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"Bis heute kaum zu glauben ....."

Cheman Rashid ist die Leiterin des von WADI mitgegründeten KHANZAD Zentrums for Women in Distress.
Mit ihr sprach Mitte Mai Thomas von der Osten-Sacken in Arbil.

Wie haben Sie den 9. April erlebt?

Auf diesen Tag haben wir seit Jahren gewartet und es waren unglaubliche Bilder für uns. Hier in Arbil sind daraufhin Hunderttausende feiernd durch die Straßen gezogen. Ich glaube niemand, der nicht unter der Herrschaft Saddam Husseins gelitten hat, kann sich die Freude vorstellen, die hier geherrscht hat. Wir haben die ganze Zeit gefeiert, vor allem auch als am nächsten Tag Kirkuk befreit worden ist. Bis heute kann ich kaum glauben, was für einen Sieg wir gegen Saddam Hussein errungen haben, ohne dass sich gleichzeitig die Türkei einmischen oder gar einmarschieren konnte.

Wie war das erste Wiedersehen mit Bagdad?

Obwohl ich mich sehr darauf gefreut habe, endlich wieder Bagdad zu sehen, vor allem ein Bagdad ohne die ganzen Bilder mit Saddam Hussein hätte ich heulen können als ich dann sah, in welchem Zustand sich die Stadt befindet. Völlig heruntergekommen und zerstört. Der Irak ist ein so reiches Land und Bagdad macht nicht den Eindruck einer Hauptstadt, sondern wirkt wie eine verelendete Stadt in der Dritten Welt. Nichts, aber auch gar nichts hat das Regime in den letzten Jahrzehnten für die Stadt getan, nur immer neue Paläste, riesige Moscheen und Ministerien gebaut.

Viele Leute, vor allem in Europa und der arabischen Welt behaupten, an dieser Situation seien vor allem die UN-Sanktionen schuld gewesen.

Die Sanktionen sind seit zwölf Jahren verhängt, die irakische Regierung aber hat seit über zwanzig Jahren nichts für diese Stadt oder das Land getan. Die meisten Gelder wurden für das Militär verwendet oder für die Familie Saddam Husseins, nicht zur Entwicklung des Landes.

Welche Schritte müssen nun am dringendsten unternommen werden, um die Lage zu beruhigen und mit dem Aufbau zu beginnen?

Abgesehen von all den Schäden, die in den letzten Jahren im Gesundheitsbereich, den sozialen Diensten angerichtet wurden, ist es jetzt vor allem wichtig an den Aufbau einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft zu denken. Das aber ist nur möglich, wenn die Menschen, die jahrelang ohne freie Medien leben mußten und abhängig waren von der Baath Propaganda endlich umfassenden Zugang zu Informationen erhalten. Vor allem neue freie Medien müssen gegründet werden. Die Menschen im Irak haben in einer permanenten Angst gelebt, viele ihre Familienangehörigen verloren. Diese Verwüstungen und Zerstörungen sind viel nachhaltiger und schwieriger zu beheben, als der Wiederaufbau von Krankenhäusern, Schulen und all den anderen von dem Regime vernachlässigten medizinischen, sozialen und ökonomischen Strukturen. Ich denke deshalb, freie Medien und eine nachhaltige Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit sind jetzt die wohl wichtigsten Schritte.

Die kurdischen Parteien zeigen jetzt eine starke Präsenz in Bagdad. Sie haben dort mehrmals an politischen Gesprächen der Opposition teilgenommen. Wie war Ihr Eindruck von der Stimmung?

Am Anfang gab es einiges Misstrauen gegenüber uns Kurden, da wir gut organisiert sind und seit 12 Jahren unsere eigene Regionalverwaltung haben und die baathistische Propaganda den Leuten eingehämmert hat, wir wollten nur einen eigenen Staat. Aber dann, in Gesprächen, in denen wir immer wieder verdeutlicht haben, daß es uns um den Erhalt des Irak geht und wir nun an der Schaffung eines neuen, demokratischen Landes mitarbeiten wollen, zerstreuten sich diese Zweifel.

Sind denn Frauen in der irakischen Opposition entsprechend repräsentiert?

Nein überhaupt nicht. Das ist ein großes Dilemma, zwar gibt es ein paar Frauen, die bei der Oppositionskonferenz in Salahedin gewählt worden sind, aber das sind eher Vorzeigefrauen. Leider sind alle irakischen Parteien noch immer von Männern dominiert und ich glaube kaum, daß sich da in naher Zukunft etwas ändern wird. Es wäre illusorisch zu glauben, in einigen wenigen Treffen ließe sich dieses traditionelle Denken ändern. Sehen Sie, seit sechs Monaten leite ich jetzt das KHANZAD Zentrum und seitdem haben wir mehr als 60 Frauen hier betreut. Das Schicksal dieser Frauen - einige werden wegen sogenannten Ehrverletzungen von ihren Familien gesucht, um sie zu töten, andere haben die Gewalt in ihrer Familie nicht mehr ausgehalten und wieder andere wollen sich von ihren Männern scheiden lassen, weil diese sie oder ihre Kinder misshandeln - spiegelt die Defizite der irakischen Gesellschaft wieder. Es muss sehr viel unternommen werden, bis sich hier etwas ändert. Reden auf irgendwelchen Konferenzen helfen da nicht weiter. Jetzt gilt es überall im Irak Gewalt gegen Frauen, Ehrtötungen und Unterdrückung zu thematisieren und aktiv zu werden. Zentren wie unseres oder das NAWA Zentrum in Suleymaniah sind nur ein Anfang. Wir müssen den Frauen im befreiten Teil des Irak jetzt helfen, sich zu organisieren und auch zur Wehr zu setzen.

Fürchten Sie nicht auf der anderen Seite, dass später, wenn eine neue irakische Regierung gebildet worden ist, die Kurden erneut betrogen werden und sich eine starke Zentralmacht herausbildet.

Nein ich fürchte das nicht. Wir wollten immer Teil eines freien Iraks sein und ich sehe zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit, daß dies nun verwirklicht wird. Die Zeiten haben sich geändert und diejenigen Ideologien, wie etwa der Ba'thismus, der aus dem Irak ein arabisches Land machen wollte, sind diskreditiert. In den letzten Wochen kommen sehr viele Araber aus Bagdad und Mossul nach Irakisch Kurdistan und sehen, wie wir uns entwickelt haben und zum ersten Mal sind die Städte in Kurdistan moderner und schöner als im Restirak, den Leuten geht es hier besser und es gibt Internet, Zeitungen und verschiedene Fernsehkanäle. Wir wollten immer mit den Arabern zusammenleben, aber bislang hat keine irakische Regierung dies möglich gemacht. Kurdistan ist arm, uns würde es in einem neuen Irak viel besser gehen, denn die Ölstädte Kirkuk und Mossul sind keine kurdischen, sondern gemischte Städte. Weder Araber noch Kurden haben einen Anspruch auf sie, es sind irakische Städte.

Vor wenigen Tagen ist Ayatollah al Hakim vom Supreme Council of the Islamic Resistance in Iraq (SCIRI) nach Basra zurückgekehrt und hat einen sofortigen Abzug der Amerikaner gefordert. Es heißt, die Schiiten strebten einen islamischen Staat an. Nun arbeiten die kurdischen Parteien eng mit den USA zusammen und hier herrscht eine sehr amerikafreundliche Stimmung.

Das Bild, das vor allem in Europa und der arabischen Welt von den Schiiten gezeichnet wird, ist sehr einseitig. Sie sind keineswegs so homogen, wie es dort immer scheint. Unter denjenigen, die al Hakim erwartet haben, gab es sehr wohl viele mit Slogans, auf denen sie den Amerikanern gedankt haben. Und ich habe sehr viele Schiiten in Bagdad getroffen, die sich eine längere Präsenz der Amerikaner wünschen. Andere wollen, daß sie bald abziehen. Viele Entwicklungen sind noch völlig offen und erst in den nächsten Monaten läßt sich darüber genaueres sagen. Ich fürchte jedenfalls im Augenblick weder, daß der Irak islamistisch wird, noch dass es zu Auseinandersetzungen mit den Amerikanern kommt.
In Kurdistan jedenfalls begrüßen wir die Präsenz der USA, nicht weil wir gerne unter ihrer Kontrolle stehen, sondern weil wir die Forderungen nach einem schnellen Abzug für unrealistisch halten. Es bedarf einer gewissen Zeit, bis sich die Lage normalisiert und stabilisiert hat, bis freie Wahlen abgehalten werden können und das Verhältnis zu den Nachbarländern geklärt ist. Wenn die Amerikaner morgen abziehen würden, bräche hier das Chaos aus. Und dieses Chaos wünschen eigentlich nur die alten Baathisten, die davon profitieren würden. Sie sind es, die am lautesten den Abzug der USA fordern und gegen sie als Besatzer agitieren.
Und die Amerikaner wollen ja so schnell wie möglich wieder abziehen. Sie planen ja keineswegs hier auf Dauer zu bleiben.

Sie glauben diesen Erklärungen der USA?

Ja. Bislang haben die Amerikaner weitestgehend ihre Versprechungen uns gegenüber eingehalten. In Mossul etwa hat es gerade Gouverneurswahlen gegeben, die von den Amerikanern initiiert worden sind und die frei gewesen sind. Warum sollte sich das nun ändern? Auch für die USA und ihre Pläne für den Nahen Osten ist es von zentraler Wichtigkeit, den Irak in ein demokratisches Land zu verwandeln. Wir nehmen also die Absichtserklärungen der Amerikaner ernst und messen sie daran. Die Amerikaner haben uns erklärt, dass Irakisch-Kurdistan für sie eine Art Modell für den ganzen Irak darstellt und uns gebeten, besonders beim Aufbau von neuen Institutionen und Organisationen zu helfen. Wie gesagt, bislang sehe ich keinen Grund ihnen zu mißtrauen, auch wenn wir mit einigen Dingen nicht einverstanden sind. Es müsste mehr unternommen werden, um die Sicherheit vor allem in Bagdad herzustellen und die Mafia, die sich dort bildet, zu zerschlagen.

In den arabischen Medien und auch vielen europäischen werden die Amerikaner als Besatzer dargestellt und es heißt immer mehr Irakis würden sich gegen sie auflehnen.

Die Kriegsberichterstattung vor allem der arabischen Medien hat gezeigt, daß diese unglaublich viel Unfug erzählen und offen lügen. Immer wenn sie über den Irak berichten, dann nicht über die Realität hier, sondern ihrer panarabischen Ideologie entsprechend. Was sie sagen, mag viele Leute in ihren Vorurteilen bestätigen, in der Realität zählt es nicht. Das gleiche gilt auch für die europäischen Medien, die jetzt entsprechend über den Irak berichten. Niemand, der nicht weiß, wie die Menschen im Irak unterdrückt wurden, kann verstehen, was hier geschehen ist. Jeder, der die Irakis gegen Saddam Hussein unterstützt war willkommen. Aber wenn es nach den Deutschen, den Franzosen und der UN gegangen wäre, dann würde Saddam dieses Land noch in zwanzig Jahren regieren. Die USA dagegen haben sich vor einiger Zeit entschieden, Saddam Hussein zu beseitigen und ohne Gewalt ließ sich Saddam nicht stürzen. Und dies ist der Grund, warum nicht nur die Kurden, sondern die überwältigende Mehrheit aller Iraker den Amerikanern dankbar ist. Aber das passt nicht in das Konzept der arabischen Medien, die immerzu erklären müssen, dass eigentlich die Amerikaner die Schuld an allem im Nahen Osten trügen.


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