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Bilder gegen die Angst

Der Beginn des Verfahrens gegen Saddam Hussein hat die Debatte über die Vergangenheit wieder entfacht. Die neue Regierung macht den Ba'athisten Integrationsangebote, will den Terror aber härter bekämpfen.

von Thomas Schmidinger, Suleymania

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Gebannt starrt die ganze Familie auf den Bildschirm. Immer wieder werden dieselben Szenen wiederholt. Ein bärtiger Saddam Hussein besteht vor Gericht darauf, als »Präsident der Republik Irak« angesprochen zu werden, beteuert, vom Giftgasangiff auf Halabja erst aus den Medien erfahren zu haben, und beschimpft die Kuwaitis als Hunde, die die irakischen Frauen gekauft hätten. Saddam Hussein habe wohl das Recht gehabt, die Ehre der irakischen Frau zu verteidigen.

Es gibt wohl kaum einen Ort im Irak, in dem der Beginn des Verfahrens mit mehr Spannung erwartet wird als in Halabja. Saddam Hussein hat den Giftgasangriff vom 16. März 1988 zu verantworten, der über 5 000 Opfer forderte. So freuten sich vor allem die kurdische und die ähnlichen Verfolgungen ausgesetzte schiitische Bevölkerung über die Fernsehbilder eines vor Gericht stehenden Saddam Hussein, die am 1. Juli vom irakischen Fernsehen, von den kurdischen Kanälen, aber auch von den arabischen Sendern al-Jazeera und al-Arabia immer wieder gezeigt wurden.

Die Freude war jedoch nicht ungetrübt. Zu selbstbewusst und zynisch wirkte der gestürzte Diktator, der dem Gericht jede Legitimität absprach. »Wie könnt ihr mich verurteilen, wenn ich die Gesetze gemacht habe?« fragte er den sichtlich etwas eingeschüchterten jungen Untersuchungsrichter.

Falah, der beim Giftgasangriff auf Halabja selbst auf der Flucht war, sagt mir dann auch: »Ich freue mich sehr über diese Bilder. Du weißt gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe. Aber zugleich flößt uns sogar noch der gefangene Saddam Angst ein. Solange er lebt, wird es im Irak Menschen geben, die sich vor seiner Rückkehr fürchten.«

So verlangen denn auch die meisten überlebenden Opfer des Regimes die Todesstrafe für ihren Peiniger. Selbst überzeugte DemokratInnen und grundsätzliche GegnerInnen der Todesstrafe erklären gelegentlich Saddam Hussein und seine wichtigsten Mittäter zu Ausnahmen. In Halabja demonstierten Anfang Juli rund 3 000 Menschen für die Hinrichtung des ehemaligen Diktators.

Mit dem Prozess gegen Saddam Hussein ist das Thema der ba'athistischen Vergangenheit wieder schlagartig in das Bewusstsein der irakischen Öffentlichkeit gerückt. In den ersten Monaten nach dem Sturz Saddam Husseins, als fast täglich neue Massengräber gefunden wurden, waren die Verbrechen des Regimes das zentrale Thema des öffentlichen Diskurses. Doch seit der Zunahme des Terrors verdrängten Sicherheitsfragen die Vergangenheit.

Wer sich aus Angst vor Anschlägen nur noch dann aus dem Haus wagt, wenn er unbedingt muss, hat einfach akutere Probleme als die Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden im Juni 388 Irakis getötet. Die US-Armee hat in der vergangenen Woche die Schätzung der Zahl ihrer bewaffneten Feinde erhöht und geht nun davon aus, es nicht mit 5 000, sondern mit 20 000 Kämpfern zu tun zu haben.

Anschläge und Kämpfe finden vor allem im überwiegend arabisch-sunnitischen Zentralirak statt. Doch auch die Städte Mossul und Kirkuk im überwiegend kurdischen Norden sind vom Terror betroffen. Und im Süden geht die Miliz des radikalen schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr, die für die Zeit der Machtübergabe einen Waffenstillstand verkündete, wieder auf Konfrontationskurs.

Sadr bezeichnete die von Premierminister Iyad Allawi geführte neue Regierung als »illegitim« und drohte in einer am vergangenen Freitag in Kufa verlesenen Erklärung: »Jeder Angriff auf ein Mitglied des Widerstands, ob sunnitisch oder schiitisch, wird als Akt der Aggression gegen das ganze irakische Volk gewertet.« Ein Amnestieangebot wies die Miliz zurück. Die neue Regierung will dennoch weiter verhandeln und hofft, durch Integrationsangebote auch einen Teil der Ba'athisten von den bewaffneten Gruppen trennen zu können.

Die Integration von arabischen Nationalisten und Islamisten könnte die im Nordirak, der Region mit den höchsten Einkommen und der geringsten Arbeitslosigkeit, erreichten Fortschritte ebenso gefährden wie eine Eskalation des Terrors. »Unsere Grundbedingung für den Verbleib im Irak ist, dass es ein föderaler, demokratischer und pluralistischer Irak sein sollte«, erklärte Masoud Barzani, Vorsitzender der Kurdischen Demokratischen Partei. Eine separatistische Politik ist für die kurdischen Parteien jedoch keine Option, sie sind in der neuen Regierung mit sechs Ministern vertreten.

Auch in der Bevölkerung scheint die Hoffnung auf die neue Regierung zu dominieren. Ihr trauen viele zu, mit dem Terror fertig zu werden. Saleh, ein Kurde aus Suleymania, der erst vor einem halben Jahr nach fast 30 Jahren Exil in Deutschland wieder in den Irak zurückgekehrt ist, ist trotz seiner Skepsis gegenüber der Integration ehemaliger Ba'athisten von der neuen Regierung begeistert: »Allawi handelt wenigstens. Der bisherige Regierungsrat war ein schwerfälliges Gremium, in dem man sich auf nichts einigen konnte. Aber die neue Regierung geht mit entschiedenen Maßnahmen gegen den Terror vor.«

Wer sich den Integrationsangeboten verweigert, muss mit konsequenter Verfolgung rechnen. Das Nationale Sicherheitsgesetz gibt Premierminister Allawi unter anderem das Recht, den Ausnahmezustand zu verhängen. Kurz nach der Übergabe der Souveränität an die irakische Regierung wurde die Todesstrafe wieder eingeführt.

Saleh ist eigentlich entschiedener Gegner der Todesstrafe und tritt für eine liberale föderale Demokratie im Irak ein. Dennoch meint er: »Im Augenblick wird uns nicht viel anderes übrig bleiben. Wenn den Terroristen, die oft hunderte von Menschen auf dem Gewissen haben, nichts geschieht, dann werden sie weiterbomben. Dem Terror kann man nur durch eine Politik der Härte begegnen. Die Israelis haben das schon begriffen.«

In der Hoffnung auf ein hartes Durchgreifen der neuen Regierung dürften ihm viele IrakerInnen zustimmen. Einige sind offensichtlich sogar willens, zur Selbstjustiz zu schreiten. Am Dienstag der vergangenen Woche kündigten vermummte Angehörige der Irakischen Befreiungsbewegung an, den lokalen, angeblich al-Qaida nahe stehenden Islamisten-Chef Abu Musab al-Zarqawi töten zu wollen - »dem irakischen Volk zum Geschenk« -, da er als Ausländer viele Iraker ermordet habe. Es ist unklar, ob die bislang unbekannte Gruppe dem nationalistischen »Widerstand« angehört. Hinweise auf Streitigkeiten zwischen Nationalisten und Jihadisten häufen sich jedoch; Anfang Juli etwa verhinderten bewaffnete Islamisten in Falluja eine Solidaritätsdemonstration für Saddam Hussein.

Viele IrakerInnen hoffen auch, dass der Prozess gegen Saddam Hussein zur Schwächung der Ba'athisten beiträgt. Sämtliche irakischen Tageszeitungen berichten ausführlich über den Beginn des Verfahrens. Nicht nur für die Boulevardpresse, sondern auch für die Qualitätsmedien war der Eindruck wichtig, den die Bilder des gefangenen Saddam Hussein und seiner Mitangeklagten erzeugen. Texte genügen nicht zur Entzauberung des ehemaligen Diktators, der auf den Fernsehschirmen jahrzehntelang präsent war und dessen Bilder und Statuen ihn allmächtig und allgegenwärtig erschienen ließen.

Die neuen Bilder sind es, die auch bei den Überlebenden von Halabja den größten Eindruck machen. Viele, die heute noch unter Alpträumen und psychischen Störungen leiden, können es noch immer nicht ganz fassen, dass die Mörder ihrer Angehörigen sich vor Gericht verantworten müssen.


Jungle World 30 - 14. Juli 2004


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