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Die Deutschen kommen

Die Neuorientierung der USA veranlaßt die deutsche Politik, nun auch im Irak deutschen Unternehmen wieder das Terrain zu bereiten.

von Thomas Uwer

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Eine Sonnenfinsternis, berichtete Herodot, verhinderte einst einen Krieg zwischen Sparta und den Persern. Der Krieg kam trotzdem, nur später, denn nicht Frieden, Unheil kündigte das Prodigium an, von einem Ausmaß, das selbst so gewichtige Alltagsgeschäfte wie den Krieg verdrängte.
Seitdem sind die Zeichen, derer man sich bedient, um die Geschicke des Vorderen Orients vorherzubestimmen, moderner geworden. Daß sie mitunter Schlimmeres künden, als einen Krieg, ist aber so gleichgeblieben, wie die Eigenheit, das ankündigte Unheil bereits durch ihre Erscheinung vorweggenonommen zu sehen. Wenn den Menschen im Irak also heute in dichter zeitlicher Folge Frank-Walter Steinmeier, Peter Gauweiler und Herta Däubler-Gmelin erscheinen, so gibt es wenig Grund zu der Annahme, es habe sich in Form und Inhalt viel gewandelt seit der Zeit als kommendes Unglück durch Meteoriteneinschläge, Wolkenformationen und menschliche Fehlbildungen angekündigt wurde.

Das Unheil, von dem sie künden, besteht in einer Rückkehr zu dem, was Normalität war, bevor Saddam Hussein und sein Ba'th-Regime gegen den Widerstand der Deutschen gestürzt wurde. »Es geht«, zitierte die Süddeutsche Zeitung den Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier, »in Sachen Wirtschaftshilfe vor allem um Infrastruktur.« Und das hat Tradition. Deutschlands Außenwirtschaftspolitik gegenüber den Despoten des Vorderen Orients beschränkt sich aus strategischen Gründen gerne auf die Lieferung von »Infrastruktur«, die aber in den seltensten Fällen harmlos ist. Im Irak wurden Anfang der 1980er Jahre mit deutscher Hilfe zwei chemische Produktionsanlagen für das »staatliche Pestizidprogramm« in Fallujah und Samarrah gebaut, in denen jene chemischen Kampfstoffe hergestellt wurden, mit denen die irakische Armee kurdische Städte und Dörfer im Norden des Landes bombardierte. Deutsche Hochbauunternehmen mit Gewerkschaftsanteilen errichteten Bunkeranlagen und gaben Ratschläge zur Tarnung »relevanter Anlagen«. Unter »Infrastruktur« fielen schließlich auch jene von einem mittelständischen Unternehmen im Münsterland gelieferten Maschinen und das Material, das zur Umrüstung sowjetischer Scud- zu irakischen Al-Hussein-Raketen verwendet wurde, damit diese auch Israel erreichten.

Daß es genau um diese Art freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und dem Irak geht, dafür spricht nicht nur die Wahl des entsandten Personals, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem an alte Kontakte anknüpft werden soll. Während der vergangenen sechs Jahre hat die Bundesregierung nichts unternommen, was dem Wiederaufbau und der Befriedung des zerstörten Irak hätte helfen können. Die als »bilaterale Entwicklungshilfe« für den Irak deklarierten 1,5 Milliarden Euro im letzten Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind in Wirklichkeit ein reiner Buchungsposten. Dahinter steht ein teilweiser Schuldenerlaß, dem Deutschland nach der Vereinbarung des Pariser Clubs widerwillig zugestimmt hat, nicht zuletzt weil es sich zum größten Teil um sogenannte Odious Debts handelt, illegitime Schulden, die zur Unterdrückung der Bevölkerung verwendet wurden. Darüber hinaus beschränkte sich die deutsche Irakpolitik darauf, dem Lande beim prophezeiten Untergang zuzusehen und Amerika die Schuld dafür zu geben.

»Kriegsbedingt«, heißt es deshalb auch beim Bundeswirtschaftsministerium, »brachen die deutschen Ausfuhren nach Irak im Jahr 2003 um 49,3 % ein.« Genauer müsste es heißen: Kriegsbedingt verschwanden 2003 die Gewährsmänner in den irakischen Ministerien, die für eine Auftragsvergabe im Sinne deutscher Unternehmen sorgten. Um die neue irakische Regierung und ihren kurdischen Ableger im Norden des Landes bemühte sich die deutsche Regierung gar nicht erst, entweder, weil man davon ausging, der Irak würde sich ohnedies in Kürze in einen Failed State verwandeln oder aber, was wahrscheinlicher ist, aus reinem Trotz und Überheblichkeit.

Seit 2007 aber hat sich die Lage im Irak allen deutschen Prognosen zuwider deutlich stabilisiert. Etliche Milliarden wurden bereits in den Wiederaufbau des Landes gesteckt und daran verdient, während die irakische Zentralregierung und die Kurden im Norden begonnen haben, die
Erschließungs- und Ausbeutungsrechte für ihre Erdölvorkommen auf den Markt zu werfen. Daß dieses Geschäft fast vollständig ohne deutsche Beteiligung vonstatten gegangen ist, wird den Nah-Ost-Experten um Volker Perthes sicherlich noch lange nachhängen. Der Druck jedenfalls, den irakischen Markt endlich auch für deutsche Unternehmen zu erschließen, ist zu groß geworden, um des eigenen Rechthabens willen den Irak weiter zu ignorieren. Der neue amerikanische Präsident Obama war kaum im Amt, da saßen Außenminister Steinmeier und Peter Gauweiler bereits im Flieger nach Bagdad, Herta Däubler-Gmelin war auf dem Weg in den kurdischen Nordirak. »Die deutsche Delegation will alles dafür tun, daß sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Irak verbessert«, zitierte die Süddeutsche Zeitung den Außenminister nun, »im Vorgriff zu einer Zeit (sic!), in der US-Soldaten nicht mehr in Bagdad patrouillieren.«

Vielleicht waren sie damit aber doch ein wenig spät dran, denn daß die drei nicht umgehend wieder aus dem Lande geworfen wurden, ist vor allem der Tatsache geschuldet, daß es der irakischen Wirtschaft infolge der allgemeinen Marktentwicklung bereits deutlich schlechter geht, als dies vor Jahresfrist noch der Fall war. Über 90 Prozent der Staatseinnahmen werden über den Verkauf irakischen Öls gedeckt, eine Geldquelle, die bei Ölpreisen um die 150 Dollar das Barrel vor noch einem Jahr noch munter sprudelte und allgemeinen Wohlstand schuf. Mit dem Rohölpreis, der zwischenzeitlich nur noch knapp über 40 Dollar das Barrel betrug, sind auch die Staatseinnahmen dramatisch gesunken. Die Unterdeckung des irakischen Staatshaushalts wird sich unmittelbar auf die Bevölkerung und damit wiederum auf die Stabilität des Landes auswirken. In allen Landesteilen hat sich, aller Liberalisierungsrhetorik zum Trotz, die Ölrentenökonomie wieder etabliert und mit ihr die bekannten Formen von Abhängigkeit und Klientelismus. 1,28 Millionen Menschen sind alleine im öffentlichen Dienst der kurdischen Regionalregierung beschäftigt, bei einer Bevölkerungszahl von viereinhalb, höchstens fünf Millionen Menschen in der von ihr verwalteten Region. Das bedeutet einerseits, daß ein unabhängiger Markt praktisch nicht existiert, während andererseits ein derart großer Teil des etwa 800 Millionen US-Dollar umfassenden Haushalts der Region für Gehälter benötigt wird, daß für wirtschaftliche Entwicklungsprogramme praktisch nichts bleibt. Bleiben die Ölrenten aus Bagdad irgendwann einmal aus, so steht die kurdische Region vor dem Bankrott.

Nicht besser sieht es in anderen Teilen des Landes aus. Alleine die enorme Aufstockung des Sicherheitsapparates bringt hohe laufende und zugleich unproduktive Kosten mit sich, die bei weiter sinkenden Ölpreisen nicht mehr gedeckt sein werden. Von den absehbaren gesellschaftlichen Folgen ganz zu schweigen: Ölrentenökonomien sind eben schon deshalb keine gute Voraussetzung für eine einigermaßen demokratische Herrschaft, weil sie auf Bürger als Produzenten und Steuerzahler in guten Zeiten nicht angewiesen sind; in schlechten Zeiten kosten Bürger Geld, das nicht vorhanden ist. Der arabische Sozialismus hatte darauf eine klassische Antwort: Krieg und Dezimierung der eigenen Bevölkerung.

Dies vorausgesetzt erhält das Angebot der Deutschen, bei der Infrastruktur zu helfen, trotz Krise einen Sinn. Für jene Güter, die der Vordere Orient bevorzugt vom deutschen Mittelstand bezieht, hat noch der ärmste Diktator eine Finanzierung gefunden. Noch ist der Irak nicht so weit. Daß es aber so weit kommen könnte, von diesem Unheil künden wie nichts anderes Steinmeier, Gauweiler und Däubler-Gmelin.

Artikel erschienen in Konkret 4/2009


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