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Demokratie statt Ba´thismus?

Vertreter iraqischer Parteien über Vergangenheit und Zukunft des Iraq

In den letzten Monaten haben viele sogenannte "Nahostexperten" und einige "Expertinnen" über den Iraq gesprochen und geschrieben. Das Geschriebene sagte viel mehr über diese "Experten" und "Expertinnen" aus als über den Iraq selbst. Für die Positionen der iraqischen Oppositon - oder mittlerweile ehemaligen Opposition - hat sich kaum jemand interessiert. Dabei hätte es auch in Europa im Exil Sprecher der iraqischen Opposition gegeben. Wie habt denn ihr selbst das Ba´th-Regime und die letzten Monate, die Befreiung des Iraqs von der Diktatur der Ba´th-Partei, erlebt?

Mustafa Ramazan (Kurdische Demokratische Partei, KDP): Wir als betroffene Iraqis wissen wirklich wie es im Iraq aussieht, ein Land das unter 35 Jahren grausamster Tyrannei leiden musste. Diese lange Zeit musste die iraqische Bevölkerung, insbesondere die Kurden im Norden, schreckliche Dinge über sich ergehen lassen. Ich kann hier nur einige Beispiele erwähnen. 1983 verschwanden 8.000 Frauen und Kinder der Barzani-Kurden in einem Konzentrationslager. Bis heute weiss man nichts über das Schicksal dieser Menschen. Von Juli bis Oktober 1988 wurden über 182.000 Menschen in der sogenannten al-Anfal aus dem Gebiet um Kirkuk verschleppt. Auch sie sind verschwunden und über ihr Schicksal gibt es bis jetzt keine genauen Informationen. 1991, als eine kurdische Delegation in Bagdhad mit der iraqischen Regierung verhandelt hat wurde Ali Hasan al-Kimawi nach dem Schicksal dieser 182.000 gefragt. Er stand empört auch und sagte: "Das waren keine 182.000, es waren nicht mehr als 100.000!" Das Regime gab also selbst zu, 100.000 Menschen verschleppt zu haben über deren Schicksal nichts bekannt ist. 1988 wurden in Halbja über 5.000 Menschen mit Giftgas ermordet. Es wurden 4.500 kurdische Dörfer ausgerottet. Im Golfkrieg zwischen Iran und Iraq wurden die kurdischen Gebiete doppelt getroffen, als sie von beiden Seiten bombardiert wurden. Nach dem zweiten Golfkrieg kam es sowohl im Norden als auch im Süden zu Volksaufständen die blutig niedergeschlagen wurden. Die schrecklichen Bilder von mehr als einer Million Kurden die vor der Rache Saddam Husseins in Richtung Türkei und Iran flüchteten haben dazu geführt, dass die Allierten, Amerikaner und Briten eine Schutzzohne im Norden errichtet haben. Durch den Abzug der iraqischen Verwaltung aus diesen Gebieten waren erstmals im Mai 1992 freie Wahlen möglich. Es folgte die Bildung einer Regionalregierung durch das gewählte Regionalparlament, die trotz großer Schwierigkeiten und einem internen Bürgerkrieg letztlich große Erfolge aufweisen konnten. Dieses demokratische Modell wird von vielen Iraqis und internationalen Beobachern als mögliches Modell für den gesamten Iraq angesehen.

Uns Iraqis war klar, dass wir dieses Regime Saddam Husseins nicht allein beseitigen können. Das war auch der Grund warum viele iraqische Oppositionsgruppen nicht gegen den Krieg waren. Wir haben nicht zu diesem Krieg aufgerufen und hätten ihn auch nicht verhindern können. Wir haben aber gewusst, dass in diesem Krieg über unser Schicksal entschieden wird. Deshalb haben wir mitgemacht.

Dhia al-Dabbass (Hoher Rat des islamischen Widerstands, SCIRI): Das Regime der Ba´th-Partei war eine absolute Diktatur. Diese Diktatur war nicht vergleichbar mit anderen Diktaturen der Welt. Dem iraqischen Volk wurden auch die einfachsten Rechte versagt. Das Regime infiltrierte alle Lebensbereiche und Belange der Bürger. Es war sogar in ihren Häusern allgegenwärtig. Das Ba´th-Regime wollte die absolute Kontrolle über die Bürger, die nur noch Sklaven des Regimes waren, das nur noch willkürlich handelte und das Volk in Kriege stürzte in die es gegen seinen Willen hineingezogen wurde. Die Wahlen im Iraq waren nur eine Farce um eine 100%ige Zustimmung zu erreichen.

Eine weitere Eigenschaft dieses Regimes war die ethnische Diskriminierung gegen die nichtarabischen Minderheiten, besonders gegen die Kurden im Iraq, die ja schon Mustafa Ramazan von der KDP beschrieben hat. Eine dritte Eigenschaft war die religiöse Diskriminierung gegen die Schiiten im Iraq. So wurden sowohl die Schiiten selbst, die die Mehrheit der Bevölkerung im Iraq bilden, als auch ihre religiösen Institutionen vernichtet. Das Regime verwandelte sich in den schlimmsten Feind der Mehrheit der Bevölkerung. Das Regime ließ etwa die Sümpfe im Südiraq trockenlegen, die etwa 50.000 Qadratkilometer bedecken und in denen 700.000 Menschen lebten. Diese Gebiete wurden völlig zerstört und ihre Bewohner vertrieben. In der heiligen Stadt Kerbala gab es etwa 350 schiitische Institutionen welche das Regime mit Dynamit sprengen ließ. Es handelte sich dabei um Schulen, Moscheen oder öffentliche Büchereien und nicht um politische Einrichtungen.

Kasim Talaa (Iraqische Kommunistische Partei, IKP): Wir waren selbstverständlich gegen die Diktatur der Ba´th-Partei, die wie von Mustafa Ramazan und Dhia al-Dabbass beschrieben eine extrem grausame Diktatur war, der über eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind. Es ist falsch die iraqische Bevölkerung nur in Schiiten, Sunniten, Kurden, Turkmenen oder Araber einzuteilen und nicht nach ihrer Weltanschauung. Man kann auch "Schiite" und Kommunist sein. Uns verfolgte das Regime weil wir Kommunisten sind. Wir haben auch jahrelang gemeinsam mit der PUK und der KDP bewaffnet gegen dieses Regime gekämpft, allerdings waren wir im Gegensatz zu den anderen Parteien hier von Anfang an gegen den Krieg der USA gegen den Iraq. Wir hatten gehofft das Regime durch die eigenen Bevölkerung, aber mit internationaler Unterstützung stürzen zu können. Von Europa hat es diese Unterstützung aber nicht gegeben. So waren wir aber gegen den Krieg. Es gibt historisch kein Beispiel wo mit einem Krieg eine Demokratie errichtet werden konnte.

Ist nicht gerade Österreich und Deutschland ein Beispiel dafür, dass dies sehr wohl möglich ist? Schließlich würde hier vielleicht immer noch die NSDAP regieren, wäre Deutschland nicht militärisch durch die Allierten besiegt worden.

Kasim Talaa (IKP): Das stimmt, aber ich denke, dass die Situation im Iraq nicht mit der in Deutschland verglichen werden kann. Die Ba´th-Partei wurde zwar ideologisch in vielerlei Hinsicht von den Nazis beeinflusst und stand diesen auch in ihrer Brutalität um nichts nach, aber der Unterschied ist, dass Hitler gewählt wurde. In Deutschland haben die Allierten also eine Demokratie, die es vor 1933 schon gegeben hat, wiederhergestellt, aber im Iraq gab es auch vor der Ba´th-Partei keine Demokratie. Im Iraq ist die Ba´th-Partei durch einen Putsch an die Macht gekommen und hat gegen den Willen der Mehrheit regiert, was auch zu einem wesentlich ausgeprägteren Repressionsapparat gegen die Mehrheitsbevölkerung geführt hat. Aber, wie gesagt, die überwiegende Mehrheit der Iraqis war gegen Saddam Hussein und deshalb glaube ich auch, dass wir es irgendwann alleine geschafft hätten Saddam Hussein und die Ba´th-Partei zu stürzen. Wenn alle oppositionellen Kräfte zusammengearbeitet hätten, hätten wir das geschafft.

Ein Unterschied zu Nazideutschland ist auch, dass die Nazis ihre Mordmaschinerie mit eigener Technologie betrieben haben, während das Regime Saddam Husseins nur mit technischer Hilfe und Waffenlieferungen von aussen morden konnte.

Dieser Krieg wurde in erster Linie aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen geführt. Uns droht nun eine ähnliche Entwicklung wie in Afghanistan, wo nun Stämme und religiöse Parteien regieren. In einem Interview mit BBC erklärte Paul Bremer, dass er keine Übergangsregierung, sondern nur eine Übergangsverwaltung mit einen Kommittee aus unabhängigen Personen bilden will, welchen nicht den politischen Kräften des Iraq entstammen, sondern aus Stämmen und religiösen Gruppen stammen, die die Politik der USA akzeptieren. Diese sollen dann die iraqische Verfassung ausarbeiten. Was Bremer will entspricht in erster Linie den wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA im Iraq.

Daban Shadala (Patriotische Union Kurdistan, PUK): Meine Kollegen von der KDP, SCIRI und den Kommunisten haben bereits vieles über die Schrecken der Ba´th-Partei gesagt. Ich möchte das deshalb nun nicht wiederholen. Was mir wichtig wäre, sind die politischen Schwierigkeiten, die wir hier in Europa gehabt haben. In Europa sind die Massen gegen diesen Krieg auf die Straße gegangen. Wir, die PUK, haben nicht gesagt, dass wir für den Krieg sind, haben aber immer klar gesagt, dass wir für einen Machtwechsel im Iraq eintreten. Die Demonstrationen die hier stattgefunden haben waren jedoch gegen den Krieg. Gegen den Krieg zu sein, hieß jedoch sich dafür zu entscheiden, dass Saddam Hussein länger an der Macht bleibt. Saddam Hussein hat aus dem Iraq zwei Iraqs gemacht. Einen Iraq unter der Erde, ein Iraq, der ein Massengrab darstellt und einen zweiten Iraq in dem die Leute auch großteils Tote waren, sowohl psychisch als auch physisch, weil sie psychisch kaputt gemacht wurden und weil sie nicht einmal das Lebensnotwendigste hatten. Die europäische Politik war für uns keine Friedenspolitik. In mehreren Ländern, wie in Deutschland, wurde eine Wahlpropaganda aus diesem Krieg gemacht, wo die Regierungsparteien aus ihrer angeblichen "Friedenspolitik" ihre Wahlpropaganda gezimmert hat. Wir wissen, dass die Deutschen, Franzosen und Russen ökonomische Partner des Ba´th-Regimes waren. Wir, die iraqische Oppositionsparteien, haben oft versucht bei diesen Regierungen Termine zu bekommen um über viele wichtige Fragen zu sprechen. Aber niemand aus diesen Regierungen wollte mit uns sprechen. Sie hatten sich von Anfang an gegen den Krieg ausgesprochen.

Sami Lazar (Assyrische Demokratische Bewegung, ZOWAA): Die Assyrer wurden im Iraq ebenso verfolgt wie die Kurden und alle anderen Gruppen, die das Ba´th-Regime als seine Feinde betrachtete. Wir gehören zu den ältesten Bevölkerungsgruppen des Iraq. Trotzdem richtete sich der arabische Nationalismus im Iraq schon früh gegen die christlichen Assyrer. Schon kurz nach der Unabhängigkeit hat der Iraq 1933 mit dem sogenannten Semede-Massaker an den Assyrern seinen Umgang mit der assyrischen Minderheit gezeigt. Seither wurden wir von fast allen Regierungen verfolgt. Nach dem Putsch der Ba´th-Partei wurde dann in den Siebzigerjahren die Assyrische Demokratische Bewegung gegründet. Mitte der Achzigerjahre wurden schließlich viele politische Führer der Bewegung in Bagdhad gehängt. 1991 nahmen wir an der Revolution gegen das Regime teil und seit 1992 sitzen wir als Vertreter des assyrischen Volkes im Parlament der autonomen Verwaltung im Nordiraq, wo wir mit fünf Mandaten gewählt wurden. Angesichts des Terrors des Regime Saddam Husseins haben wir uns entschieden für einen gewaltsamen Regimewechsel durch die US-Truppen einzutreten und nehmen seither auch an allen Sitzungen mit der iraqischen Opposition teil.

Wie sehen nun nach dem Sturz der Regierung Saddam Husseins eure Vorstellungen für den zukünftigen Iraq aus? Welches politische System strebt ihr an?

Mustafa Ramazan (KDP): Vor und während des Krieges haben sich die iraqischen Oppositionsparteien mehrmals in London und Salah ad-Din getroffen und haben klare Zukunftspläne für den Iraq ausgearbeitet. Seit dem Sturz des Regimes haben die Allierten, die nun auch von der UNO als Besatzungsmacht anerkannt wurden, intensive Gespräche mit allen politischen, religiösen und ethnischen Gruppen des Iraq geführt. Wir Iraqer versuchen in diesen Gesprächen einen demokratischen und föderalistischen Iraq zu erreichen. Wir fordern die Beseitigung aller Arabisierungsmaßnahmen die durch das Regime Saddam Husseins durchgeführt wurden und damit verbunden die Rückkehr der über 300.000 vertriebenen Kurden, Turkmenen und Assyrer in ihre ursprünglichen Regionen. Wir wollen ein proportionale Repräsentation der Kurden in der Zentralregierung in Bagdhad und eine Einbindung der Kurden in der Verwaltung. Wir fordern die Dokumentation und Veröffentlichung der Gräultaten dieses Regimes um die Unterdrückung des Volkes aufzuzeigen und ein Mahnmal für die Zukunft zu errichten, damit folgende Generationen von all dem verschont bleiben.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Auch wir waren in den Prozess von London und Salah ad-Din integriert. Unserer Ansicht nach braucht es im Iraq ein politisches System, das folgende Eigenschaften aufweist: Es muss sich um ein freies System handeln, das Entscheidungen ohne Druck auf die Bevölkerung fällt und frei agieren kann. Aufgrund der jüngsten Ereignisse haben wir etwas Freiheit erlangt, sind jedoch noch nicht völlig frei. Wir sind nun von ausländischen Truppen besetzt, die unsere Freiheit beschränken. Wir wollen aber völlige Freiheit und ein parlamentarisches System, das dem Willen des Volkes entspricht und dessen Parlament in freien Wahlen gewählt wird.

Zweitens wollen wir ein System das den Islam achtet, denn schließlich ist die Mehrheit der iraqischen Bevölkerung muslimisch. Das heisst für uns, dass die islamischen Bräuche, Kultur und Traditionen respektiert werden müssen. Auch die islamischen Vorschriften sollten geachtet werden, dann die islamische Rechtstradition sollte eine der Rechtsquellen des zukünftigen Iraq sein.

Drittens soll das Rechssystem die Besonderheiten des iraqischen Volkes respektieren. Die Schiiten haben etwa ihre eigenen Kulturen und religiösen Traditionen, genauso wie die Sunniten, Kurden, Assyrer und Turkmenen. Diese verschiedenen Traditionen und Kulturen sollten geachtet und respektiert werden und nicht diktatorisch vereinheitlicht und gleich gemacht werden, wie dies das Ba´th-Regime versucht hat.

Viertens wollen wir die Einheit des Iraq bewahren. Der Iraq muss ein Land für alle Iraqis werden.

Diese Frage des islamischen Rechts bzw. des Verhältnisses zwischen Staat und Religion dürfte ja eine der sensiblen und durchaus auch kontrovers diskutierten Fragen im Iraq sein. Was ist denn genau unter eurem Bezug auf die islamische Rechtstradition zu verstehen. Fast alle islamischen Staaten haben ja den einen oder anderen Bezug auf das islamische Recht in ihren Verfassungen, trotzdem liegt in der Realität ziemlich viel zwischen einem mehr oder weniger peripheren Bezug auf eine Rechtstradition wie sie in Tunesien oder Ägypten verankert ist und der Sharia wie sie in verschiedensten Formen in Saudi-Arabien im Iran oder im Sudan praktiziert wird. Von der Frage was ihr genau damit meint, wird also ziemlich viel abhängen.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Wir wollen das islamische Recht wie gesagt als eine, nicht als die einzige, der Quellen unserer Rechtssprechung. Die Mehrheit der Iraqis sind Muslime und es wäre undemokratisch gegen diese Mehrheit zu regieren. Das heisst aber nicht, dass wir die Sharia wie etwa in den erwähnten Beispielen einführen wollen. Wir wollen ein parlamentarisches Mehrparteiensystem und niemandem in seinem Privatleben aufzwingen wie er leben soll. Es gibt nur gewisse Dinge, wie etwa die Prostitution als Geschäft, die vielleicht in Europa von der Bevölkerung akzeptiert werden, in einem mehrheitlich islamischen Land aber nicht legalisierbar sind.

Kasim Talaa (IKP): Aber dazu braucht es nicht unbedingt den Islam. Prostitution ist auch in vielen europäischen Staaten bekämpft worden.

Sami Lazar (ZOWAA): Ja, aber diesbezüglich würde mich vom Vertreter von SCIRI schon interessieren, wie er sich das vorstellt. Der Iraq ist nämlich zwar mehrheitlich islamisch, aber es gibt eben auch uns als christliche Minderheit und andere religiöse Minderheiten, die sicher kein islamisches Recht wollen.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Der Islam ist die Religion der Mehrheit, das heisst aber nicht, dass wir andere Religionen unterdrücken wollen. Selbstverständlich wollen wir volle Religionsfreiheit auch für Christen, Juden, Mandäer, Yesidi und alle anderen Religionen im Iraq.

Mustafa Ramazan (KDP): Diese Frage wurde auch in London und Salah ad-Din diskutiert und ich glaube es gibt hier einen weitgehenden Konsens, dass der Islam zwar die Staatsreligion des Iraq sein soll, aber alle anderen Religionen die selbe Religionsfreiheit genießen sollen und Staat und Religion an sich zu trennen sind, der Iraq also ein laizistischer Staat werden soll.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Es gibt ja auch in der Türkei jetzt eine religiöse islamische Partei an der Regierung, die eine Aussöhnung zwischen Islam und dem Laizismus anstrebt. Ich denke, dass wir uns in eine ähnliche Richtung entwickeln.

Wie sich diese Aussöhnung einer islamischen Partei mit dem Laizismus entwickeln wird, wird wohl noch zu beobachten sein. Auch in Europa brauchte es seine Zeit bis etwa die Christdemokratie sich mit einem laizistischen Staat arrangiert hat und dieser Prozess steht auch hier immer noch in einem gewissen Spannungsfeld zwischen Religion und Staat. Vielleicht kommen wir aber wieder auf die allgemeinere Frage der zukunftigen Entwicklung des Iraq zurück um auch noch die Vorstellungen der Kommunistischen Partei, der PUK und der Assyrischen Demokratischen Bewegung zu hören.

Kasim Talaa (IKP): Auch wir Kommunisten unterstützen die Forderung nach deinem demokratischen und föderalen Iraq, aber so sehr wir und über das Ende der Ba´th-Diktatur freuen, so unerfreulich ist die augenblickliche Situation im Iraq. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört und es kommt immer noch zu Plünderungen. Die Schergen Saddam Husseins laufen immer noch frei herum und die lokale Verwaltung ist von Sippen und religiösen Gruppierungen übernommen worden oder ist weiter in der Hand von Getreuen des alten Regimes. Fundamentalistische Söldner sorgen für Unruhe auf den Straßen. Der Iraq hat keine Regierung und keine Verfassung. Es gibt nicht einmal iraqischen Vertreter in der US-Militärverwaltung. Es existiert keine Übergangsregierung, sondern eine amerikanisch-englische Verwaltung, die von der UNO anerkannt wurde. Der Iraq steht damit unter einer Besatzung. Das ist nicht die Befreiung, die uns versprochen wurde. Nun ist die Tatsache der Besatzung hier und wir müssen gemeinsam Handeln um die Zustände in diesem Land zu ändern. Deshalb fordern wir die Bildung einer Übergangsregierung unter Einbeziehung aller politischen Kräfte des Iraq, den Wiederaufbau der Infrastruktur und der Verwaltung und die Wiederherstellung der allgemeinen Sicherheit. Wir müssen eine Verfassung ausarbeiten, die Selbstverwaltung der Kurden anerkennen und freie Wahlen vorbereiten, die unter internationaler Beobachtung stattfinden sollen. Dabei müssen auch die Rechte der ethnischen und religiösen Minderheiten anerkannt werden. Diese Ziele können wir realisieren, wenn sich alle politischen Kräfte des Iraq auf ein gemeinsames Arbeitsprogramm einigen.

Daban Shadala (PUK): Es ist klar, dass es sehr schwer ist ein Land das 35 Jahre lang systematisch zerstört wurde, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, wieder aufzubauen. Wir wissen genau was uns jetzt erwartet. Wir haben seit 12 Jahren im Norden des Landes eine eigene Verwaltung. Wie mein Kollege Mustafa Ramazan gesagt hat, waren am Anfang über 4.000 Dörfer total zerstört. Über 200.000 bis 300.000 Menschen waren ermordet worden. Bis heute wissen wir nicht einmal wo sie begraben worden sind. Die kurdische Bevölkerung hat am meisten unter diesem Regime gelitten. Trotz aller Einmischungen der Nachbarländer haben wir gemeinsam mit der kurdischen Bevölkerung eine eigene Verwaltung ausgeübt. Wir haben heute im Nordiraq trotz vieler Schwierigkeiten eine Demokratie. Diese Demokratie wollen wir nun für den gesamten Iraq verwirklichen. Wir sind bereit uns an einer Übergangsregierung zu beteiligen und freie Wahlen mit vorzubereiten. Zugleich treten wir jedoch auch innerhalb des Landes für Föderalismus ein, da auch wir Kurden das Recht haben über unsere Verfassung zu entscheiden. Es wird immer wieder davon gesprochen, auch Kasim Talaa und Dhia al-Dabbass haben das erwähnt, dass sich die Amerikaner schnell zurückziehen sollten und eine Übergangsregierung gebildet werden muss. Ich glaube, dass das zur Zeit sehr schwierig ist, da die Ba´th-Partei immer noch sehr gut organisiert und bewaffnet ist. Die Bevölkerung nach 35 Jahren Ba´th-Diktatur noch nicht realisiert, dass Saddam Hussein nicht mehr an der Macht ist. Sie hat nach wie vor Angst, dass Saddam Hussein wieder an die Macht kommen könnte, wenn sich die Truppen der Allianz zurückziehen. Deshalb ist das noch ein langer Weg. Wir sind dafür, dass die Truppen der USA so lange bleiben, bis sie die Macht an eine Übergangsregierung übergeben können.

Uns Kurden ist von vielen Arabern und Europäern vorgeworfen worden, dass wir uns von vornherein mit den Amerikanern eingelassen haben. In den arabischen Straßen wurde gegen uns demonstriert und behauptet, dass wir Kurden den Iraq aufteilen wollen, einen Teil des Landes abspalten wollen. Aber das stimmt nicht. Wir wollen kein arabisches Land wegnehmen. Wir sind nicht in Quwait einmarschiert, haben dort keine arabische Grenze überschritten und haben kein arabisches Land besetzt. Das hat die Diktatur Saddam Husseins gemacht. Erst nach dem Einmarsch der Truppen Saddam Husseins in Quwait hat man auch unser Leiden zur Kenntnis genommen, weil es im Interesse der Welt war, dass ein ökonomisch wichtiges Land wie Quwait nicht von Saddam Hussein regiert wird. Wenn jetzt behauptet wird, wir würden den Iraq aufteilen wollen kann das nur wieder eine Folge dessen sein, dass unsere Positionen nicht wahrgenommen werden wollen. Sowohl wir, die PUK, als auch die KDP haben sich klar für die Erhaltung eines gemeinsamen Iraq ausgesprochen. Föderalismus ist die beste Garantie dafür, dass dieser gemeinsame Iraq erhalten bleibt.

Sami Lazar (ZOWAA): Wir waren, wie gesagt von Anfang an in den Diskussionsprozess der iraqischen Oppositionsparteien in London und Salah ad-Din eingebunden und stehen zu den dort gefassten Beschlüssen. Wir wollen einen demokratischen Iraq ohne Diktatoren und Fundamentalisten. Wir wollen eine Regierung in der alle politischen, religiösen und ethnischen Gruppen des Iraq repräsentiert sind. Wir wollen auch eine Ankurbelung der Wirtschaft, wobei die Landwirtschaft eine ausreichende Beachtung finden muss. Das ökonomische System des Iraq muss verändert werden, damit die iraqische Bevölkerung vom natürlichen Reichtum des Landes profitieren kann.

Damit wäre wohl neben dem politischen System eine weitere zentrale Frage für den zukünftigen Iraq angesprochen. Welches ökonomische System stellt ihr euch für den zukünftigen Iraq vor? Insbesondere würde mich die Frage interessieren ob das vom Ba´th-Regime verstaatlichte Erdöl in Zukunft weiterhin von einem staatlichen Erdölkonzern ausgebeutet oder privatisiert werden soll. Vielfach wird ja in Europa behauptet, dass es eines der Hauptkriegsziele der USA gewesen wäre die Erdölförderung zu privatisieren und für US-Konzerne zu sichern.

Sami Lazar (ZOWAA): Wir glauben, dass eine Privatisierung der Erdölindustrie durchaus aus im Interesse der iraqischen Bevölkerung sein könnte, da eine Marktwirtschaft sicher einen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen könnte.

Kasim Talaa (IKP): Wir iraqische Kommunisten sehen das selbstverständlich anders. Es wäre fatal, wenn das iraqische Erdöl, immerhin der wichtigste iraqische Bodenschatz nicht in staatlichen iraqischen Händen bleiben würde.

Daban Shadala (PUK): Ich glaube die Verstaatlichung des iraqischen Erdöls war das einzige Gute, das Saddam Hussein jemals gemacht hat.

Mustafa Ramazan (KDP): Wir sind hier ja alle keine Wirtschaftsexperten, aber es gibt bei den meisten iraqischen Parteien einen Konsens, dass die Erdölindustrie nicht privatisiert werden sollte. Von den USA wurde uns auch zugesichert, dass das Öl weiterhin in iraqischen Händen bleiben soll und eine zukünftige Regierung über dieses entscheiden soll.

Der Iraq hat nun nach 35 Jahren des Ba´th-Regimes auch mit einer Menge lokaler Konflikte zu kämpfen. Eine der brisantesten Fragen ist wohl die Rückkehr von Flüchtlingen, die durch die Arabisierungspolitik Saddam Husseins etwa aus der Region Kirkuk vertrieben wurden. Nun leben in den Häusern Zehntausender Vertriebener KurdInnen, AssyrerInnen und TurkmenInnen, arabische, teilweise palästinensische Familien und die damals Vertriebenen, die jahrelang als Flüchtlinge in Zelten leben mussten wollen zurück in ihre Häuser. Wie wird mit diesen vorprogrammierten Konflikten umgegangen?

Daban Shadala (PUK): Die Lösung dieser Konflikte gehört tatsächlich zu unseren dringlichsten Aufgaben. Hier gab es in den ersten Tagen der Befreiung von Kirkuk auch einige Konflikte. Es ist auch schwer diesen Flüchtlingen zu erklären, dass sie jetzt nicht einfach in ihre Häuser zurückkehren können, sondern sich noch gedulden müssen. Wir können nun nicht einfach die arabischen Bewohner dieser Häuser wiederum vertreiben. Deshalb bemühen wir uns sehr die Flüchtlinge zu beruhigen und um Geduld zu bitten. Zur Zeit leben die Rückkehrenden in Kirkuk im Fußballstadion. Die Situation dort, wo sie in den sehr beengten Kabinen leben, ist natürlich sehr problematisch und die Leute können dort nicht auf längere Zeit hin bleiben. Deshalb müssen wir rasch neue Häuser für die Flüchtlinge oder für die arabischen Bewohner ihrer Häuser bauen. Auch der Wiederaufbau zerstörter Dörfer hat hier höchste Priorität, wenn wir gefährliche Konflikte vermeiden wollen.

Mustafa Ramazan (KDP): Wir brauchen hier auch dringend internationale Unterstützung um diesen Wiederaufbau bewältigen zu können.

Sami Lazar (ZOWAA): Auch die assyrischen Dörfer, von denen Hunderte zerstört wurden, müssen wieder aufgebaut werden. Diese Flüchtlinge leben immer noch unter unterträglichen Bedingungen.

Mich würde aber noch eine Frage an die Vertreter der beiden kurdischen Parteien interessieren. Wie stellt ihr euch den Föderalismus im zukünftigen Iraq vor?

Für uns und etwa die Turkmenen würde es wenig nützen, wenn es nun ein ethnisch definiertes kurdisches Autonomiegebiet gäbe und wir dann dort eine Minderheit wären.

Daban Shadala (PUK): Dieser Föderalismus muss sicher alle anderen Minderheiten ebenfalls berücksichtigen.

Kasim Talaa (IKP): Ich denke, dass hier ein territorialer Föderalismus, etwa wie bei den österreichischen Bundesländern sinnvoller wäre als ein ethnisch definierter. Wir wenden uns strikt gegen eine Übernahme der Macht durch ethnische Gruppen, Clans, Stämme oder religiöse Gruppierungen. Deshalb müssen alle politischen Parteien in die Übergangsregierung eingebunden werden.

Eines der ideologischen Elemente die das Ba´th-Regime von deutschen Nazis übernommen hat, war ein strikter Antisemitismus, der dazu geführt hat, dass auch jene iraqischen Juden, die bis 1968 noch nicht das Land verlassen haben flüchteten. Schon vorher wurde all jenen die das Land verließen oder verlassen mussten, ihr gesamtes Eigentum geraubt. Gibt es von eurer Seite auch Überlegungen ob dieses Eigentum zurückerstattet werden soll bzw. ob und wie iraqische Juden wieder in den Iraq zurückkehren können?

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Die iraqischen Juden waren immer Teil der iraqischen Bevölkerung. Es gab keine Probleme zwischen den anderen Iraqis und den Juden. Diese wurden von der Regierung verursacht. Wenn die Juden zurückkehren wollen, sind sie willkommen und können dann auch ihr Eigentum zurückerstattet bekommen.

Kasim Talaa (IKP): Wenn die iraqischen Juden zurückkehren wollen sind sie willkommen und wir werden auch Wege finden ihnen ihr Eigentum zurückzuerstatten. Als Touristen sollen sie aber nicht kommen, bis zwischen Israel und den Palästinensern ein Frieden unterzeichnet ist.

Was heißt das? Wie stellt ihr euch in Zukunft die iraqisch-israelischen Beziehungen vor?

Kasim Talaa (IKP): Der Iraq ist Teil der arabischen Welt. Wenn es eine Friedenslösung zwischen Palästinensern und Israelis gibt, werden auch wir, als Teil des Nahen Ostens, Teil dieses Prozesses auf Basis von Demokratie, Selbstbestimmung und gegenseitigem Respekt sein. Bis jetzt gibt es aber noch keine Beziehungen zu Israel und deshalb wird es auch noch keinen israelischen Tourismus in den Iraq geben können.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Wir sind Mitglied der Arabischen Liga und werden hier keinen Sonderweg gehen. Aber wenn es zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes kommen wird, werden wir dabei sein. Wenn es zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes kommen wird und die Palestinänser Ihren eigenen Staat genissen, werden wir dabei sein.

Daban Shadala (PUK): Wahrscheinlich ist es noch zu früh darüber zu diskutieren. Die zukünftigen Beziehungen zu Israel werden wir einer zukünftigen demokratisch gewählten Regierung überlassen müssen. Es gibt ja auch sehr viele kurdische Juden in Israel und ich würde mich sehr freuen, wenn diese zurück kommen würden oder wir gute Beziehungen zu diesen aufbauen können.

Auch zu einigen Nachbarstaaten könnten die zukünftigen Beziehungen schwierig werden. Wie seht ihr diese, insbesondere zur Türkei, die ja zu Beginn des Krieges mit einem Einmarsch in den kurdischen Gebieten des Nordiraq drohte?

Daban Shadala (PUK): Sowohl die PUK als auch die KDP versucht schon lange gute Beziehungen zur Türkei aufzubauen und der Türkei zu versichern, dass sie keine Angst vor einem föderalistischen demokratischen Iraq zu haben brauchen. Ich glaube, dass diese Politik neben dem Druck der USA auf ihren Verbündeten dazu beigetragen hat, einen Einmarsch der türkischen Truppen zu verhindern. In Kurdistan haben die Leute auch massenhaft gegen einen türkischen Einmarsch demonstriert, weshalb wir uns selbstverständlich gegen jede Einmischung von Seiten der Türkei verwahrt haben.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Wir wünschen uns gute nachbarschaftliche Beziehungen sowohl zur Türkei als auch zum Iran. Die politische Zukunft des Iraq wird aber im Iraq entschieden werden.

Seht ihr also optimistische in die Zukunft?

Kasim Talaa (IKP): Das Ba´th-Regime ist weg, aber wir stehen unter Besatzung und sind noch lange nicht frei. Die Situation ist zur Zeit nicht sehr ermutigend.

Dhia al-Dabbass (SCIRI): Wir haben uns wie gesagt sehr über den Sturz Saddam Husseins gefreut, kritisieren jetzt aber die Besatzungspolitik, da es immer noch keine Übergangsregierung gibt. Ohne einer Teilnahmme der Iraqer bei der Verwaltung des Staates, wird es jedoch auf allen Ebenen zu keiner positiven Entwicklung der Situation im Iraq kommen.

Mustafa Ramazan (KDP): Wir haben jetzt eine einmalige Chance. Nach 35 Jahren Terrorherrschaft wird es lange dauern bis das Land wieder aufgebaut ist und sich zu einer Demokratie entwickelt, aber wir haben eine ernsthafte Chance die es zu nützen gilt.

Sami Lazar (ZOWAA): Ich glaube auch, dass es noch lange dauern wird und wir wohl auch noch eine lange Präsenz der Briten und Amerikaner brauchen werden, aber wenn wir alle zusammenarbeiten und auch die kleineren Minderheiten wie die Assyrer eingebunden werden, sehe optimistisch in die Zukunft.

Daban Shadala (PUK): Ja, auch in Europa mussten die Besatzungstruppen nach 1945 länger bleiben um eine demokratische Entwicklung zu ermöglichen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es immer noch 2 Millionen Ba´thisten gibt, die noch immer gut organisiert und bewaffnet sind und ständig versuchen das Land zu destabilisieren. Diese müssen erst noch besiegt werden, ehe wir eine Demokratie wirklich aufbauen können. Wir sind jedoch trotz aller Schwierigkeiten optimistisch, dass wir das schaffen. Das Experiment im Nordiraq, wo wir es auch letztlich geschafft haben demokratische Strukturen aufzubauen, zeigt, dass wir im Iraq fähig sind eine Demokratie zu entwickeln.


Das Gespräch führte Thomas Schmidinger.

Leicht gekürzt erschienen in Konkret 7/03


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