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Etappensiege des Terrorismus

Während in westlichen Medien meist nur wenige Namen einzelner Terror-Chefs bekannt werden, stellt sich im Irak das Spektrum dessen, was der gängige Antiamerikanismus als "Widerstand" verharmlost, weit vielschichtiger dar.

von Thomas Schmidinger

Die Hoffnungen der irakischen Opposition, dass nach dem Sturz des Ba´th-Regimes rasch ein prosperierendes demokratisches System errichtet werden könnte, sind nach fast drei Jahren einer nüchterneren Einschätzung gewichen. Während einerseits auf der verfassungsrechtlichen und formal politischen Ebene einige Fortschritte in Richtung eines föderalen Mehrparteiensystems zu verzeichnen sind, sind die konkreten Lebensumstände vieler IrakerInnen weiterhin vom Terror, aber auch von repressiven Maßnahmen der Terrorbekämpfung geprägt.

Als sich beim Einmarch der Amerikaner 2003 die meisten irakischen Einheiten fast von selbst auflösten und tausende Soldaten einfach vor dem ersten Schuss heimgingen, war zu sehen, dass die ba´thistische Despotie bereits zu einer Auflösung der staatlichen Institutionen von innen geführt hatte und Saddam Hussein längst nicht mehr einen zwar totalitär regierten, aber immerhin noch einen Staat befehligte, sondern nur noch als Warlord einen korrupten Repressionsapparat nach innen aufrecht erhalten konnte. Das Ende des Regimes markierte damit nicht einfach einen "regime change", sondern auch den Tiefpunkt der irakischen Staatlichkeit selbst. Anstatt einen autoritären Staat übernehmen und demokratisieren zu können, standen Besatzer und die ehemalige irakische Opposition vor der weit schwierigeren Aufgabe, eine irakische Staatlichkeit von Grund auf neu zu errichten. Dieses "nation building" braucht weit mehr Zeit, Energie, Geld und nicht zuletzt Unterstützung in der Bevölkerung als die bloße Demokratisierung vorhandener staatlicher Strukturen.

Die ersten Terroranschläge und Entführungen trafen deshalb keine gefestigte Staatlichkeit und schon gar keine stabile Demokratie, die einen mehr oder weniger rechtsstaatlichen Umgang mit dem Terror finden konnte, sondern auf eine Gesellschaft, die gerade erst aus dem Alptraum einer 35jährigen Diktatur erwachte und noch keinerlei gesellschaftliche und politische Institutionen zur Verfügung hatte, mit diesem Terror zu verfahren. Deshalb hat der Terror im Irak auch so fatale Auswirkungen und stellt heute das gerade erst in Angriff genommene Projekt der Demokratisierung in Frage.

Al-Qaida ist dabei nur ein - wenn auch ein sehr spektakulärer – Teil jener Gruppen, die sich terroristischer Methoden in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung oder auch im materiellen Verteilungskampf bedienen. De facto sind im Irak eine Vielzahl kleinerer und größerer bewaffneter Gruppierungen aktiv, die oft in wechselnden Allianzen miteinander oder gegeneinander vorgehen. Als "terroristisch" definiere ich dabei all jene militärisch-politischen Gruppierungen, bei denen Anschläge auf ZivilistInnen oder Entführungen westlicher oder irakischer ZivilistInnen wesentlicher Bestandteil der Strategie sind. Unter den Gruppierungen, die im Irak derzeit Regierung und Besatzungstruppen militärisch bekämpfen, gibt es keine einzige, die sich auf den Kampf gegen bewaffnete Polizei- oder Militäreinheiten beschränken würde, sich also auf ein wie immer geartetes "Widerstandsrecht" berufen könnte und damit als Guerilla- oder Partisanengruppierungen zu betrachten wäre.

Obwohl alle dieser Gruppen mit terroristischen Methoden arbeiten, gibt es Unterschiede in den Methoden und ideologischen Ausrichtungen. Dabei ist zwischen drei großen Strömungen des terroristischen Untergrunds zu unterscheiden:
Um den Kern von al-Qaida im Irak sammeln sich internationale Gihadisten, die sich teilweise schon aus anderen Schauplätzen des internationalen "Gihad" wie etwa Afghanistan kennen. Die meisten stammen aus anderen arabischen Staaten und arbeiten teilweise mit einheimischen sunnitischen Islamisten zusammen. Im Gegensatz zu diesen müssen sie als Nichtiraker jedoch keinerlei Rücksicht auf die irakische Bevölkerung nehmen. Die öffentliche Meinung im Irak spielt für diese Gruppierung keine Rolle, weshalb besonders viele Selbstmordanschläge gegen irakische ZivilistInnen, seien es KundInnen einer Bäckerei oder Schulkinder, auf ihr Konto gehen.
Etwas mehr Rücksicht auf die eigene Basis im Land müssen hingegen irakische Gihadisten nehmen. Diese radikalen sunnitischen Islamisten stellen das Bindeglied zwischen den Gruppen um al-Qaida und den gemäßigteren sunnitischen Islamisten dar, die sich etwa in der von den Muslim-Brüdern gegründeten "Islamischen Partei des Irak" oder im "Rat der muslimischen Ulama" sammeln. Letzterer tritt bei Entführungen westlicher Geiseln oft als Vermittler auf. Die "Islamische Partei", die zwar die ersten freien Wahlen boykottierte, im Dezember 2005 aber im sunnitischen Wahlbündnis al-Tawafuk kandidierte, oszilliert zwischen der Unterstützung der sunnitisch-gihadistischen Terrorgruppen und der Beanspruchung eines politischen Mitspracherechtes innerhalb der neu geschaffenen staatlichen Institutionen. Über die weitere Strategie dieser Partei wird wohl v.a. die Frage entscheiden, ob und wie sie auf Dauer den Spagat als politischer Arm bewaffneter Terrororganisationen aushält.
In beiden Fällen sind die sunnitischen Islamisten des Irak auf eine gewisse Unterstützung innerhalb der arabisch-sunnitischen Minderheit des Landes angewiesen. Dies scheint der Grund dafür zu sein, dass sich diese Strömung mit Selbstmordanschlägen gegen sunnitische ZivilistInnen zurückhält. Teile dieser Gruppen haben aber ein strategisches Interesse an der religiösen Fragmentierung des Landes bis hin zu einem Bürgerkrieg entlang ethnischer und religiöser Linien. Aus diesem Spektrum kommen deshalb nicht nur Anschläge gegen irakische Sicherheitskräfte und Besatzungstruppen, sondern auch Anschläge gegen Schiiten, die für fanatische Sunniten ein besonderes Übel darstellen, das die islamische Welt von innen unterwandert.
Als dritte Strömung kommt noch das Spektrum des klassischen Ba´thismus und anderer arabisch-nationalistischer Splittergruppen hinzu, das sich eine Rückkehr der Ba´th-Partei an die Macht wünscht. Sie werden v.a. von Syrien unterstützt, das von einem mit dem irakischen lange rivalisierenden Zweig der Ba´th-Partei regiert wird und nun aufgrund des Drucks auf das eigene Regime ein Interesse am Scheitern der Demokratisierung hat. Auch aus diesem Spektrum kommen im Allgemeinen keine Selbstmordanschläge, allerdings sehr wohl Attacken auf kurdische und schiitische Zivilisten. Zwar gibt es auch von hier Kontakte zu gihadistischen Gruppierungen, allerdings kam es auch schon zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen, nachdem Anhänger der Ba´th-Partei eine Demonstration für Saddam Hussein abgehalten hatten.
Die ideologischen und strategischen Differenzen und die wirtschaftlichen Rivalitäten diverser Warlords sind also enorm. Dies ging im Jänner sogar so weit, dass sich irakische Untergrundgruppen in Ramadi gegen al-Qaida wandten und in gegenseitigen Mordanschlägen mindestens drei prominente Vertreter beider Strömungen ums Leben kamen.

Alle diese Gruppen haben sich als zu schwach erwiesen, die Macht im Irak zu übernehmen, aber sie haben es zumindest geschafft, den anstehenden Staatsaufbau und die Demokratisierung empfindlich zu stören. Dabei wissen weder die Besatzungstruppen, noch die irakische Regierung so recht, wie sie mit den Terrorgruppen umgehen sollen. Nachdem eine rein militärische Lösung des Problems, nicht zuletzt aufgrund der übereilten Auflösung der irakischen Armee und der zu geringen Truppenstärke der US-Truppen im Land nicht zum Ziel führte, scheint jetzt die große Ratlosigkeit ausgebrochen zu sein.
Im November legitimierte die irakische Regierung durch ihre Teilnahme an einer von der Arabischen Liga organisierten "Versöhnungkonferenz" in Kairo erstmals die Terrorgruppen als Gesprächspartner. Im Schlußdokument hieß es, dass als "Terror" fortan nur mehr der Angriff auf irakische Zivilisten und Moscheen, während die Gewalt "gegen die Besatzer" und die damit zusammenhängende nicht-humanitäre Infrastruktur als legitim bezeichnet werden. Aber auch die Besatzungstruppen selbst verhandeln mittlerweile mit verschiedenen sunnitischen Terrorgruppen, was ihnen wiederum von schiitischen Parteien zum Vorwurf gemacht wird. Tatsächlich läßt es sich schwer argumentieren, dass "Terroristen" erst militärisch bekämpft werden, dann zu legitimen Verhandlungspartnern mutieren, um am nächsten Tag wieder "Terroristen" darzustellen. Hinter diesem strategischen Lavieren steht vor allem die verzweifelte Hoffnung, zumindest den irakischen Teil der Terrorgruppen doch noch ins politische System integrieren zu können und damit eine gewisse Sicherheit erkaufen zu können, eine "Strategie" die ebenso zweifelhaft ist, wie die Reintegration ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter und Spezialtruppen in die neuen Sicherheitskräfte.
Diese sind nämlich nicht nur für ihre besondere Brutalität bekannt, sondern auch dafür, dass einige von ihnen immer wieder als "undichte Stellen" wichtige Informationen an Terrorgruppen weitergeben. In beiden Fällen ist dies ein Etappensieg der Terroristen.


Artikel erschienen in Malmoe Nr.30 "Aprés-Ski 2006" (Februar 06)


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