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Bashir Bashing

Verliert Syrien die Kontrolle über den Libanon?

von Thomas Uwer

Einst war Bashir al Assad der Hoffnungsträger der Europäischen Union. Als er nach dem Tod seines Vaters Hafez al Assad im Jahr 2000 mit einer Unterstützung von 97,2 Prozent der »Wähler« das Amt des syrischen Staatspräsidenten auf Lebenszeit antrat, erschien den erwartungsvollen Beobachtern allein schon das im regionalen Vergleich fast moderate Ergebnis der Wahlfälschung als Zeichen einer anstehenden Liberalisierung. Seitdem wartet man freilich vergebens auf den schrittweisen Wandel in Damaskus. Weder hat die angekündigte Liberalisierung der Presse stattgefunden, noch hat Bashir al Assad neue Verhandlungen mit Israel eingeleitet. Das Ergebnis des allseits begrüßten Aufbruchs unter Bashir al Assad ist nach nunmehr einem halben Jahrzehnt Amtszeit mehr als dürftig.

Politische Freiheit gibt es in Syrien weiterhin nicht. Versammlungen mit mehr als fünf Teilnehmern müssen mit wochenlangem Vorlauf bei der Geheimpolizei beantragt werden, und weil zumeist bereits die Annahme, da wolle sich jemand politisch betätigen, als hinreichender Anfangsverdacht für eine feindliche Unterwanderung gewertet wird, bleibt auch jede noch so systemkonforme Kritik am Kurs der Regierung aus.

Politik ist in Syrien das Vorrecht einer kleinen, aus Militärs und Geheimdienstoffizieren gebildeten Elite, während den Medien nicht mehr bleibt, als die Beschlüsse der Staatsführung ideologisch zu verzieren. So ist das augenfälligste Produkt des »Wandels« unter Bashir al Assad die Ende 2002 produzierte Fernsehserie »Al-Shatat«, in der die Geschichte einer geheimen jüdischen Weltregierung erzählt wird, die für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den Holocaust, den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und die Gründung des Staates Israel in genau dieser Reihenfolge verantwortlich gemacht wird. Daß die Juden »Jesus Christus betrogen und gefoltert« und auch versucht hätten,, den Propheten Mohammed »zu töten«, erläuterte der »Reformer« Assad persönlich Papst Johannes Paul 11. im Mai 2001. Sein Verteidigungsminister, Mustafa Tlas, legte wenig später nach: »Wenn jeder Araber das so täte, dann wäre dies das Ende der Juden“.

All dies ist hinlänglich bekannt – und mehr: Syrien unterstützt terroristische Gruppen wie den Islamischen Djihad, stellt Ausrüstung und Sold für den Untergrund im Irak, beherbergt Nazikriegsverbrecher, verfügt über chemische Waffen und läßt seit Jahren nach Gutdünken unliebsame libanesische Politiker von Geheimdienstleuten ermorden. In syrischen Gefängnissen wird gefoltert, Menschen verschwinden ohne Anklage oder Prozeß, die Verwaltung ist durch und durch korrupt, und die notorisch unterentwickelte syrische Volkswirtschaft verfügt über gerade so viele natürlichen Rohstoffe, daß es reicht, die Benzinfeuerzeuge der Armee ohne Importe aus der Golfregion funktionstüchtig zu halten. Daß Assads Syrien gleichwohl während der vergangenen Jahre als wichtiger Partner für die westliche Nahostpolitik betrachtet wurde, liegt daher weder in der Hoffnung begründet, das Regime Bashir al Assads könnte sich zum verläßlichen Verbündeten wandeln, noch in einem nachvollziehbaren ökonomischen Interesse, sondern einzig in der Zähigkeit, mit der sich die Führungselite gegenüber allen Anfeindungen von innen über drei Jahrzehnte an der Macht gehalten hat. Wie andere Regimes der Region auch lebte der syrische Ba'th-Staat vor allem von der fatalen Umkehrung der Verhältnisse im Nahen Osten, wonach Stagnation und Erstarrung als Garanten für die politische Zukunft eines Staates galten.

Bis vor kurzem galt daher Syrien als das Gegenbeispiel zu dem von der US-Administration deklarierten Konzept des »Greater Middle East«, einer von außen eingeleiteten Demokratisierung nahöstlicher Gesellschaften und der Liberalisierung ihrer Märkte. Bereits seit einem guten Jahrzehnt setzt vor allen Dingen die französische Außenpolitik auf gute Kontakte zum ehemaligen Mandatsgebiet, das sowohl als Gegengewicht zur hegemonialen politischen Rolle der USA als auch zu Israel betrachtet wurde. Daß nunmehr ausgerechnet per Libanon das syrische Regime massiv unter Druck gerät, ist nicht ohne Ironie. Denn ausgerechnet die Intervention Syriens in dem benachbarten Staat, die 1989 zum Ende eines Kriegs der Warlords im Libanon führte, wurde von den USA wohlwollend betrachtet. Im Gegenzug für die stillschweigende Duldung der syrischen Besatzung des Libanons zeigte sich die Regierung unter Hafez al Assad seinerzeit im Irakkrieg kooperativ und verzichtete auf die erwartete arabisch-nationalistische Mobilisierung.

Eine Politik die sich bezahlt gemacht hat.

Syrien lebt heute zu einem beachtlichen Teil von dem Handel, der über den Libanon abgewickelt wird. Praktisch der gesamte Geldverkehr der syrischen Wirtschaft läuft über das Beiruter Bankensystem, etwa eine Million syrische Arbeitskräfte wurden in den Libanon exportiert. Mit dem Einmarsch syrischer Truppen und dem von Hafez al Assad ausgehandelten Abkommen von Taif zwischen den libanesischen Bürgerkriegsparteien hat Syrien sich zudem einen direkten politischen Einfluß auf den Libanon gesichert. Seitdem kontrolliert Damaskus mehr oder weniger offen den Libanon und hat dadurch auch strategisch erheblich an Gewicht gewonnen. Über die libanesische Hisbollah hat die syrische Regierung die Kooperation mit dem Iran in direkter Nachbarschaft zu Israel forciert. Damit ist die Drohung, daß der Libanon nach einem Abzug syrischer Kräfte in den Bürgerkrieg zurückfallen könnte, um einiges plausibler geworden. Im Libanon hat sich die verbliebene Allianz gegen Israel und die USA zusammengeschlossen. Wer immer plant, sich mit einem Sprengstoffgürtel zu bewaffnen und, einen Koranvers auf den Lippen, als »Märtyrer« zu sterben, kommt mit der Unterstützung Syriens und des Irans im Libanon zu Lohn und Brot.

So ist es nichtverwunderlich, daß die Demonstrationen der dem Diktat syrischer Ba'thisten Überdrüssigen in Beirut ihren Anfang nahmen. Offensichtlich erweist sich die Parole »Freedom and Democracy« in den Gesellschaften des Nahen Osten als ähnlich wirkungsvoll wie das Versprechen nationaler Unabhängigkeit auf dem Balkan der neunziger Jahre. Jahrzehntelang spielte der Libanon die Rolle des Frontstaates in einem hochgradig ideologisierten und zugleich völlig sinnentleerten Krieg panarabischer und islamistischer Parteien gegen »den Zionismus« und den »USImperialismus«, dessen verheerende Auswirkungen vor allem die Libanesen selbst trafen. Eine Folge ist, daß jene geschlossene Despotie, die für ba'thistische Regimes so typisch ist, sich nicht hat etablieren können. Im Gegensatz zu Syrien, wo etwa die Hälfte der Beschäftigten direkt oder indirekt von der Staatsbürokratie lebt und der Militär- und Sicherheitsapparat praktisch die gesamte Wirtschaft kontrolliert, existieren im Libanon nach wie vor auch außerhalb der Staatsbürokratie gesellschaftliche Kräfte, politische und ethnisch/religiöse Fraktionen wie auch eine städtische Mittelschicht, deren Interessen sich nicht mit der Staatsführung gleichschalten lassen.

Der von interessierten Beobachtern als Katastrophe ausgemalte Zusammenbruch der prosyrischen Staatsordnung im Libanon könnte somit beides mit sich bringen: eine Befreiung von der Kontrolle durch den syrischen Geheimdienststaat und die Freisetzung islamistischer Terrorbanden. Der französischen und wenigstens zu Teilen auch deutschen Außenpolitik bliebe dann, wie bereits im Irak, als Gegenpol zu einer wenigstens aus strategischen Erwägungen proamerikanischen Politik lediglich der vollständig verrohte terroristische Untergrund. Und natürlich Bashir al Assad, dessen Schicksal von der Unfähigkeit vorgezeichnet scheint, wenigstens nominell Reformen durchzuführen.

erscheinen in: Konkret 4/2005


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