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Wer spricht eigentlich für "die Muslime"?

Wider den Alleinvertretungsanspruch des politischen Islam

von Thomas Schmidinger

Dass eine Serie überwiegend schlecht gezeichneter Karikaturen in einer dänischen Regionalzeitung in der islamischen Welt, von Pakistan über Saudi-Arabien und den Gaza-Streifen bis nach Europa, für derart martialische Reaktionen sorgt, sagt mehr über den Zustand der Gesellschaft in den meisten islamischen Ländern aus als über die Karikaturen. Tatsächlich steht der Nahe Osten vor der Entscheidung zwischen Demokratisierung und Dschihad. Muslime aber, die dänische Fahnen verbrennen oder EU-Büros stürmen, sind natürlich medial "ergiebiger" als jene Stimmen, die sich für eine islamische Aufklärung aussprechen.

Dabei scheint Europa sich bereits damit abgefunden zu haben, dass nur Vertreter einer mehr oder weniger politischen Interpretation des Islam für "die Muslime" sprechen können. Auch in Österreich fällt der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) bzw. ihrer Sprecherin Carla Baghajat, in einem an dieser Stelle publizierten Kommentar (31. 1.) nichts anderes ein, als dass eine "Provokation dort eine Grenze finden" müsse, "wo sie verantwortungslos und ignorant ... direkt oder indirekt zur Hetze" einlade. Dass gerade die maßlos überzogenen Proteste, die sich nicht einmal nur gegen die Zeitung, sondern kollektiv gegen alles Dänische, mittlerweile immer mehr gegen alles Europäische richten, die bissigste Karikatur das Islam darstellen, fällt Baghajati nicht ein. Eine klare Distanzierung von den ersten gewaltsamen Ausschreitungen eben so wenig, bzw. erst mit viertägiger Verspätung (siehe "Dialog verweigert").

Fataler Trugschluss

Stattdessen lobt die Kommentatorin die ehemaligen dänische Botschafter in islamischen Ländern, die in "einem berührenden Brief, stellvertretend für die bis dato passive politische Führung die Muslime um Verzeihung baten".

Warum sollen sich bitte, so frage ich, europäische Diplomaten dafür entschuldigen, dass eine demokratische Regierung nicht gegen einige lächerliche Karikaturen einer Regionalzeitung vorgegangen ist? Naive "Antirassisten", deren schlechtes Gewissen vor dem Hintergrund der Geschichte des europäischen Kolonialismus immer wieder von Vertretern eines politischen Islam benutzt wird, um sich jeglicher Kritik auch noch so totalitärer Islamisten zu enthalten, mögen ruhig um Verzeihung bitten. Sie verhelfen damit jedoch einer Strategie zum Durchbruch, die langfristig nicht nur das Recht auf Religionskritik und Ungläubigkeit untergräbt, sondern auch gerade jene Intellektuellen in der arabischen und islamischen Welt im Stich lässt, die sich in ihren Gesellschaften für Demokratie und Säkularismus einsetzen.

Nicht wenige dieser Menschen sind aufgrund der Verfolgung für ihr politisches Engagement nach Europa geflüchtet und finden sich nun hier in einer Situation wieder, in der wieder nur jenen Gehör geschenkt wird, die glauben ein Monopol auf "den Islam" zu besitzen. So reagierte etwa die IGGiÖ unlängst (19. 1.) mit einer aufgeregten Presseaussendung, in der sie sich von einer Konferenz der Österreichisch-Irakischen Gesellschaft für Entwicklung (AIAD) distanzierte, bei der Intellektuelle aus Irak, Palästina, Syrien und dem Iran gegen "Extremismus und Terror" auftraten. Riyadh Amir, der Generalsekretär der AIAD, hatte darauf hin klargestellt, dass "niemandem eine Monopolstellung" zustehe, "um über den Islam diskutieren zu dürfen."

Die hier kurz umrissene Kontroverse ist nur eine von vielen, die zeigt, dass es auch hier zu Lande niemand für "die Muslime" sprechen kann. Gerade in Bezug auf die gewaltsamen Proteste gegen einige Zeichnungen wäre es angebracht, auch jene Muslime zu hören, die sich zwar vielleicht auch beleidigt fühlen, aber eben auch jenen Meinungsfreiheit zugestehen, die ihren Propheten karikieren.

Auch unter Christen herrschte nach Gerhard Haderers "Leben des Jesus" helle Aufregung. Trotz juristischer Schritte siegte am Ende jedoch die Meinungsfreiheit.

Es bleibt zu hoffen, dass diese auch im Falle der Zeichnungen im Jyllands-Posten nicht den wirtschaftlichen Interessen Dänemarks oder den außenpolitischen Interessen der EU geopfert wird.

Der Autor ist Politologe, Flüchtlingsbetreuer in Niederösterreich, Mitarbeiter der im Irak tätigen Hilfsorganisation Wadi und hält eine Vorlesung zum Thema "Politischer Islam" an der Universität Wien.


Artikel erschienen in Der Standard am 07.02.2006


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