"Freiheit ist kein westliches Kulturgut"
Interview mit Thomas von der Osten-Sacken
von David Harnasch
Thomas von der Osten-Sacken gilt als einer der profundesten Irak-Kenner Deutschlands. Der von ihm geleitete Verein WADI e.V. war die einzige deutsche Hilfsorganisation, die auch während des Irak-Kriegs vor Ort blieb. Ein Gespräch über Wahlen im Irak, die Chancen auf stabile Systeme im Nahen Osten und die Kommunikationsfehler des Westens.
Als regelmäßiger Leser deutscher Medien weiß ich, der Iraker als solcher braucht die harte Hand eines starken Führers und ist vollkommen demokratieunfähig. Wieso also haben so viele ihr Leben riskiert, um wählen zu gehen?
Schon als ich 2005 als einziger deutscher Wahlbeobachter im Irak war, erstaunte mich, dass frühmorgens vor Öffnung der Wahllokale lange Schlangen in die Straßen reichten. Statt weiterhin den deutschen „Nahostexperten“ zu lauschen und dann festzustellen, dass die Realität vor Ort erheblich vom Geschilderten abweicht, sollte man vielleicht direkt hinsehen, was die Irakis tun.
Wird denn die Stimme des wählenden Irakis ernst genommen oder fällt er doch irgendwelchen Clan-Streitigkeiten und Korruption anheim?
Beides. Ich habe immer gehört: „Wir glauben nicht an die Parteien, aber wir glauben an die Demokratie“. Diese Äußerung macht Hoffnung: Es könnte was werden.
Im Irak gehen die Leute in ähnlichen Zahlen zur Wahl wie in Afghanistan. Trotzdem sind die meisten Medien hierzulande der Ansicht, dass es in Irak mehr Hoffnung gibt als in Afghanistan. Ist der entscheidende Unterschied die Herangehensweise des Westens oder die Mentalität vor Ort?
Im Irak haben die Amerikaner großen Wert auf ein parlamentarisches System gelegt. Die gesamte Region hat keine demokratische Tradition, sondern die Tendenz, den „Strong Men“ zu vertrauen. Und wenn der eine „Strong Man“ versagt, verspricht der nächste das Paradies, wenn man nur die Juden endlich umbringt. Im Irak ist das jetzt anders, weil das Parlament den Premierminister und den Präsidenten wählt. So erkennen die Leute langsam die Bedeutung eines Parlaments. Und dass man Politiker auch wieder los wird – nicht per Putsch, sondern eben per Abwahl. In Petersberg hatte man sich bei Afghanistan hingegen – unter deutscher Anleitung - auf die „Strong Man“-Lösung, also eine Präsidialverfassung, geeinigt: Ein starker Präsident wird vom Volk gewählt, kann alles Mögliche versprechen, man wird ihn kaum los und das Parlament ist relativ schwach. Seit 1945 kann man aber beobachten, dass in Ländern mit wenig demokratischer Tradition parlamentarische Verfassungen tendenziell funktionieren.
Auf welche Entwicklungen dürfen wir aus dieser Perspektive im Iran hoffen?
Unterschiedlich. Im Irak beobachtet man den Nachbarn sehr genau. Man sah die Blutbäder und das Chaos, nimmt aber ernst, dass die Leute wählen gegangen sind und um ihre Stimmen betrogen wurden. Oft hörte ich von Irakis: „Ja bei uns sind das eben richtige Wahlen, nicht wie drüben im Iran“...
Also sozusagen ein demokratisch legitimierter Nationalstolz?
...Genau. Wobei die Unterschiede wichtig sind.
Der erste ist: der Irak hat eine schiitische Mehrheit, aber ein anderes Modell. Kleriker regieren nicht, sondern beraten, was in der schiitischen Tradition eigentlich stärker verwurzelt ist als dieser Khomeinismus. Nun wollen sehr, sehr viele im Iran einfach die islamische Republik weg haben. Die Leute in Teheran demonstrieren mit Gucci-Sonnenbrillen und Designer-Jeans für eine demokratische Republik Iran, nicht für eine andere islamische Republik.
Große Teile der Bevölkerung wollen andererseits durchaus das islamische Element in der Republik behalten, aber nicht in Form von Khomeinismus. Die hatten nie eine Alternative. Aber diese Alternative entwickelt sich langsam über die Zentren der Shia in Kerbela und Nedjef. Und in Qom, dem iranischen Zentrum des schiitischen Klerus, sympathisiert inzwischen die absolute Mehrheit der Kleriker mit diesem irakischen Modell. Langfristig wird das den bestehenden Iran destabilisieren: Einerseits die Freude der Jugend am Wahlkampf, an einer neuen Gesellschaft. Und Andererseits spezifisch in diesem Kontext, dass eine anderes Beispiel für eine schiitische Demokratie existiert, als das Khomeinistische Modell.
Welche Maßnahmen zwischen Zurückhaltung einerseits und Bombardements andererseits empfehlen Sie dem Westen?
Diejenigen zu legitimieren, die unsere Interessen teilen: Freiheit und Demokratie. Und die anderen zu deligitimieren: Kein Kontakt mit diesem Regime, eine Forderung der iranischen Opposition. Eine klare Aussage: „Wir wissen, ihr wollt und könnt in einer anderen Gesellschaft leben, dabei unterstützen wir euch. Und wir diskutieren mit euch auf gleicher Augenhöhe – um einmal ein Volker Perthes- Zitat zu nehmen – wie man solche Gesellschaften transformieren und z.B. ein Parlament stärken kann.“
Ist Spanien ein Beispiel? Könnte Chamenei oder der Revolutionsführer zu einem neuen Juan Carlos werden? Was gab es für Modelle in Japan nach dem zweiten Weltkrieg? Wir haben die historische Erfahrung, wir haben die Zugänge zu Internet und Wissen - die Iraner nicht. Die wollen von uns nicht Klugscheißerei, sondern diese Diskussionen. Vom Irak, auch den dort gemachten Fehlern, müssen wir lernen.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Westen die iranische Opposition diskreditiert, wenn er sich offen solidarisiert? Die Mullahs erklären die eigene Misere ja gerne mit Verschwörungstheorien.
Eben – das tun sie jetzt ja auch schon. Natürlich wirken diese Verschwörungstheorien herrschaftsstabilisierend für die Regimes, die sie perpetuieren. Die Sprache der Freiheit ist aber nicht die Sprache des Westens, sondern universal. Und die Aufteilung in Westen/Osten und Wir/Ihr und Eure Kultur/Unsere Kultur ist per se schon falsch, weil sie auf Dauer Europa kaputt macht. Entweder Freiheit ist etwas, was zum Menschen gehört und die Würde des Menschen ausmacht, oder sie ist es nicht. Sie ist aber kein westliches Kulturgut.
Darf man Hoffnung für den Rest der Region haben, für den geschundenen Libanon und Syrien?
Ich benutze dafür immer das Beispiel des Krebskranken, der unheilbar krank ist wenn er keine Transplantation bekommt. Wenn man nichts tut, stirbt der auf jeden Fall. Wenn man die Transplantation durchführt bestehen fünfzig Prozent Genesungshoffnung. An diesen fünfzig Prozent müssen wir arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch
Die Fragen stellt David Harnasch
Artikel erschienen in Cicero, 24.03.2010