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Freiheit, die sie nicht meinen

Transformation und Terror im Irak

von Thomas v. d. Osten-Sacken

http://www.jungle-world.com/

In der vergangenen Woche wurde im Irak ein Dekret Saddam Husseins aus den neunziger Jahren aufgehoben, das den Verkauf und Ausschank von Alkohol sowie den Betrieb von Nachtclubs verbot. Ein solches Verbot, meinte das Innenministerium, sei mit »der Freiheit der irakischen Bürger« unvereinbar.

So recht nach einer islamischen Theokratie, vor deren Heraufkunft nach dem Wahlsieg der schiitischen United Iraqi Alliance im Januar allenthalben gewarnt wurde, klingen solche Entscheidungen nicht. Moderat gaben sich auch schiitische Parlamentarier, als sie jüngst erklärten, man wolle jenen Artikel aus der im vorigen Jahr unter der Federführung der USA verabschiedeten Übergangsverfassung beibehalten, die den Islam als eine, aber nicht als einzige Quelle der Gesetzgebung bezeichnet. Dies sei ein tragfähiger Kompromiss zwischen den Säkularen und den Religiösen, sagt auch der schiitische Kleriker Humam Hammadi, der dem neuen Verfassungskomitee vorsitzt.

Diesen erfreulichen Nachrichten stehen ganz andere gegenüber. Allein seit dem Antritt der ersten frei gewählten Regierung am 28. April haben sich 69 Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und hunderte Menschen mit in den Tod gerissen. Seit Saddams Sturz sind über 12 000 irakische Zivilisten gewaltsam umgekommen, wobei fast 90 Prozent aus dem schiitischen Süden stammen, wie das Innenministerium Anfang Juni meldete.

In nichts stehen jene »Widerstandkämpfer«, die sich aus Überresten des alten Regimes und radikalen Islamisten zusammensetzen, dem untergegangenen Regime nach, wenn es darum geht, mit Terror die Feinde der »arabischen Nation« oder des »wahren Islam« zu bekämpfen. Diese Feinde sehen sie nach wie vor insbesondere in Kurden und Schiiten. In der vorigen Woche meldeten irakische Medien, ein Trupp Bewaffneter sei in einem schiitischen Viertel Bagdads mit drei Autos über ein Marktgelände gefahren und hätte »wahllos in die Menge gefeuert und neun Menschen getötet«.

So wenig dieser »Widerstand« sein Ziel, die Wiedereinsetzung der Ba’athpartei bzw. die Errichtung eines islamischen Kalifats in Bagdad erreichen wird, so sehr hinterlässt der Terror seine Spuren. Die Wiedereinführung der Todesstrafe wurde allenthalben begrüßt, mehrheitlich fordern die Irakis ein härteres Vorgehen gegen Terroristen. In vielen Städten agieren Milizen, wie die dem »Supreme Council of the Islamic Resistance« unterstehenden Badr-Brigaden, weitgehend eigenmächtig und legitimieren ihr Treiben mit dem Kampf gegen Terroristen. Vor wenigen Tagen erklärte der Polizeipräsident von Basra, dass drei Viertel der Sicherheitskräfte seiner Stadt nicht mehr ihm, sondern Milizführern unterstünden. Willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und Übergriffe durch irakische Sicherheitskräfte nähmen in erschreckendem Ausmaß zu, kritisierte jüngst auch die unabhängige Vereinigung irakischer Juristen.

Und doch erklärte bei einer Meinungsumfrage die Mehrheit der befragten Irakis, dass die Garantie bürgerlicher Grundrechte für sie oberste Priorität in der Verfassung habe. Trotz des Terrors und einer verheerenden wirtschaftlichen Lage unterstützen sie offenbar weiter den Transformationsprozess. Damit geben sie, ob gewollt oder nicht, auch jenen in Washington Recht, die darauf bestehen, dass die Menschen im Nahen Osten es bevorzugen, in Freiheit und nicht unter korrupten Despoten zu leben. Und wenn es nur die Freiheit ist, aller Politik und Religion den Rücken zu kehren und sich ganz legal und hemmungslos in einem Bagdader Nachtclub volllaufen zu lassen.


erschienen in: Jungle World 23 vom 08. Juni 2005


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