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Das Fell des Saddam

Ba’athstaat ohne Hussein? US-Militärverwaltung? Oder Demokratisierung? Die Vorstellungen über eine Zukunft des Irak sind sehr unterschiedlich.

von thomas uwer und thomas von der osten-sacken

Wenn die Medien über die ersten Massengräber im Irak berichten, dann werden Deutschland und Frankreich bald sehr einsam sein«, meint Bahtyar Amin, irakischer Menschenrechtsaktivist der International Alliance for Justice aus Washington. Denn was hierzulande selbstverständlich scheint, mag ihm, wie so vielen Irakern, nicht einleuchten – dem anstehenden Sturz Saddam Husseins einzig mit der Losung »Kein Krieg gegen Irak« zu begegnen.

Viel Vertrauen wird Amin und anderen irakischen Oppositionellen in Berlin und Paris jedenfalls nicht entgegengebracht. Wo man sie nicht gleich bezichtigt, Marionetten der USA zu sein, da warnt man sie in väterlichem Ton vor ihrem eigenen Unvermögen. »In Frankreich hat man mir ständig erklärt, die irakische Opposition sei nicht einig genug und nicht in der Lage, Saddam selbst zu stürzen. Aber hat irgendjemand den Franzosen damals gesagt, ihr seid nicht einig genug, um befreit zu werden? War die französische Résistance nicht in über 30 Gruppen zersplittert, die sich gegenseitig bekämpften? Habe ich da etwas verpasst und Frankreich hat sich ohne fremde Hilfe befreit?«

Vier Frauen aus dem Irak stellten sich vergangene Woche auf Initiative der International Alliance der deutschen Presse in Berlin, um immer wieder dieselbe Frage zu beantworten: »Sind Sie für einen Krieg oder dagegen?« »Das ist so, als würde man die Geiseln in einem entführten Flugzeug fragen, was sie wollen«, antwortete Shirin Aqrawi, Vertreterin der kurdischen Fraueninitiative Bonn. Der Vergleich ist treffend. Denn in den vergangenen Wochen musste die irakische Opposition erleben, wie sie nicht nur durch die Drohungen von Saddam Husseins Regime, sondern auch durch die immer schneller vorangetriebene Kriegsvorbereitung unter Zugzwang gesetzt wurde.

Während sich verschiedene irakische Oppositionsparteien, darunter die beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK, der Supreme Council of the Islamic Resistance in Iraq (Sciri) und der Iraqi National Congress im irakisch-kurdischen Salahadin zusammenfanden, um die in London im Dezember 2002 entwickelten Grundsätze eines künftigen Irak weiterzuentwickeln, veröffentlichte die US-amerikanische Regierung ihre eigenen Pläne. Nach diesen soll der Irak mindestens zwei Jahre militärisch besetzt und unter die Verwaltung eines Militärgouverneurs gestellt werden, sowohl die ba’athistische Verwaltung wie auch das Militär sollen größtenteils intakt bleiben.

Die schlimmsten Befürchtungen schienen wahr geworden und das sentimentale Sprichwort der irakischen Kurden, ihre einzigen Freunde seien die Berge, schien wie ein Motto über dem Oppositionstreffen zu stehen.

Aus der Distanz betrachtet, unterscheiden sich die Pläne der US-Administration allerdings weit weniger von den im Dezember in London formulierten Forderungen der irakischen Opposition, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Einigkeit herrscht darüber, dass eine längere Präsenz von US-Truppen im Land zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, aber auch als Schutz vor Begehrlichkeiten aus Europa oder den Nachbarländern wohl oder übel akzeptiert werden muss. Strittig ist jedoch die Frage, wie sich dies konkret gestalten lässt. Zwischen einer gemischt militärisch-zivilen Verwaltung und der allmählichen Übergabe der Macht an das Oppositionsbündnis und einem Platz am Katzentisch unter einem US-Militärgouverneur liegen Welten.

Empörung löste daher die Erklärung aus, die USA wollten die bestehende Verwaltungsstruktur im Irak vorerst bewahren und große Teile der ba’athistischen Nomenklatura im Staatsapparat lassen. So sprachen vor allem die Wortführer des »amerikanischen« Flügels der Opposition, Ahmed Chalabi vom Iraqi National Congress und der unabhängige Kanan Makiya, in namhaften US-amerikanischen und britischen Zeitungen von Verrat. Iraker, die jetzt auf eine Befreiung durch die USA warteten, könnten, so Makiya, sehr schnell antiamerikanisch werden.

Dabei geht es um mehr als die Frage einer Regierungsbeteiligung. Die Ent-Ba’athifizierung des Landes stellt das Kernstück des Programms dar, auf das sich die Parteien und Gruppen in London geeinigt haben. Das Problem hat Makiya selbst ausführlich beschrieben. »Das außergewöhnliche Problem der ba’athistischen Herrschaft wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Hunderttausende völlig durchschnittlicher Leute in sie verwickelt waren.« Hunderttausende, die schon deshalb in einen neuen Irak integriert werden müssen, um sie nicht zum Feind zu haben.

Das Vorbild hierfür ist die Amnestie, die 1991 von der Iraqi Kurdistan Front direkt im Anschluss an die Befreiung der kurdischen Region erlassen wurde. Gerechtigkeit, so die kurdischen Parteien damals, könne nicht durch blinde Rache erreicht werden.

Hier liegt zugleich der heikle Punkt bei allen Auseinandersetzungen mit einer künftigen Besatzungsmacht. Soll die Übergangsregierung mehr als eine zeitweilig benötigte Relaisstelle zwischen militärischer Exekutive und Bevölkerung darstellen, nämlich den Beginn einer von Irakern selbst gestalteten Demokratie, so wird sie genau an der Frage der Demokratisierung Souveränität beweisen müssen. Baut doch das gesamte Konzept eines Regime Change im Irak gerade darauf, dass Bevölkerung und Opposition selbst willens sind, die Diktatur zu überwinden.

Die durchaus reale Befürchtung, die USA strebten in Anlehnung an ihre frühere Irakpolitik einen »Ba’athstaat ohne Saddam« an, lässt jedoch ein ganz pragmatisches Kalkül außer Acht. Einerseits steht die US Army unter dem Zwang, nach einer Invasion Iraks sehr schnell die Grundversorgung der irakischen Bevölkerung garantieren zu müssen, schon um das humanitäre Desaster zu vermeiden, das in Europa ständig als Argument gegen eine Militärintervention ins Feld geführt wird. Ohne einigermaßen funktionsfähige staatliche Strukturen dürfte dies unmöglich sein. Man ist also darauf angewiesen, dass zumindest der »Mittelbau« der irakischen Verwaltung weder flieht noch Racheaktionen der Bevölkerung zum Opfer fällt.

Andererseits hofft man auf einen Zusammenbruch des Systems. Seit Monaten drängen US-Militärs darauf, der militärischen und administrativen Elite eine Perspektive zu bieten, die ein Überlaufen im Kriegsfall möglich macht, um die Kampfhandlungen zu verkürzen.

Die Reaktionen der irakischen Opposition zeigen zugleich die Grenzen dieser Politik auf. Gegen die Opposition würden die USA ihre Militärverwaltung nur mit Gewalt durchsetzen können. So haben die Kurden bereits vorsorglich gedroht, sich einer Entwaffnung zu widersetzen. Das aber würde die von George W. Bush entworfene Vision eines demokratischen und prosperierenden Irak bereits im Ansatz ersticken.

Ausdrücklich betonte Zalmay Khalilzad, der Sondergesandte der USA für einen »freien Irak«, deshalb auf der Oppositionskonferenz in Salahadin, Amerika bleibe seinem Konzept treu und stehe weiterhin hinter der Opposition. Dass Khalizad die Skepsis der Opposition nicht zerstreuen konnte, liegt auch an der bitteren Erfahrung, die vor allem die Kurden mit Diplomaten der US-Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben.

Zu viele Fragen sind weiter ungeklärt. Ein möglicher Alleingang türkischer Truppen mit dem Ziel einer langfristigen Besetzung des Nordirak könnte schnell eine Krise auslösen. Schon haben die Kurden für diesen Fall bewaffneten Widerstand angedroht. Dann wäre die US-Planung ebenfalls konterkariert. Zwar wächst der Druck der USA auf die Türkei, diese weiß jedoch Europa hinter sich bei jedem Versuch, die Nachkriegsordnung im Irak bereits vorher zu zerstören. Da musste auch die Rede des US-Präsidenten Bush, der den Irakern persönlich versicherte, an einer Demokratisierung festzuhalten, wirken wie gutes Zureden, um die Insassen des entführten Flugzeugs zu beruhigen.

Erschienen in Jungle World 11 - 5.März 2003


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