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Aktuelle Situation der freien Presse im Irak


von Andrea Woeldike

Entführungen und Ermordungen europäischer Journalisten im Irak machten tagelang Schlagzeilen, wobei oft – zumindest subtil – unterschieden wurde, ob jene die Nationalität eines Landes besitzen, welches der sogenannten „Koalition der Willigen“ angehört oder nicht. Dagegen kaum eine Randnotiz wert, sind die Gefahren um Leib und Leben, denen irakische Journalisten vor Ort alltäglich ausgesetzt sind, durch Drohungen, Entführungen und Ermordung von Islamisten und anderen Terroristen.

NEUE MEDIEN IM IRAK

Seit April 2003 erscheint „Iraq Today“, die laut eigenen Angaben die „erste unabhängige und landesweit vertriebene englisch-sprachige Wochenzeitung“ des Landes ist. Nicht nur Thomas L. Friedman von der „New York Times“ spendete ihr großes Lob, selbst Robert Fisk (Korrespondent für den Mittleren Osten von Independent Newspaper UK) fand sich zu einer positiven Erwähnung genötigt, obwohl dieser dem „Nach–Saddam-Irak“ sonst äußerst kritisch gegenüber steht.

Doch seit Anfang Juli hat die Redaktion ihre Tätigkeit fast vollständig eingestellt. Dafür gibt es vielfältige Gründe, nicht nur Finanzierungsprobleme. Verfolgte man die Ausgaben von „Irak Today“ kontinuierlich, konnte man unschwer feststellen, dass in politischen Reportagen und Analysen zunehmend behutsamer und vorsichtiger die Kritik, an Terroranschlägen formuliert wurden. Inzwischen beschränkt sich diese Zeitung in ihren Artikeln hauptsächlich auf Wirtschaftsfragen.

Die Journalisten, der je nach Zählart auf 100 bis 200 geschätzten Zeitungen im Zentral- und Südirak, und die Redakteure der diversen Radio- und Nachrichtensender sehen sich Bedrohungen durch Terror ausgesetzt, wenn sie versuchen „investigativen“ Journalismus zu betreiben. So wurden bei der, mit Hilfe der niederländischen NGO ‚Mare foundation’, im Mai 2003 gegründeten Zeitung „Al Sabah“ (Der Morgen) drei Redakteure ermordet, fünf Anschläge auf das Gebäude der Zeitung in letzter Sekunde verhindert und außerdem permanente Morddrohungen auch gegenüber Druckern, Fahrern und Lagerarbeitern ausgesprochen. Auch wenn dies, wie die Journalistin in Bagdad Inga Rogg meint, damit zusammen hängen könnte, dass „Al Sabah“ vom ehemaligen CPA (die 2003 eingesetzte provisorische Behörde der Koalition) ) finanziell unterstützt wurde. Die Anschläge und Drohungen gegenüber „Al-Sabah“, einer der meist gelesenen Zeitungen in Bagdad, hörten auch nicht auf, als die Zeitung der irakischen Behörde für Kommunikation unterstellt wurde. Noch als ein Teil der Redaktion die Zeitung verließ, da sie nicht als „quasi regierungseigene Zeitung“ arbeiten wollten, wie der ehemalige Chefredakteur Ismael Zayer es nannte, und „Al-Sabah“ von Maher Faisal übernommen wurde, der unter Saddam Hussein bei „Al – Jumhuriya“ gearbeitet hatte. Seit Iyad Allawi, der neue irakische Premierminister, ein Komitee einrichtete, das Kriterien für Einschränkungen der Pressefreiheit erarbeiten soll, treibt die irakischen Medien eine zusätzliche Sorge um, denn der Vorsitzende dieser Kommission, der viele Jahre der Baath-Partei angehörende Ibrahim Janabi, verkündete sofort: Die „konkreten Einschränkungen sind noch nicht fertig ausgearbeitet, es ist jedoch durchaus möglich, dass zukünftig unverhältnismäßige Kritik am Premierminister oder irgendeinem Regierungsmitglied verboten wird“. Seit Allawi und die Übergangsregierung die Regierungsgewalt im Irak übernommen haben, erscheint Vielen der Umgang der Politik mit den Medien als ein schwer interpretierbares Hin und Her. Eine Woche bevor Ibrahim Janabi die Restriktionen ankündigte, hob der Premier das von US-Übergangsverwalter Paul Bremer erlassene Verbot gegenüber der Zeitung „Al Hauza“ auf, die vom schiitischen Extremisten Moqtada al Sadr herausgegeben wird. Doch nur kurze Zeit später befand Janabi eine von Sadr gehaltene Rede als verbotswürdig, in der er Allawi, als „den Schwanz Amerikas“ bezeichnete. Die Rede wurde vom TV-Sender „Al-Jazeera“ ausgestrahlt: „Wir werden Al Jazeera zwei Wochen Zeit geben ihre Politik zu korrigieren, und falls bis dahin nichts passiert, werden wir ihr Büro schließen.“

Weitaus stärker, als die einmonatige Schließung des Bagdader Al-Jazeera Büros, einem Sender, der von vielen irakischen Journalisten, als unverhältnismäßig verständnisvoll gegenüber islamistischer Anschläge empfunden wird, treibt die Journalisten die Befürchtung um, dass künftig wieder die unmittelbare Kontrolle aller irakischen Medien durch den Staat bevorsteht. Zusätzlich wird diese Angst durch die Ankündigung geschürt, die Oberste Medienkommission plane, sich im ehemaligen baathistischen Informationsministerium einzurichten, und man „hoffe zudem, dass ehemalige Mitarbeiter dieses Ministeriums, die von Paul Bremer entlassen wurden, Interesse zeigen würden, wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren“(siehe Artikel Links und Empfehlungen).

TROTZ ALLEM: HUNGER NACH INFORMATION

Es ist bestimmt noch ein weiter Weg, bis sich eine allgemeine Pressefreiheit im Irak durchsetzen kann, die weder durch unmittelbare staatliche Kontrolle behindert wird, noch durch ständige Furcht um das eigene Leben durch Attentate. Allerdings ist Pressefreiheit bis jetzt nur postuliert und es ist die Frage wie sich diese tatsächlich durchsetzen lässt oder inwieweit diese tatsächlich geplant ist. Doch trotz allem: Die irakische Gesellschaft stürzt sich nach Jahrzehnten baathistischer Propaganda mit einem schier unglaublichen Informationsdurst auf alle Berichte, die nur irgendwie zu erhalten sind. Überall entstehen Internetläden, die manchmal mehr als Wohnzimmer empfunden werden als das eigene Zuhause. Computer- und Internetkurse werden besonders von vielen Frauen genutzt, denen das Internet den Zugang zur Welt jenseits ihrer Familienstrukturen eröffnet. Ebenso verändern sich allmählich die Einschaltquoten beim Fernsehen: So war es im Sommer vergangenen Jahres noch durchaus üblich, „Al-Jazeera“ den höchsten Nachrichtenwert zuzusprechen doch inzwischen werden immer öfter andere Sender frequentiert, da die Zuschauer es müde sind, ständig nur von dem „Israel-Palästina-Konflikt“ und „car- und suicide bombern in Bagdad zu hören“, wie der Lebanon Daily Star kürzlich vermutete. So verzeichnet der von den USA unterstützte Sender „Alhurra“ (übersetzt: freier Sender) zunehmend höhere Einschaltquoten bei Irakern, unbeeindruckt von Fatwas saudischer Geistlicher gegen den angeblichen „amerikanischen Terror dieses Senders“.


erschienen in: Fairplanet News - September 2004


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