als durchaus legitim wahrgenommen werden, wie Ussama bin Ladens Forderung eines Abzugs der Amerikaner von heiligem Boden und damit aus Saudi Arabien und Israel.
Hören wir nun hierzu Herbert Grönemeyers Vorschläge, vorgebracht in einer mimetisch seinem Gesang angepassten Syntax,: "Unparteiische Klärung des Nahostkonfliktes, amerikanisches Versprechen, sich zurückzuziehen aus dem Mittleren Osten und jedes Interesse an Gas und Öl in der kaspischen Region aufzugeben." Oder den guten Ami von der jungen welt, den amerikanischen Kriegsgegner John Catalinotto: "Der Frieden kann nur gewonnen werden, wenn die USA ihre Streitkräfte aus dem Mittleren Osten abziehen." Oder "Kein Blut für Öl": "Würden die USA tatsächlich gegen den Terrorismus zu Felde ziehen, müssten sie erst einmal die Ursachen für ihn beseitigen(…): Die Vereinigten Staaten müssten Israel unter Druck setzen, damit es seine Truppen aus Palästina zurückzieht. Der Boykott gegen Irak müsste sofort eingestellt werden." Ergänzend erklärte Pierre Bordieu den Standpunkt des französischen Linken: "Der islamische Fundamentalismus ist eine extreme, aber verständliche Reaktion auf die Lage der arabischen und islamischen Staaten und Völker."
Ussama bin Laden kann sich also, wie zuvor schon Saddam Hussein und die Hamas, kaum retten vor lauter Verständnis. Zwar sind die Mittel von Al Qaida dem deutschen Friedensfreund zu gewalttätig, die instinktiv verstandene Ursache aber umso verständlicher, zumal als der so genannte "Rachefeldzug der USA", bei dem kürzlich irgendwer sich nicht zu blöd war hochzurechnen, dass jetzt mehr Afghanen als Amerikaner im World Trade Center getötet worden seien, jede Kritik bestätige.
Über Motive und Hintergründe von Al Qaida oder anderen antisemitisch-islamistischen Organisationen erfährt man hierzulande dagegen erstaunlich wenig, außer, dass ihre Täterschaft permanent in Frage gestellt wird und man lieber an Verschwörungen von Geheimdiensten glaubt, als anzunehmen, dass der islamistische Wahn im kalten Kalkül sich materialisiert hat.

3) Die Kritik am Vorgehen der USA läuft -und nicht nur in der Linken- aber auch auf eine generelle des Imperialismus hinaus, so dass der 11. September immer irgendwie in der Tradition nationaler Befreiungsbewegungen rezipiert wird. Als der arabische Knessetabgeordnete Azmi Bishara Ussama bin Laden zum "Che Guevara" des 21. Jahrhunderts" adelte, traf er den Nerv eines auf den Hund gekommenen antiimperialistischen Selbstverständnisses. Der dazugehörige Analyseersatz gipfelt in der vorgetragenen Erklärung, dass wer "Wind sähe Sturm ernte", die USA also für ihre imperialistische und massenmörderische Politik nun die Quittung erhalten hätten. So gerät eine Truppe wie Al Qaida in die Traditionslinie der sozialrevolutionären Befreiungsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte. Alleine schon um diese Befreiungsbewegungen vor ihren angeblichen Freunden in Schutz zu nehmen - und weniger weil frustrierte und depravierte Menschen zwischen Rio und Bombay in bin Laden kurzzeitig ihren Heroen entdeckten - stünde mehr als eine Analyse des Imperialismus eine Kritik des Antiimperialismus auf der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang wäre dann zumindest auch daran zu erinnern, dass die frühen völkisch-nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen traditionalistische und keineswegs sozialrevolutionäre waren. Unterstützung fanden sie jeweils bei einer anderen Großmacht, sonst wäre ihr Kampf hoffnungslos geworden. Antiimperialismus wurde erst mit dem aufkommenden Kommunismus und der Sowjetunion eine progressive, sozialrevolutionäre Kraft, spätestens mit ihrem Ende hat auch der Antiimperialismus seine bisherige Rolle ausgespielt und für ihn gilt, was Herfried Münkler mit Blick auf Angola und Afghanistan schon vor zehn Jahren beobachtete, dass nämlich "Partisanentum und Konterrevolution" sich verbinden "und der Partisan plötzlich wieder das (wird), als was er am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Vendée, in Spanien und Tirol die weltgeschichtliche Bühne betreten hatte: ein Gegner der an sozialer und politischer Modernisierung orientierten Revolution."

4) Aus dieser Beobachtung folgt, dass der einzig genuine und logische Antiimperialismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Verschwinden bzw. der Zerschlagung emanzipatorischer Befreiungsbewegungen leider jener ist, der von Horst Mahler vertreten wird. Die von ihm fortgeführte und etwa in der "jungen Welt" permanent kolportierte Vorstellung "Völker" seien handelnde Subjekte, die ihre "Eigenart" gegen den amerikanischen Imperialismus verteidigten, verdient der längeren Vorstellung, verbindet er doch idealtypisch antiimperialistische Versatzstücke mit seinem originären Anliegen, einem neo-nationalsozialistischen Antisemitismus.
"Der in der Neuen Welt nun auch zu militärischer Macht gelangte jüdische Auserwähltheitswahn duldet nicht die Völker und Nationen als selbstbestimmte Gemeinwesen. An ihnen ist der Bann zu vollstrecken: "Unterwerfung unter die Zinssklaverei oder Tod!" Das war und ist die Formel der US-amerikanischen Außenpolitik seit 1898. (...) In der Einen Welt gibt es nur noch die USA mit ihren Vasallen auf der einen und Schurkenstaaten auf der anderen Seite. Letztere werden jetzt ausradiert (Bush junior).
(...) Das Große Töten durch die judäo-amerikanische Massenvernichtungsmaschine wird solange anhalten, bis die Völker im Herrn Zebaoth den Teufel erkannt haben und ihn zur Hölle jagen werden.
(...) Höchstes Gebot ist die Selbsterhaltung der Völker gegen die Macht des Teufels. Vernünftig - und in diesem Sinne rechtens - ist alles, was den Teufel schwächt und die Völker stärkt."

Wer dagegen immer noch glaubt, objektiv gäbe es einen anderen oder besseren Antiimperialismus, der täuscht sich und andere. Mahler wenigstens ist ehrlich, weil für ihn Völker handelnde Subjekte darstellen, die in einem geschichtsteleologischen Ringen das abstrakte jüdisch-amerikanische Prinzip bekämpfen. Darin liegt ihre Aufgabe, ihre Selbsterhaltung ist ihr Zweck. Er ist sich in diesem Punkt unglaublich treu geblieben und vertritt ihn mit einer fast bewundernswerten Konsequenz seit über 30 Jahren, hatte er doch Anfang der siebziger Jahre schon versucht in Jordanien "internationale Brigaden" zum Kampf gegen den Zionismus zusammenzustellen. Anders als bei verdrucksten Antisemiten und anderen Freunden imaginärer kämpfender Völker ist seine Theorie also zumindest in sich völlig stimmig.

6). Ich möchte aus Zeitgründen jetzt nicht weiter über diese Form des als Antiimperialismus daherkommenden Antisemitismus sprechen, denn vieles und vieles gute ist in letzter Zeit darüber gesagt und geschrieben worden; wer heute etwa "Sieg im Volkskrieg. Israel muß weg" propagiert, wie die Interim dies 1992 tat, wer also in den Kampf gegen Israel an der Seite der EU zieht - hier sei nur als Stichwort Durban genannt - kann inzwischen einfach bei Horst Mahler nachlesen, was er warum tut. Denn Antiimperialismus ist heute entweder faschistisch, komplett marginal -so er noch an die ehemalige Unterstützung revolutionärer Befreiungsbewegungen anknüpft- oder eben Aufforderung an die EU den amerikanischen Kaugummikulturimperialismus abzulösen.
Zugleich scheint kein Essay und kein Kommentar in der deutschen Medienlandschaft darauf verzichten zu können, den Nahostkonflikt, also die israelische Okkupationspolitik, neben dem Welthunger als Ursache für die Anschläge auf das WTC und das Pentagon zu erwähnen. Die Grünen haben wieder einmal Schule gemacht; empörte sich 1991 wenigstens noch ein Bruchteil der hiesigen Linken über Ströbeles Erklärung, die irakischen Scudraketen seien "die logische, fast zwingende Folge der Politik Israels", so ist man sich heute von ganz rechts bis ganz links sicher, dass ohne Israel es auch keinen 11. September gegeben hätte. Folgerichtig erklärt vom Augstein bis zum Gaus jeder, der Terrorismus könne effektiv nur bekämpft werden, wenn Israel seine Politik ändere oder besser gleich vom Erdboden verschwinde. Vorgetragen wird diese Version des "Der Jude ist unser Unglück" im bekannten Duktus des Rebellen und Querdenkers, der auszusprechen wagt, was eh alle denken und schreiben. Dass jeder und er es besonders tun, fällt dem Augstein gar nicht mehr auf, wenn er etwa die rhetorische Frage stellt: "Wer will in diesen Tagen der internationalen Einigkeit schon die einzige Weltmacht kritisieren?".

6) Neben dieser Fundamentalkritik, die aufs völkische Prinzip sich beruft und für den Kampf der Völker gegen die USA und Israel - also die Juden - wirbt, und somit die Erfüllung der realen oder imaginierten Forderungen bin Ladens einfordert, gibt es noch die große Gruppe der Möchtegern-Außenminister, die aus ihren Kemenaten stets ungefragt den Herrschenden in den USA erklären, wie sie besser gegen den Terrorismus vorzugehen haben. Gute Tipps fehlen in keiner Friedensrede. Stereotyp erklären hunderte von selbsternannten Spezialisten, dass Gewalt und Krieg Terrorismus nicht bekämpfen, sondern verstärken, statt einmal nur zu lesen, was wirkliche Fachleute zu sagen haben. David Fromkin etwa kommt in seiner umfangreichen Untersuchung "Die Strategie des Terrorismus" zu der simplen Schlußfolgerung, dass Terrorismus mit staatlicher Gewalt "obwohl er nicht verhindert werden kann, jedoch immer besiegbar" sei. Gerade also effektiv und massiv gegen den Terrorismus vorzugehen liegt im Interesse von Staaten, damit nicht terroristische Gruppen, wie etwa in Algerien in den 60er Jahren geschehen, sich in Guerillaorganisationen verwandeln, die viel schwerer militärisch besiegbar sind. Aus Herrschaftslogik heraus betrachtet haben die USA also völlig richtig gehandelt, zu kritisieren sind sie von diesem Standpunkt aus nur moralisch. Dass aber tun all jene nicht, die bessere Vorschläge anbieten, wie denn Al Qaida zu zerschlagen sei. Ihre Ratschläge sind so haltlos wie ihre Herleitungen. Bislang habe ich weder Ussama bin Laden noch einen anderen Islamisten je vom Welthunger reden gehört. Nur hierzulande werden sie permanent mit den herrschenden Verhältnissen in Zusammenhang gebracht, um dann per Bodycount den USA vorzuhalten, diese würden in Wahrheit einen alttestamentarischen Rachefeldzug führen. Dabei kommt das bereits benannte Phänomen zum Tragen, dass hierzulande die Mittel des Anschlags aufs WTC ununterbrochen mit Zwecken legitimiert werden, die offenbar gar nicht die der Täter sind. Der Rest ist das bekannte Lamento über Imperialismus, Ungerechtigkeit und Globalisierung, welches nicht nur folgenlos bleibt, sondern inzwischen vor allem auf eine Stärkung der EU im innerimperialistischen Wettbewerb hinausläuft. Weder die Herren Bisky, Grönemeyer und Buchheim, noch die Damen Nena und Nicole, die alle im "stern" gegen den Krieg sich aussprechen durften, scheinen mir willens zu sein, tatkräftig sich am Sturz von Verhältnissen zu beteiligen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes Wesen ist.

6) Wenn aber die Gegner der Weltordnung vornehmlich die "freien Völker" gegen den "judäo-amerikanischen Mammonismus" unterstützen und die Kritiker eine starke EU in Konkurrenz gegen die USA, wird es schwer, sich angesichts der eigenen Ohnmacht zu positionieren. Erschwerend kommt hinzu, dass dieser Krieg kollateral sozusagen - im Nato-Neusprech - eine der widerwärtigsten Regimes überhaupt weggefegt hat und dabei die Zahl der zivilen Opfer nicht vergleichbar ist mit denen in Vietnam und Korea. Angesichts einer Welt, in der, um mich selbst zu zitieren, es offenbar nur noch darauf ankommt, in welchem Maße dem einzelnen "medizinische Versorgung, Nahrung und Bürgerrechte vorenthalten werden", unter Berücksichtigung der Prämisse also, dass im Falschen es kein Richtiges geben kann, ist der Unterschied, ob Frauen wieder zur Schule gehen können, also der ob Warlords mit oder ohne Gesinnung herrschen, einer aufs Ganze. Ebenso wie die Idee der bürgerlichen Gesellschaft, die durch ihre Praxis ununterbrochen konterkariert wird, gegen die der organizistisch-völkischen Barbarei vehement zu verteidigen ist. Das aber wäre das Gegenteil jener Affirmation des Westens, die im Ruf nach einer Weltinnenpolitik oder dem Dialog der Kulturen sich äußert, eines Westens der sich schneller in Polizei- und Sicherheitsstaaten verwandelt als die Bücher seiner Exlinken Bejubler Verleger finden.


7) Weit schlimmer als die wenigen Bejubler der "westlichen Kultur", also die Reinhard Mohrs und Sybille Tönnies', sind jene altneuen Revisionisten, die den Slogan "Krieg löst keine Probleme" unters Volk bringen und zugleich die Geschichtsblindheit einer Linken fortschreiben, die unfähig ist, ihre eigene Existenz als Folge eines Dauerscheiterns wahrzunehmen. Einer Linken, die, glaubt man dem amerikanischen Soziologen Gabriel Kolko, selbst, wenn auch ungewollt, das Produkt von Kriegen ist. Keine Revolution in Europa oder Asien hätte ohne Krieg je stattgefunden, das spezifische Dämliche und hochgradig Amoralische an einer deutschen Linken, die sich axiomatisch gegen den Krieg ausspricht aber hat W. Pohrt ein für alle Mal 1983 festgestellt:
"In der Tat hat Deutschland den Pazifismus diskreditiert und ad absurdum geführt, indem es praktisch vorgeführt und damit empirisch bewiesen hat, dass es Schlimmeres geben kann als den Krieg; dass Schrecken möglich sind, von denen nur eine starke Armee befreit. (...) Die Armee als wirklichen Befreier und den Krieg als wahren Sachverwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit in die Weltgeschichte eingeführt zu haben ist das verhängnisvolle Verdienst dieses Landes".

Thomas v. der Osten-Sacken


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