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Im Schutz der Dunkelheit

Warum überfliegen israelische Kampfflugzeuge ein deutsches Spionageschiff? Was hat dieses Schiff dort eigentlich zu suchen? Und welche Konsequenzen sind aus dem Vorfall zu ziehen?

von Thomas Uwer

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United Nations – zwei Worte, die der ganzen Situation eine vollkommen andere Bedeutung geben und irgendwie, ja irgendwie der Beginn eines neuen Abenteuers sein könnten.« So endete der Bericht der Pressestelle der Bundesmarine über das 7.?Schnellbootgeschwader »Tender Elbe (in See)«, als dieses sich bereits auf dem Weg zur libanesischen Küste befand. Auch das Motto des Geschwaders konnte man dem Bericht entnehmen: »Don’t worry, be happy!« Das war Anfang Oktober. Dreieinhalb Wochen später hat das Abenteuer begonnen, aber happy ist man »irgendwie, ja irgendwie« trotzdem nicht.

Schuld daran sind die israelischen Kampfjets, die ein Schiff der deutschen Marine überflogen haben, das sich als Spionageschiff herausstellte, das weder im Mandat der Unifil Maritime Task Force noch in der vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Liste der Einsatzschiffe aufgeführt wird. Zu seinen Aufgaben gehören »das Aufrechterhalten der Fernmeeldeverbindungen sowie die fernmeldeelektronische Aufklärung«. So zitiert das Hamburger Abendblatt den offiziellen Auftrag.

Seit diesem Vorfall beginnt man in Deutschland zu erkennen, dass die Worte »United Nations« nicht nur Abenteuer, sondern auch eine Menge Ärger bedeuten können. Dieser beginnt ausgerechnet dort, wo ein »robustes Mandat« eigentlich Klarheit schaffen sollte über den Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Denn nach einem in der vorigen Woche bekannt gewordenen vertraulichen Vermerk des Bundesverteidigungsministeriums dürfen sich die Schiffe der Maritime Task Force ohne »Anforderung Libanons« nicht in der Sechs-Meilen-Zone vor der libanesischen Küste befinden.

»Getäuscht« habe die Bundesregierung das Parlament, kritisierte Birgit Homburger, die für die FDP im Verteidigungsausschuss des Bundestages sitzt. Er fühle sich »hinters Licht geführt und belogen«, schmollte der grüne Abgeordnete Alexander Bonde, und »an der Nase herumgeführt« wähnte sich sein Parteifreund Hans-Christian Ströbele. Ein »robustes Mandat«, wie die Erlaubnis zum Schießen nach Kapitel VII der UN-Charta gerne genannt wird, sehe anders aus, meint Dirk Niebel, der Generalsekretär der FDP. Über das Mandat müsse daher neu verhandelt und der Einsatz bis auf weiteres abgebrochen werden.

Einen wirklichen Grund zum Schmollen haben die Abgeordneten indes nicht. Denn verwundert kann nur sein, wer das Mandat der Unifil nicht kennt. Zwar ist die Truppe nach der Resolution 1?701 des Sicherheitsrats dazu befugt, ihre Mission notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Zusätzlich zum ursprünglichen Ziel der seit 1978 bestehenden Truppe wurde sie jetzt auch damit betraut, Waffenlieferungen an die Hizbollah zu unterbinden. Ihre eigentliche Aufgabe aber besteht darin, die Souveränität der libanesischen Regierung entlang der Blauen Linie zu Israel wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Demarkationslinie nicht verletzt wird.

Genau deshalb sind die derzeit rund 6?000 Blauhelmsoldaten, die bis Ende November auf 11?500 verstärkt werden sollen, auch ausnahmslos entlang der israelischen Grenze stationiert, in jenem Abschnitt, an dem am wenigsten Waffenlieferungen für die Hizbollah zu erwarten sind. Eine Kontrolle der syrischen Grenze haben die libanesische und die syrische Regierung bereits zu einem Zeitpunkt abgelehnt, als davon noch gar keine Rede war.

Den Rest soll die libanesische Armee erledigen. Wie das funktioniert, kann man in der Unifil-Zone beobachten. Eine Entwaffnung der Hiz­bollah hat nicht stattgefunden, während die Waffentransporte über die syrische Grenze wieder aufgenommen wurden. Was nachts passiert, wissen die Unifil-Soldaten ohnehin nicht, denn sie sind aus Sicherheitsgründen nur bei Tageslicht unterwegs. »Was die ortskundige Miliz im Schutz der Dunkelheit so treibt«, zitiert der Spiegel einen spanischen Offizier, »entzieht sich der Kenntnis der Unifil«.

Aber nicht jeder mag seinen Raketenwerfer nachts zu Fuß über die Grenze tragen, weshalb die Bundesmarine vor der Küste kreuzt. Weil große Waffenlieferungen und schweres Gerät per Schiff angeliefert werden könnten, soll die Maritime Task Force den Seeverkehr vor der libanesischen Küste kontrollieren. Dass dies nur in Zusammenarbeit mit den libanesischen Behörden stattfinden könne, war von Anfang an eine Bedingung des Einsatzes.

Bereits am 12.?September meldeten Nachrichtenagenturen, dass eine Kontrolle innerhalb der Sechs-Meilen-Zone von der libanesischen Regierung grundsätzlich abgelehnt und nur im Ausnahmefall gestattet werde. Weiter sollen libanesische Verbindungsoffiziere auf den Unifil-Schiffen präsent sein und ein »Vetorecht« im Falle möglicher Kontrollen haben. Wie man sich das im Ernstfall vorzustellen hat, bleibt weiter der Phantasie überlassen. Denn bislang hat es einen solchen Fall nicht gegeben.

Dabei war man noch vor Monatsfrist von der »historischen Bedeutung der Mission« überzeugt. Das Wort stammt vom Kommandeur der Flotte, Admiral Andreas Krause, der versicherte, auf mögliche Bedrohungen »besonnen zu reagieren«. Schließlich verfüge man über eine »politisch-militärische Doppelstrategie«. Man wolle nämlich die »politische Situation sehr genau im Auge behalten« und zugleich dazu bereit sein, »militärische Praxis walten zu lassen, um angemessen auf jede Situation, die da kommen mag, reagieren zu können«.

Vielleicht sind die Kämpfer der Hizbollah vom nächtlichen Werkeln in der Unifil-Zone im Südlibanon einfach zu erschöpft, um auf See tätig zu werden. Entgegen allen Ankündigungen verlief der Einsatz der Bundesmarine bislang so ereignisreich wie ein Tag im Altenheim. Am Freitag legte Fregattenkapitän Dirk Groß, der Sprecher der Marine, eine erste Bilanz vor: 380 Funksprüche an andere Schiffe habe die Flotte bereits abgesetzt. Durchsuchungen an Bord der Schiffe habe es jedoch nicht gegeben.

Viel Zeit also, um auf dem »Flottendienstboot Alster« Funksprüche abzuhören. Nur dass die »Alster« gar nicht zum Unifil-Verband gehört und vielleicht genau deshalb von israelischen Jets überflogen wurde. »Diese Mätzchen haben die Israelis schon viel früher gemacht«, zitierte die Netzzeitung vergangene Woche einen »Offizier aus dem Bundesverteidigungsministerium«. »Die wollen nicht, dass wir mit unserem Abhörschiff auch ihre Telefongespräche abhören.«

Nicht nur die FDP und die Linkspartei sind sich deshalb einig darüber, dass der Einsatz abenteuerlicher zu wer­den droht als gedacht. »Deutschland braucht eine Exit-Strategie« und müsse »die deutschen Soldaten aus dem Ausland zurückholen«, forderte Wolfgang Gehrcke von der Linkspartei. »Wir sollten unsere Marine heimholen«, meinte Niebel. Und der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andreas Schockenhoff, sagte zwar, dass Deutsch­land dort sei, um »Israel in seinen Interessen zu helfen«, fügte jedoch gleich noch die Aufforderung an Israel hinzu, die »Mätzchen« zu unterlassen: »Deswegen muss Israel sich kooperativ verhalten.«

Der raue Ton kommt vom »robusten Mandat«, das darin besteht, die Konfliktparteien notfalls zur Kooperation zu zwingen, im schlimmsten Fall sogar mit einer »politisch-militärischen Doppelstrategie«. Um das zu vermeiden, hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung eine diplomatische Lösung gefunden. Solange die herbstliche See zu unruhig ist für die Leichtmatrosen der libanesischen Marine, dürfen deutsche Schiffe auch in der Sechs-Meilen-Zone patrouillieren. Nun muss er nur noch die Israelis dazu bringen, sich von deutschen Spionageschiffen vor sich selbst schützen zu lassen.


Artikel erschienen in Jungle World Nr. 45 vom 08. November 2006


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