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„Wir sind gegen eine pauschale Entba’thisierung des Irak“

Mufid al-Jazairi arbeitete bis zu seiner Rückkehr in das kurdische Autonomiegebiet 1993 als Journalist für al-Hayat und andere arabische Zeitungen in Europa. 1993 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Irakischen Kommunistischen Partei (ICP) und Chefredakteur des Zentralorgans der Partei „tariq al-shaab“ („Weg des Volkes“). Der Kulturminister der ersten irakischen Übergangsregierung ist heute einer von zwei Abgeordneten der ICP und Vorsitzender der Kulturkommission des irakischen Parlaments.

Mit ihm sprach Mary Kreutzer.

M.K.: Bei den anstehenden Parlamentswahlen am 15. Dezember 2005 tritt die Irakische Kommunistische Partei (ICP) gemeinsam mit verschiedenen säkularen und gemäßigten Parteien, sowie arabisch nationalistischen Gruppen u.a. in einer Allianz mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten der Übergangsregierung Iyad Allawi an. Allawi dürfte in diesem Bündnis nicht der einzige Politiker mit ba’thistischer Vergangenheit sein. Haben Sie keine Berührungsängste?

al-Jazairi: Wir von der ICP sind nicht gegen alles, was ba’thistisch ist, besser gesagt, wir sind nicht gegen alle ehemaligen Mitglieder der Ba’th-Partei. Wieso sollten wir all jene als Feinde betrachten, die dieser Partei irgendwann beitraten, sie aber wieder verließen, weil sie die Strukturen und die Ideologie durchschauten und die sich daraufhin der Opposition anschlossen? Diese Menschen sind nicht wie Saddam Hussein, im Gegenteil, sie kämpften mit uns gegen ihn. Sogar jene, die bis zum Sturz von Saddam in der Partei blieben, haben sich nicht allesamt schuldig gemacht.
Hunderttausende Irakis wurden gezwungen, Parteimitglieder zu sein, um vom Terror der Geheimdienste und Sicherheitskräfte verschont zu bleiben. Einige waren schwach, andere wollten nichts außer in Sicherheit leben, viele wollten nur ihren Kindern einen Universitätszugang verschaffen, sie wollten Jobs, sie wollten leben: all das ging nur mittels der Partei. Deshalb waren wir gegen den Erlass des ehemligen US-Zivilverwalters Paul Bremer, der eine umfassende Deba’thisierung forderte. Wir waren immer gegen eine Pauschalverurteilung von Unschuldigen und für eine Isolierung und Bestrafung jener Ba’thisten, die gegen unsere Leute gekämpft haben, die sich durch verschiedene Verbrechen schuldig gemacht haben. Außerdem gibt es allein in der Familie Saddam Husseins etliche Mörder und Verbrecher, die der Partei nie beigetreten sind! So richtig es ist, diese Leute vor Gericht zu stellen so falsch ist es, ein oder zwei Millionen ehemalige Parteimitglieder vom politischen Prozess auszuschließen. Also finden Sie heute Ba’thisten überall und wir wollen sie für uns gewinnen, ihnen ein normales Leben ermöglichen.
Wir brauchen einen nationalen Versöhnungsprozess ähnlich jenem in Südafrika.

M.K.: Und so kommt es, dass etwa Präsident Talabanis Sicherheitsberater ebenfalls ein ehemaliger Ba’thist ist…

al-Jazairi: Sein Militärberater ist General Wafiq al-Samarai. Er ist ein ehemaliges Mitglied des Estikhbarat, des militärischen Geheimdienstes von Saddam, den er jedoch Mitte der 90er Jahre verließ als er in den Nordirak flüchtete. Dort nahm er Kontakt zu uns und den beiden kurdischen Parteien PUK und KDP auf.

M.K.: Im Nordirak gibt es etliche Gedenkstätten und Museen, Orte, wo die Überlebenden ihren Toten beweinen und an die Vergangenheit erinnern können. Gibt es ähnliche Orte des Gedenkens auch in Bagdad oder im Südirak?

al-Jazairi: Wir versuchen solche Orte zu schaffen, doch zur Zeit ist es nach wie vor so, dass unser Leben nicht normal ist, der Zustand, in dem wir arbeiten ist total abnormal. Unser großes Ziel lautet daher zuerst: Normalisierung. Das bedeutet minimale Stabilität, Sicherheit und ökonomische Entwicklung. Auch die kulturelle Entwicklung funktioniert nicht. Während der 20 Monate als Kulturminister versuchte ich mindestens 2-3 monatliche kulturelle Aktivitäten in Bagdad zu organisieren. Sogar als die Sicherheitssituation eskalierte, machten wir weiter, es gab – zu Mittag, denn die Abende waren zu gefährlich - Theatervorführungen, Musikveranstaltungen, usw. Doch ich muss auch dazusagen, dass wir nicht sehr erfolgreich waren, denn es kamen kaum Leute, die Angst hatte gesiegt. Man vermeidet Menschenansammlungen, denn dort wo viele Zivilisten sind, schlagen die Terroristen am ehesten zu. Zurück zu Ihrer Frage: alles ist erst im Entstehen und braucht in dieser abnormalen Situation Zeit: sowohl Gedenkstätten als auch Museen und Orte des kulturellen Austausches.

M.K.: Saddam und weitere 7 Angeklagte stehen zur Zeit vor dem IST (Iraqi Special Tribunal). Der Prozess wird in der europäischen und v.a. in der deutschen und österreichischen Presse als „Siegerjustiz“ und „unfair“ delegetimiert.

al-Jazairi: Dieses Verfahren ist wegweisend für die Zukunft unseres Landes. Wenn wir je wieder normal leben möchten, dann müssen wir wissen und verstehen, was hier geschehen ist. Das Gerichtsverfahren soll dazu beitragen, neue Fakten zu präsentieren oder auch jene Verbrechen, die bekannt sind, offiziell als Verbrechen zu bezeichnen, Dokumente öffentlich zu machen. Die Hauptmotivation dabei ist ganz sicher nicht Rache sondern allein der Wunsch, dass all das nie wieder passiert. Wichtig ist beim Verfahren die Unabhängigkeit des Tribunals, dessen Motivation allein der Wahrheitsfindung dienen soll.

M.K.: Sollen Saddam und seine Schergen hängen?

al-Jazairi: Die Strafen, die für die Verbrechen letztendlich ausgesprochen werden, muss allein das Gericht entscheiden. Ich persönlich bin prinzipiell gegen die Todesstrafe, doch glauben Sie mir, ehrlich gesagt, sollte Saddam hängen, wird das kein Tag der Trauer sein.


Artikel erschienen in iz3w Jan/Feb 2006


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