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Die Arbeit der Mobilen Frauengeführten Teams in Irakisch-Kurdistan im Kontext unserer Aktivitäten zur Stärkung von Frauenrechten

Vortrag von Cheman Rashid Abdulaziz (Wadi e. V.) bei der Veranstaltung "Macht Ehre Scham" des Institutes für Auslandsbeziehungen (Ifa) am 28. 6. 2005


Meine Damen und Herren,

vielen herzlichen Dank für die mir gewährte Gelegenheit mit Ihnen gemeinsam an dieser Tagung teilzunehmen und Ihnen kurz über unsere Aktivitäten im irakischen Kurdistan zu berichten. Ich glaube, dass allen die momentane Lage und die Entwicklungen im Irak durch die Medien bekannt sind. Ihnen allen wird klar sein, dass die irakische Gesellschaft geprägt ist von Gewalt. Und wo Gewalt ein Gesellschaftsproblem ist, da ist es auch die Gewalt gegen Frauen. Die kollektive Erfahrung von Gewalt verstärkt noch die traditionelle Rolle, die Frauen in islamisch geprägten Gesellschaften zukommt. Frauen spielen in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, sie sind auf das Leben innerhalb der Familie beschränkt. Familiäre Beziehungen ihrerseits sind geprägt von einem strengen Moralkodex, der die Unterwerfung der Frau unter ihre männlichen Angehörigen fordert. Diese Ordnung aufrecht zu erhalten ist gleichbedeutend mit der Wahrung familiärer Ehre.

Im Kontext von Diktatur und kriegerischem Konflikt gedeihen diese Moralvorstellungen besonders gut. Weil in der Diktatur und im Ausnahmezustand alles öffentliche gefährlich ist, suchen die Menschen zuflucht in familiären Beziehungen. Andererseits hat der irakische Staat über Jahrzehnte solche traditionalen Strukturen direkt gefördert. Gewalt gegen Frauen war legal im Irak, sofern damit ein Verstoß gegen die „Ehre“ vergolten wurde. Einige Tausend Frauen und Mädchen sind im Irak ganz legal ermordet worden, viertausend zählten die Vereinten Nationen alleine Ende der Neunziger Jahre.

Diese Zahl ist erschreckend hoch. Sie spiegelt deutlich eben nicht nur eine grausame Tradition wider, sondern das gesamte Setting der Erfahrungen mit gewalttätigen Konflikten, die familiäre Beziehungen nicht nur verstärkt, sondern zugleich auch zerrüttet haben. Denn in der Familie wird die von Außen erfahrene Gewalt nach Innen, also an die Frauen weiter gegeben.

Diese Strukturen wirken weiter. Als der Konflikt 2003 eskalierte, haben wir deshalb Mobile Teams von Frauen aufgestellt, die den weiblichen Opfern der Krise schnell helfen sollten.

Am Anfang lag diesen Mobilen Teams eine ganz simple Idee zugrunde: 1. Frauen helfen Frauen – Die Teams bestanden nur aus Frauen. In Gebieten wie Kirkuk und Mossul, wo Kurden, Araber, Turkmenen leben, waren sie ethnisch gemischt. Das primäre Ziel war Frauen zu helfen, die vor dem Krieg fliehen. 2. Diese Teams waren mobil. Das bedeutet, dass sie dort tätig wurden, wo die Frauen sich befanden, anstatt zu warten, bis diese hilfesuchend zu ihnen kommen.

Schnell hat sich gezeigt, dass diese Teams weit mehr Aktivitäten entwickelten, als anfangs geplant, denn sie haben sich nicht nur um Flüchtlinge gekümmert, sondern auch um Frauen, die in den abgelegenen Dörfern und unsicheren Regionen nahe der Kampfzone leben. Eben weil die Teams ausschließlich aus Frauen zusammengesetzt waren, waren sie in der Lage einen engen persönlichen Kontakt - quasi auf gleicher Augenhöhe - zu den Frauen vor Ort aufzubauen. Wir lernten durch unsere Teams plötzlich, wie es Frauen in diesen ländlichen und stark traditional geprägten Gegenden wirklich geht – ihre Probleme, ihre Sorgen und auch Wünsche. Die Teams haben also nicht nur den Frauen, sondern sie haben auch uns geholfen – durch regelmäßige, detaillierte Berichte über alle aufgesuchten Dörfer. Aus diesen Berichten ging schnell hervor, dass die Probleme von Frauen in praktisch allen diesen Regionen ähnlich waren: extrem schlechte Gesundheitsversorgung, mangelnde Aufklärung über Sexualität, Verhütung und Schwangerschaft, eine hohe Quote an Analphabetismus, aber vor allem auch ein frappierendes Problem mit familiärer Gewalt gegen Frauen und mit weiblicher Genitalverstümmlung.

Wichtig war, dass damals die Frauen in den Dörfern selbst die Initiative ergriffen und darum baten, das ursprünglich auf Erste Hilfe ausgerichtete Programm zu erweitern und von kurzfristiger Hilfe zu einer dauerhaften Unterstützung zu wechseln. Das haben wir getan. Ich möchte Ihnen die Reaktion auf die Teams an einem Beispiel einer älteren Frau in der Nähe von Mossul klarmachen. Sie sagte: „Es ist das erste Mal, dass ich erlebe, wie jemand in unser Dorf kommt und danach fragt, wie es uns geht“. Sie war erstaunt, als wir ihr sagten, wir möchten uns mit ihr und nicht mit ihrem Mann unterhalten. Sie hat offensichtlich zum ersten Mal erfahren, dass jemand ihrem Leben und ihren persönlichen Belangen eine Bedeutung beimisst.

Seit dem haben wir das Programm verändert. Zur Zeit haben wir vier mobile Teams, die im irakischen Kurdistan arbeiten. Jedes Team besteht aus einer Ärztin, einer Sozialarbeiterin und einer Krankenschwester. Sie widmen sich nun weniger der ersten Hilfe, als viel mehr der Stärkung und Aufklärung der Frauen. Nach wie vor leisten wird auch ärztliche Hilfe geleistet. Dabei hat die Ärztin gewissermaßen eine doppelte Funktion: Über die Untersuchung und Behandlung schafft sie einen Raum, innerhalb dessen die Mitarbeiterinnen mit den Frauen in ein offenes Gespräch kommen. Familiäre Probleme und Ängste erscheinen so gewissermaßen als ein sachliches und lösbares Problem, über das man sprechen kann, das genauso wenig ein Tabu ist, wie eine Erkrankung. Die Sozialarbeiterinnen knüpfen an die Gespräche gezielte Aufklärungseinheiten an bspw. über die Rechte von Frauen. Häufig wissen die gar nicht, dass Gewalt gegen Frauen in den kurdischen Gebieten strafbar ist, genauso wie die genitale Verstümmlung von Frauen.

Von zentraler Bedeutung ist, dass die Teams in einer Atmosphäre der Sicherheit und frei von Furcht mit den Frauen über das sprechen, was diese für wichtig halten. Üblicherweise arbeiten die Teams im Hause einer der Frauen oder in einer Schule. Das Gesundheitsprogramm des Teams dient dabei nicht nur dazu, eine Brücke des Vertrauens zwischen den Frauen und dem Team zu schlagen, sondern auch dazu, eine Zusammenkunft zu ermöglichen. Denn der Arztbesuch ist ein auch in sehr konservativen ländlichen Regionen akzeptierter Anlass für Frauen, sich außerhalb der Familie zu treffen.

Wichtig ist darüber hinaus, dass das Team die Frauen regelmäßig besucht und mit ihnen in Verbindung bleibt. Die Erfahrung zeigt uns, dass die Frauen in einer Atmosphäre des Vertrauens anfangen frei über ihre familiären Probleme zu reden. Das ist ein wichtiger Anfang und ein erster Schritt zur Lösung. Die Teams werden darüber hinaus darin geschult, Probleme auch mit den Familien zu besprechen und als Mediatoren aufzutreten. Wie wichtige gerade das Gespräch und die Erkundung von Ursachen ist, zeigt das Beispiel der Gewalt an Frauen aus sog. Ehrgründen. Die Familie ist der Ort, an dem dies geschieht, und wo die Probleme auftauchen, die der Gewalt vorausgehen. Wenn erforderlich, nehmen sie auch Kontakt zu den örtlichen Behörden auf, um Frauen zu schützen.

Gewalt gegen Frauen hat viele Ursachen. In den meisten Fällen kommen viele verschiedene Probleme über einen langen Zeitraum zusammen, die dann zur Explosion führen. Eine dieser Ursachen stellt das traditionelle Ehrverständnis dar. Darin wird die Frau als Eigentum der männlichen Verwandten definiert. Wenn jemand dieses Eigentum beschädigt, wird das als Ehrverletzung empfunden. Die Frau verliert praktisch ihren Wert. Die Gewalt an Frauen bis hin zum Mord ist die logische Konsequenz. Der wertlose Besitz wird vernichtet. Diese Moralvorstellungen bestrafen jedoch nicht nur Frauen. Sie treffen auch Männer. In vielen Fällen erlebten wir, dass ein Mann seine Frau, bzw. seine Schwester nicht verletzen wollte, sondern lediglich meinte, er müsse den gesellschaftlichen Anforderungen genüge tun. Die Vermittlung und Mediation der Mobilen Teams, die von Außen kommen, gibt ihm die Möglichkeit, den familiären Konflikt zu lösen, ohne dass er sein Ansehen in der dörflichen Gemeinschaft verliert. Oft bedarf es nur des Anstoßes von Außen, um den Teufelskreis zu durchbrechen.

Aber, wie ich bereits gesagt habe: Gewalt gegen Frauen hat viele Ursachen und der Moralkodex ist lediglich eine davon. Viele Familien haben gravierende Gewalterfahrungen machen müssen. Das Familienleben ist durch diese Erfahrungen vollständig zerstört worden. Der Mangel an Bildung und die schlechten Lebensumstände spielen eine weitere Rolle. Obwohl diese Aspekte alle Mitglieder der Gemeinschaft treffen, wirken sie doch in besonderem Maße auf Frauen, weil sie den niedrigsten sozialen Stellenwert innerhalb der Gemeinschaft einnehmen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, den Status der Frauen innerhalb ihrer Gemeinschaft zu stärken. Praktisch hat diese Stärkung mehrere Aspekte:

  1. Frauen erfahren, dass sie einen Wert haben und die gleichen Menschenrechte, wie Männer.
  2. Die regelmäßigen Besuche von außerhalb bewirken eine soziale Aufwertung der Frauen innerhalb der lokalen, dörflichen Gemeinschaft. Sie sind auf einmal wichtig.
  3. Aufklärung stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen.

Und schließlich werden Frauen Schritt für Schritt angeleitet, selbst aktiv zu werden, indem ihnen die Teilnahme an weiteren Programmen, wie Alphabetisierungskurse angeboten wird, wenn sie sich vor Ort darum kümmern. Das Ergebnis ist sehr gut: Alphabetisierungskurse werden mittlerweile in etlichen Dörfern durchgeführt. In einigen Dörfern kommen die Frauen selbstständig regelmäßig zusammen und an anderen Orten eröffneten sie sogar Frauenzentren.

Aber lassen sie mich kurz noch einmal zurückkommen zu einem Punkt, den ich am Anfang genannt habe: Die Teams helfen den Frauen UND sie helfen uns. Als Nebenprodukt haben sie eine umfassende Evaluation der Situation der Frauen in ländlichen Gebieten Irakisch-Kurdistans hervorgebracht. Eine Information, die unter anderen Umständen nicht hätte gesammelt werden können. Einen Grund habe ich genannt: Die Teams arbeiten in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, sie werden gewissermaßen als auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen. Ein anderer Grund ist der integrative, umfassende Ansatz der Teams. Die Probleme der Frauen haben viele Facetten. Alle diese Facetten (Gesellschaft und Tradition, Versorgungslage und Bildung, Familie und soziales Umfeld) wirken eng miteinander verwoben. Es ist daher unmöglich eines der Probleme zu lösen, ohne sich auch der anderen anzunehmen. Deshalb sprechen die Teams eben nicht nur die Frauen an, sondern gezielt auch andere Akteure innerhalb der Gemeinschaft, in der die Frauen leben. Dies sind Dorfvorsteher, Stammesautoritäten oder lokale Polizisten. Dies können aber auch Geistliche sein. Im Zusammenhang mit der weiblichen Genitalverstümmlung haben wir zum Beispiel einen Aufklärungsfilm produziert, der in den Dörfern gezeigt werden soll und der sich an alle richtet. In diesem Film legt unter anderem ein islamischer Geistlicher dar, dass diese Verstümmlungen vom Koran nicht gerechtfertigt werden.

Ich bin gefragt worden, ob diese Programme auch in anderen Gebieten erfolgreich sein könnten. Das kann ich nicht global beantworten. Wie sie wissen, war es für die Iraker nicht ganz leicht, in den vergangenen Jahren andere Gebiete zu besuchen. Ich hoffe jedoch, eine Reihe von Aspekten genannt zu haben, die über den regionalen Kontext hinausweisen.

Ein Aspekt ist, dass sich die Frauen – wie ich zuvor gesagt habe – wichtig genommen fühlen, wenn man sie aufsucht. Sie erlangen eine Bedeutung auch innerhalb ihrer Gemeinde. Dies führt zur Stärkung der eigenen Persönlichkeit.

Ein anderer Punkt ist, dass wir mit diesen Frauen nicht nur an ihrem Wohnort, sondern auch innerhalb und mit ihrer lokalen Gemeinschaft arbeiten. Das bedeutet, dass sich die Teams nicht nur mit gravierenden Einzelfällen befassen, sondern versuchen, die Probleme innerhalb und gemeinsam mit dem sozialen Umfeld zu lösen. In Fällen bspw. der Gewalt gegen Frauen ist eine Lösung ohne dieses Umfeld gar nicht denkbar. Langfristige Lösungen kann es nur mit der Gemeinschaft geben. In der jüngsten Zeit haben die Teams auch begonnen, eine Kampagne gegen Genitalverstümmlungen durchzuführen. Das Ziel ist nicht nur eine Veränderung in den Köpfen und Herzen der Frauen herbeizuführen, sondern eben auch bei den Männern.

Und schließlich möchte ich noch einen ganz praktischen Aspekt hinzufügen, der aus meiner praktischen Erfahrung mit der Arbeit in einem Frauenschutzhaus in Erbil herrührt. Die Frauen, die dort um Schutz und Hilfe angefragt haben, sind nur die Spitze des Eisbergs. Und es sind jene Fälle, denen erst dann geholfen wird, wenn es eigentlich zu spät ist, wenn die Explosion bereits stattgefunden hat und es darum geht, wenigstens das schlimmste zu verhindern.

Hunderte von Frauen und Mädchen von ihren männlichen Angehörigen alleine im kurdischen Nordirak in den letzten Jahren ermordet worden sind. Sie wurden erschossen, ertränkt, erstickt, oder erschlagen. Auch deshalb wird die Arbeit dieser Teams fortgesetzt und hoffentlich weiter ausgebaut werden: Weil sie die einzige Möglichkeit sind, dort zu sein, bevor es geschieht!


Cheman Rashid Abdulaziz, 28.6.2005


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