Demokratie ja, Sharia nein!
Ein Gespräch mit einer jungen Aktivistin des Green Movement.
von Thomas von der Osten-Sacken
Der Treffpunkt ist eine Café-Bar in Istanbul. Leyla* wartet bereits, trinkt gezapftes Efes-Bier und raucht eine Wasserpfeife. Äußerlich unterscheidet sie sich durch nichts von den türkischen Jugendlichen, die an den Nachbartischen sitzen. Nur: Leyla stammt aus dem Iran, ist aus familiären Gründen für ein paar Tage an den Bosporus gekommen und wird in Kürze in den Iran zurückkehren. Denn am Donnerstag will sie auf jeden Fall mitdemonstrieren in Teheran.
Sie bezeichnet sich selbst als typische Vertreterin des „Green Movement“, nichts an ihr sei besonders, nichts unterscheide sie von den Millionen anderer junger Menschen, die die Opposition unterstützen. Vor einem Jahr hat sie in Kermanshar im kurdischen Nordwesten des Landes ihre Abitur gemacht, jetzt wartet sie auf einen Studienplatz in Teheran. Sie möchte Medizin studieren. Aktiv sei sie seit zwei Jahren, sagt Leyla, in der Frauenbewegung habe sie sich politisiert. Und seit dem 12. Juni unterstütze sie aktiv die Grüne Bewegung, damals, nach der Wahlfälschung, sei sie zum ersten Mal in ihrem Leben demonstrieren gegangen. Leyla stammt aus einer Mittelklassefamilie, ihre Eltern machen sich zwar Sorgen um sie und ihre Sicherheit, unterstützen aber voll und ganz ihr Anliegen.
Dann beginnt sie zu erzählen über jene Menschen, Frauen vor allem, die wie sie die Opposition im Iran prägen. Ihr Englisch ist fließend, nur hier und dort fehlen ihr ein paar Wörter. Eine zentrale Organisation oder Führung der Opposition gebe es nicht. Man kommuniziere über das Internet und Mobiltelefone. Nein, sie sei keine Anhängerin von Moussavi oder Karroubi, aber beide spielten als Koordinatoren der Demonstrationen eine wichtige Rolle. „Ich kämpfe für wirkliche Demokratie und ein Ende der Islamischen Republik. Die beiden dagegen stehen nur für Reformen des bestehenden Systems. Sie glauben an die Islamische Republik!“
Doch inzwischen, so erklärt sie, wollten die meisten Anhänger der Grünen Bewegung weit mehr als solche Veränderungen. „Auch Moussavi weiß das, aber er hält an seinem legalistischen Kurs fest, und das ist gut, weil er es so dem Regime schwer macht, uns einfach nur als Umstürzler zu behandeln. Und obwohl er das weiß, distanziert er sich nicht von Leuten wie uns.“ Er akzeptiere gewissermaßen notgedrungen die Radikalisierung, die die Bewegung in den letzten Monaten durchlaufen habe. „Zunächst ging es vor allem um Neuwahlen, die wenigsten stellten etwa Khameneis Führungsanspruch offen in Frage.“ Erst als der Revolutionsführer sich so deutlich auf die Seite Ahmedinejads geschlagen habe, habe sich das geändert. „Heute spielt Ahmedinejad für uns keine Rolle mehr. Wir sehen ihn als eine Art Clown. Jetzt geht es um die Systemfrage.“
Sie und viele ihrer Bekannten wollten eine säkulare Demokratie. Aber so deutlich werde man öffentlich noch nicht, betont Leyla, denn die Grüne Bewegung bestehe aus verschiedenen Fraktionen.
Obwohl die absolute Mehrheit der jungen Demonstranten aus Städten wie Teheran, Isfahan und Shiraz sich darin einig sei, dass Khamenei und sein Amt weg müssten, gebe es auch noch eine religiös motivierte Opposition, etwa in den heiligen Städten Qom und Mashad. Einige dieser Religiösen seien ebenfalls gegen die Herrschaft des Klerus und unterstützten offen ein System, wie es im Irak etabliert worden sei. Andere zielten auf einen Austausch des Revolutionsführers. Man wisse um die Heterogenität der Bewegung und versuche deshalb, so allgemeine Forderungen wie möglich zu stellen. Die Frauenbewegung sei dafür ein gutes Beispiel. So habe man etwa mit Rücksicht auf die konservativeren Teile der Bewegung darauf verzichtet, sofort ein Ende des Verschleierungszwangs zu fordern, auch wenn die meisten Frauen in der Bewegung das wollten. „Wir alle teilen den Wunsch, dass diese Regierung stürzt. Was dann kommt, muss später diskutiert und entschieden werden. Dies ist eine Bewegung ohne Führer und Parteien. Das ist zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche.“
Allen gemein aber sei, dass sie ein Ende von Khamenei und der Herrschaft von Revolutionsgardisten und Bassiji wollten. Und seit dem Juni sei dies ein erreichbares Ziel. „Wir hatten immer Angst vor der Regierung, heute hat die Regierung Angst vor uns, schreckliche Angst.“ Vor allem vor den Demonstrationen am kommenden Donnerstag. Und sie persönlich? Sicher, auch sie habe Angst, besser gesagt: Furcht davor, verhaftet zu werden oder gar erschossen. Aber das halte sie nicht davon ab, nach Teheran zu fahren.
Die Frage, wie ein neuer Iran sich künftig positionieren solle, ist für Leyla zwiespältig: Die Finanzierung terroristischer Organisationen im Libanon und Palästina, da seien sich innerhalb der Grünen Bewegung alle einig, müsse umgehend eingestellt werden. Aber ob sie einen Frieden mit Israel wolle, könne sie so nicht beantworten; sollten die Informationen stimmen, die man über das Leiden der Palästinenser höre, so sei sie gegen einen Friedensschluss, bevor es keine Zweistaatenlösung gibt. Lösungen müssten in jedem Fall auf friedlichem Weg gefunden werden.
Ahmedinejad und Khamenei hingegen traut Leyla zu, eine Atombombe, sollten sie denn eine entwickeln, auch einzusetzen. „Die schrecken vor nichts zurück.“ Wie der Westen reagieren solle? Von allgemeinen Wirtschaftssanktionen hält sie nichts „Davon werden nur die einfachen Leute getroffen.“ Sinnvoll sei dagegen ein totaler diplomatischer Boykott des Regimes und gezielte Sanktionen gegen die Revolutionären Garden und das Militär. Überhaupt habe der Westen vollkommen versagt, in ihn habe sie in den vergangenen Monaten jedes Vertrauen verloren. Die Demonstranten und die Opposition seien im Stich gelassen geworden. „Gerade von Obama haben wir uns anfangs so viel versprochen, und nun müssen wir zusehen, wie er die Grüne Bewegung verrät.“ Auch Europa gehe es nur um ökonomische Interessen. Ja, man wolle klare und deutliche Worte gegen das Regime, Unterstützung und Solidarität, sagt Leyla. Genau davor nämlich hätten die Herrschenden im Iran panische Angst.
Vor einem Militärschlag dagegen fürchtet sie sich. Nein, der Iran solle auf keinen Fall eine Bombe besitzen, aber es sei doch viel sinnvoller, die Opposition zu unterstützen, als später Krieg zu führen. Ein Militärschlag könne auch die Grüne Bewegung schwächen. Noch gebe es sehr viele Menschen im Iran, die entweder vom Regime profitierten oder immer noch an es glaubten. Täglich aber wachse die Protestbewegung. Ein Militärangriff triebe diese Leute womöglich zurück in die Reihen des Regimes. „Außerdem hätten sie dann eine Entschuldigung, noch blutiger gegen uns vorzugehen.“
Es ist spät geworden, ihre Wasserpfeife hat Leyla geraucht. Ein paar letzte Fragen zur Lage in Kurdistan. Ja, sie sei Kurdin, aber ebenso Iranerin und weniger nationalistisch als viele ihre Freunde. Die Kurden in Teheran, und von ihnen gebe es unzählige, nähmen Seite an Seite mit Persern, Arabern, Balutschen und Menschen anderer Nationalitäten an den Demonstrationen teil. In Kurdistan selbst dagegen wünsche man zwar einen Sturz des Regimes, habe aber keine großen Sympathien mit der Grünen Bewegung. „Wenn in Teheran Menschen inhaftiert oder hingerichtet werden, protestieren alle, wenn aber in den kurdischen Gebieten Hinrichtungen stattfinden interessiert das niemanden.“ Es werde ein langer Weg, meint sie, bis die Perser bereit seien, auch die Rechte der Minderheiten voll anzuerkennen oder gar einem föderalen System zuzustimmen, wie es jetzt im Irak existiere. Das alles aber seien Fragen, die man in der Zukunft diskutieren solle. Erst einmal gelte es, am Donnerstag mit so vielen Menschen wie möglich auf die Straße zu gehen. Und da habe sie eine einfache Forderung: „Ja zur Demokratie, nein zur Scharia!“
Wenn auch nur die Hälfte aller Anhänger der Opposition im Iran über eine solche Willensstärke verfügen wie die 19jährige Leyla, dann haben die Herrschenden im Iran in der Tat allen Grund, Angst zu haben.
* Name wurde zum Schutz der Interviewten geändert.
Artikel erschienen im WadiBlog am 10.02.2010