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Das Ende eines Tyrannen

Die weltweite Empörung über die Hinrichtung Saddam Husseins ist blanker Hohn für das irakische Volk.

von Ali Al-Zahid

Saddam Hussein, der Schlächter von Bagdad, wurde gehängt. Was manche Europäer entsetzen mag, ist für viele Iraker ein wahrlich humanes Ende für den Mann, der sich wie kein anderer zuvor am irakischen Volk vergangen hat. Das Urteil als Meilenstein der Aufarbeitung der irakischen Vergangenheit zu bezeichnen wäre übertrieben, aber es war und ist wichtig für die weitere Entwicklung des Landes. Vor allem aber ist es ein Geschenk an diejenigen, welche ihre Lieben in den 35 Jahren der baathistischen Diktatur verloren haben.

Dieses Urteil macht auch insbesondere in der arabischen Welt jeder Regierung klar, dass sie irgendwann für ihre Taten Rechenschaft abzulegen hat.
Das weltweite Interesse am Schicksal Saddam Husseins und die Empörung über die Hinrichtung sind blanker Hohn für das irakische Volk. Sogar der Vatikan, der selbst erst 1969 die Todesstrafe abgeschafft hat und keine grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe formuliert hat, hat es sich nicht nehmen lassen, gegen die Hinrichtung Saddam Husseins das Wort zu ergreifen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn das Interesse an der irakischen Bevölkerung während der blutigen Diktatur Saddams nur halb so groß gewesen wäre wie jetzt am Leben des ehemaligen Tyrannen.

In vielen Diskussionen, bei denen die irakische und die europäische Meinung über die Todesstrafe für Saddam aneinander prallen, bildet der Hintergrund des Missverständnisses die Diskrepanz zwischen dem sicheren Europa und dem von Terror gebeutelten Irak. Mag sein, dass vielen die Todesstrafe als unzeitgemäß gilt, aber die Situation im Irak ist eine andere als in Europa, wo es sich leicht über das moralisch Gute oder Böse philosophieren lässt. In europäischen Staaten wurden seit 1945 nicht wie im Irak 1,5 Millionen Mitbürger durch Folter, Mord und Hinrichtung verloren! In Europa gibt es keine Angehörigen der Opfer, für die der Tod des Tyrannen eine Linderung ihrer Qualen bedeutet.

Der Irak befindet sich immer noch im Krieg, und der Feldzug der Baath-Partei gegen das irakische Volk ist immer noch nicht vorbei. Der Unterschied zur Zeit vor dem 9. April 2003 ist jedoch jener, dass der Rest der Welt mitbekommt, was im Irak geschieht.

Wenn in Europa das Todesurteil Saddams kritisiert wird, dann interessiert dies im Irak niemanden. Der neue Irak muss leider auf jede Unterstützung durch die EU verzichten. Europa erhofft sich nicht Freiheit, sondern lediglich Stabilität im Irak. Mit den Worten des zum Glück abgewählten deutschen Außenministers Fischer "Stabilität um jeden Preis". Diese Stabilität haben wir Iraker die letzten 35 Jahre genossen. Saddam brachte dem Irak eine Stabilität, an deren Ende 1,5 Millionen ermordete Irakerinnen und Iraker, vier Millionen Exilierte und zwei Offensivkriege mit über einer Million Toten auf irakischer Seite stehen. Saddam Hussein hat im Irak eine verödete Gesellschaft hinterlassen, die durch die baathistische Verfolgung begonnen hat, zwischen Sunniten und Schiiten zu unterscheiden. Das ist das Vermächtnis Saddams.
Das Gerichtsverfahren, das der Diktator erhalten hat, war ein Meilenstein in der irakischen Geschichte. Anders als die Angeklagten unter der Regierung Saddam Hussein hatten hier die Angeklagten das Recht, ihre Meinung zu sagen. Sie hatten das Recht auf frei gewählte Anwälte. Sie konnten Beweise für ihre angebliche Unschuld darlegen. Diejenigen, die das Verfahren und sein Ergebnis als Siegerjustiz bewerten, sind auch diejenigen, die bis zum Ende fest an ihren Führer Saddam Hussein geglaubt haben. Es kann wohl nur als purer Zynismus gewertet werden, wenn noch heute Leute glauben, Saddam hätte als Iraks Präsident das Recht über Leben und Tod gehabt, also kein Unrecht begangen. Diese unverbesserlichen Anhänger des gestürzten Diktators vergessen, dass das Gericht ausschließlich die Taten Saddam Husseins verurteilt hat und nicht dessen Motive.

Im Irak läuft sehr wenig so, wie viele von uns es sich erhofft hatten. Wir stehen am Anfang eines Bürgerkriegs. Die Korruption raubt dem Wiederaufbau jede Energie. Selbst viele Minister glauben nicht mehr an dieses Land. Sie bereichern sich so schnell wie möglich und warten nur noch auf den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg. Wenn es aber etwas im Irak gibt, was wir, die dieses blutige Regime überlebt haben, unseren Lieben, die diese Diktatur nicht überlebt haben, voller Stolz zeigen wollten, dann war es diese Gerichtsverhandlung, in der sich der Diktator und seine Schergen verantworten mussten.

Österreich und Deutschland haben nach 1945 ihren Diktator nicht lebendig verurteilen können. Wir Iraker konnten dies, weil unser Diktator sich nicht erschossen hat, um als angeblicher Märtyrer zu sterben. Saddam Hussein hat sich wie eine Maus in einem Loch versteckt und sich dann 18-jährigen US-Boys ergeben. Das war unser Diktator: Er wurde zwar von den Truppen der Koalition gefasst, aber durch ein irakisches Gericht verurteilt und durch irakische Henker zur Rechenschaft gezogen.

Wir hatten nicht die Gelegenheit, die Freude über den Sturz Saddams zu genießen, weil der Terror uns keine Zeit dazu ließ. Aber wir werden uns nicht durch Europas Moralismus die Freude an seiner Hinrichtung nehmen lassen. Sein Tod sollte auch für seine verbliebenen Anhänger ein Zeichen sein, dass das Regime Saddams endgültig zu existieren aufgehört hat. Es sollte ihnen ein Zeichen sein, dass sie, wenn sie weiter hier leben wollen, am neuen Irak teilnehmen und ihn nicht durch Terror bekämpfen sollten. Die Demonstrationen für den Diktator in seiner Geburtsstadt Tikrit sollte die Demonstranten lehren, dass sie gerade ein Recht genießen, das ihnen dieser neue Irak gebracht hat: ihre Meinung kundtun zu dürfen, so dumm und menschenverachtend sie auch sein mag.

Ali Al-Zahid, Sohn eines Schiiten und einer Sunnitin, wurde in Bagdad geboren. Gründer des Irakischen Think Tanks IRAQUNA und als Unternehmensberater tätig.


Artikel erschienen in Die Presse am 04.01.2007


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