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Bomben gegen Pilger

Mit Anschlägen auf Schiiten wollen Extremisten im Irak einen konfessionellen Bürgerkrieg entfachen. Diese Strategie ist auch unter sunnitischen Islamisten umstritten.

von Thomas von der Osten-Sacken

Seit Monaten lagen Hinweise vor, dass sunnitische Islamisten im Irak Massaker an Schiiten vorbereiten. Ein Attentat in Basra konnten die US-amerikanischen und irakischen Sicherheitsdienste verhindern. Dennoch erfüllten sich ihre schlimmsten Erwartungen, als vergangene Woche gleichzeitig in Kerbala und in Kadmiyah, dem schiitischen Stadtteil Bagdads, blutige Anschläge auf Pilger verübt wurden, bei denen mehr als 200 Menschen starben und 500 verletzt wurden. Auch in der pakistanischen Stadt Quetta wurden über 50 schiitische Pilger von Maschinengewehrschützen ermordet.

Im Irak war es das erste Ashura-Fest seit über 30 Jahren, das wieder offiziell begangen werden konnte, deshalb waren Pilger aus allen Teilen der muslimischen Welt angereist. Bis Mitte der siebziger Jahre die Ba’ath-Partei den schiitischen Klerus gewaltsam ausschaltete, war der Irak das wichtigste geistliche Zentrum der Shia. Der seit dem Sturz des Saddam-Regimes wachsende Einfluss der irakischen Schiiten wird in der Region mit Misstrauen beobachtet. Der Iran fürchtet um seine Rolle als internationale Agentur der Schiiten, während im von Wahhabiten, einer radikalen sunnitischen Sekte, regierten Saudi-Arabien die Angst vor der eigenen schiitischen Minderheit wächst.

Seit einiger Zeit intensivieren deshalb wahhabitische Prediger ebenso wie ein Teil der Anhängerschaft des al-Qaida-Netzwerkes ihre antischiitische Propaganda. Schiiten gelten ihnen als Häretiker und »Freunde der Besatzer«, da die Mehrheit der schiitischen Parteien den irakischen Übergangsrat unterstützt. Die saudische Zeitschrift Saut al-Jihad bezeichnete Schiiten kürzlich als Brüder von »Affen« (Amerikanern) und »Schweinen« (Juden), eine der al-Qaida nahe stehende Website rief Anfang des Jahres zur »Annihilierung« der Schiiten auf, sollten sie sich nicht zur Sunna bekehren.

Diese neue Strategie sunnitischer Terroristen zielt offenbar auf die Entfachung eines konfessionellen Bürgerkrieges ab, der die ganze Region erfassen soll. Inwieweit eine solche Strategie allerdings die Ziele der al-Qaida und der weltweit agierenden jihadistischen Internationale widerspiegelt, ist fraglich. In den vergangenen Jahren hat sich die schiitisch-sunnitische Kooperation gegen Israel und die USA sogar verstärkt; so unterstützen der Iran und die libanesische Hizbollah die sunnitischen palästinensischen Organisationen Hamas, Jihad Islami und Fatah, während der Iran angeblich weiter hohen al-Qaida-Funktionären Unterschlupf gewährt. Die Hizbollah im Libanon brandmarkte die Anschläge auch fast mit hysterischer Schärfe.

Ein mit »Abu Hafs Brigaden/al-Qaida« gezeichnetes Distanzierungsschreiben, das die Anschläge halbherzig verurteilte, ging vergangene Woche bei der Zeitung Al-Quds al-Arabi ein und führte zu Spekulationen über einen innerhalb der Führungsriege des Netzwerkes schwelenden Machtkampf zwischen denjenigen, die weiter auf Kooperation mit schiitischen Organisationen setzten, und einer sich neu herausbildenden antischiitischen Front. Der Jordanier Abu Mussab al-Zarqawi, dem engste Kontakte zur Organisation Ansar al-Islam nachgesagt werden, tritt immer öfter an die Öffentlichkeit. Er ist durch seinen extremen Hass auf die Shia bekannt. In einem im Januar von kurdischen Sicherheitskräften gefundenen Brief, dessen Authentizität allerdings umstritten ist, soll er zu vermehrten Anschlägen auf Kurden, die als »Knechte des Zionismus« bezeichnet werden, und vor allem auf Schiiten aufgerufen haben, um so einen ethnisch-konfessionellen Bürgerkrieg im Irak zu entfachen.

Offenbar hofften die Täter, mit ihren Anschlägen auch Racheaktionen schiitischer Organisationen gegen die sunnitische Minderheit im Irak zu provozieren und so das Land unregierbar zu machen. Ein Szenario, das schiitische Politiker und Kleriker zu verhindern suchen; so machten sie al-Qaida für die Anschläge verantwortlich und gaben den USA die Mitschuld, da sie nicht für genügend Sicherheit gesorgt hätten.

In den Städten des sunnitischen Dreiecks, einer Hochburg des »Widerstandes«, verurteilten religiöse und politische Notabeln das Massaker und sammelten Blut für die Verletzten. Neben Stimmen, die – wer hätte anderes erwartet ?– die »Zionisten« für den Anschlag verantwortlich machten, erklärte ein Imam aus Falluja, ausländische Terroristen wollten die irakische Bevölkerung spalten. Solche Statements zeigen, dass sunnitische Politiker die Verständigung mit Schiiten und Kurden suchen und eine Marginalisierung fürchten, sollten sie weiter auf die Unterstützung des »Widerstandes« setzen.

In den vergangenen Wochen waren auch die Anschläge auf Koalitionstruppen merklich zurückgegangen, sunnitische und schiitische Kleriker hatten vor kurzem eine gemeinsame Fatwa verabschiedet, die Terror gegen Zivilisten verurteilte. Entsprechend klagten Anhänger der al-Qaida über den mangelnden Willen der irakischen Sunniten, sich am Jihad zu beteiligen. Terrorismusexperten des Stratfor Institutes werten die Anschläge auf das Ashura-Fest deshalb als Zeichen der Schwäche, der aus Islamisten und ehemaligen Ba’athisten zusammengesetzte »Widerstand« habe inzwischen jede Hoffnung aufgegeben, die Macht im Irak durch einen Guerillakrieg zu ergreifen, und wolle das Land nun ins Chaos stürzen.

Es war zwar eine reine Koinzidenz, dass am Tag, an dem der Regierungsrat seinen neuen Verfassungsentwurf vorstellte, die Massaker von Kerbala und Bagdad stattfanden. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse hatte aber Symbolcharakter. Der vorgelegte provisorische Verfassungsentwurf sieht die Schaffung eines föderalen irakischen Staates vor, fordert eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament und nennt den Islam als eine, aber nicht die einzige Quelle der Gesetzgebung im Irak. Auf Druck verschiedener Frauenorganisationen hatte der Regierungsrat zuvor den umstrittenen Gesetzesentwurf 137 zurückgezogen, der die Einführung der Sharia im Zivilrecht vorgesehen hatte.

Nach langem Ringen zwischen islamischen und säkularen Vertretern hatte man sich auf einen Kompromiss geeinigt: die neue Verfassung garantiert nämlich ebenso alle bürgerlichen Grundrechte. Ob der Kompromiss allerdings tragfähig sein wird, ziehen viele Irakis in Zweifel. Besonders säkulare Gruppen verweisen auf die Unvereinbarkeit von Sharia und Bürgerrechten.

Wie fragil der Entwurf ist, zeigte sich am vergangenen Freitag. Als das Papier mit großem Zeremoniell unterzeichnet werden sollte, zogen fünf schiitische Ratsmitglieder in letzter Minute ihre Unterstützung zurück. Ayatollah Ali Hussaini al-Sistani hatte zuvor seinen Unmut über eine Passage geäußert, die den kurdischen Provinzen auch dann föderale Selbstverwaltung zusichert, wenn sich die Mehrheit der Irakis dagegen ausspricht.

Am Montag wurde die Verfassung dann doch noch einstimmig verabschiedet. Ihre Grundideen wertet Ratsmitglied Adnan Padshashi als einmalig in der Region. Allein die Tatsache, dass Gesetze nicht von einer Diktatur dekretiert, sondern diskutiert und konsensual erlassen werden, sei ein beachtlicher Forschritt. Dass immer weitere Kreise in der irakischen Bevölkerung begriffen, was »Rule of Law« heiße, so kommentierte der exiliranische Autor Ahmed Taheri die neue Verfassung, sei ein auch die Nachbarstaaten des Irak langfristig veränderndes Novum im Nahen Osten.

Immerhin galt noch in der letzten von der Ba’ath-Partei vorgelegten Verfassung von 1990 der Jihad als Staatsziel des Irak. Damit konnten die Jihadisten weit besser leben.


erschienen in Jungle World Nr. 12 am 10. März 2004


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