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Falsche Strategien

Die kurze Geschichte des Islamismus in Europa ist voller gefährlicher Missverständnisse und falscher Strategien.

von Thomas Schmidinger

Jahrzehntelang wurden die islamischen Gemeinschaften in Europa ebenso ignoriert wie das Entstehen islamistischer Gruppierungen innerhalb derselben. Erst die Anschläge von Madrid und London lenkten die Aufmerksamkeit auf die Existenz islamistischer und dschihadistischer Gruppierungen in Europa. Dabei zeichnen sich drei verschiedene, jedoch allesamt falsche Argumentationslinien ab:

  • Eine tritt dem Terror mit apologetischem Verständnis gegenüber und meint, die (eben meist aus vergleichsweise wohlsituierten bürgerlichen Familien stammenden) Attentäter wären eben verzweifelte Individuen, die wegen der israelischen oder US-Politik auf die Idee kämen, sich in Großbritannien in die Luft zu sprengen. Man müsse irgendwie Verständnis haben, und solange die USA oder Israel nicht täten, was diese wollten, würden sie eben weiter bomben. Solches ist zwar im Falle der Anschläge von London kaum in "Mainstreammedien" zu finden, sehr wohl aber bei Anschlägen im Irak oder in Israel.
  • Eine andere stellt Muslime unter einen diffusen Generalverdacht oder macht aus dem Terror zumindest ein "Integrationsproblem". Dabei wird völlig übersehen, dass die Attentäter meist sehr junge und sehr gut integrierte Personen - immer öfters Konvertiten - sind und keine isolierten Immigranten, die sich nicht zurechtfinden würden.
    Folge dieser ethnisierenden oder kulturalisierenden Argumentation ist jedoch ein Generalverdacht, der Ausbau des Überwachungsstaates, eine Legitimation einer "harten" Einwanderungspolitik und eine vermeintliche Problemlösung durch das Abschieben von "Hasspredigern". Diese Argumentation wird mittlerweile von einigen Vertretern der muslimischen Gemeinden übernommen, die glauben, sich mit dem Fingerzeig auf "die Fanatiker" legitimieren zu müssen. Manch einer will damit nur von seiner eigenen Position ablenken.
  • Eine dritte, die v. a. von gemäßigten Islamisten vertreten wird, ist jene einer strikten Unterscheidung zwischen "guten Muslimen" und "bösen Islamisten". Dabei wird in dieser vermeintlich "differenzierten" Argumentation nicht zwischen militanten oder gar terroristischen Gruppen und solchen unterschieden, die versuchen, auf parlamentarischem Wege Ziele des politischen Islam durchzusetzen. Gerade Angehörige von Gruppierungen wie den 1928 von Hassan al-Banna gegründeten Muslim-Brüdern, die versuchen, legal politisch in Europa Fuß zu fassen, lenken so von den eigenen politischen Zielen ab. Gerade die Muslim-Brüder haben begriffen, dass sie ihr Programm eines islamisch dominierten Staates, in der Position als Minderheit in Europa, nur über einen langen Umweg der Beteiligung am legalen politischen Leben und der Unterstützung durch naive Multikulturalisten erreichen können.

Nun gibt es zwar viele ebenso unpolitische Muslime, wie es unpolitische Christen, Juden oder Hinduisten gibt, allerdings ist die Einteilung in "gute Muslime" und "böse Islamisten" zu simpel. So wichtig es ist zu betonen, dass nicht alle Muslime, sondern nur eine Minderheit politische Islamisten sind, und eine noch kleinere Minderheit einen bewaffneten Dschihad führen, so falsch ist es, hier eine klare Trennlinie - nämlich nur eine einzige - ziehen zu wollen. Wie das Spektrum im Christentum von völlig unpolitischen Gläubigen bis zu evangelikalen Fundamentalisten reicht, die in den USA auch mal Anschläge auf Abtreibungskliniken durchführen, ist auch das Feld des Islams in Europa ein weites. Dazu kommt, dass sich viele Islamisten mit einem gewissen Recht auf die politische Tradition des Islam beziehen, der von Anfang an als erfolgreiches Projekt - im Gegensatz zum ursprünglich dem römischen Imperium unterlegenen Christentum - eben auch ein politisches Gemeinwesen konstituierte, also von Beginn an nicht nur Religion, sondern auch Politik war.

All diese Erklärungsmuster greifen zu kurz. Junge Menschen aus Großbritannien sprengen sich nicht aus Verzweiflung in die Luft, sondern aus ideologischem Wahn. Der Islamismus ist längst ein europäisches Problem und kein "Einwanderungs-" oder "Integrationsproblem". Er ist (wie andere totalitäre Ideologien) ein politisches Problem, das sich weder durch einen Ausbau des Überwachungsstaates lösen lassen wird, noch durch augenzwinkerndes Verständnis mit den "verzweifelten Opfern des Imperialismus". Vielmehr müssen Demokratie und offene Gesellschaft verteidigt werden. Nicht nur vor Islamisten, sondern auch vor jenen Verteidigern der "Demokratie", die sie durch polizeistaatliche Methoden zu Tode verteidigen.

Das beste Mittel dazu ist nicht zuletzt die Stärkung säkularer Migranten und Flüchtlinge aus islamischen Gesellschaften, die oft vor der Enge dieser Gesellschaften und dem autoritären System ihrer Herkunftsstaaten nach Europa geflüchtet sind. Aber nicht nur in Europa, auch in den autoritär regierten islamischen Staaten selbst ist das beste Mittel gegen den terroristischen Dschihadismus die Unterstützung demokratischer, laizistischer, feministischer, linker und liberaler Oppositioneller, die die Träger einer Demokratisierung sein werden.

Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftragter zum Thema "Politischer Islam" an der Politikwissenschaft der Uni Wien, Mitarbeiter der Hilfsorganisation Wadi und Mitherausgeber des Sammelbands "Irak - Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie?".


erschienen in: die Presse, Mittwoch, 10. August 2005


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