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Tariq von Assisi

Europa vs. US-Kolonialisten

von thomas uwer

Ein Bild wie von einem spanischen Meister: Beschienen vom sanften Licht des Altars empfängt der vom Krieg bedrohte christliche Heerführer in demutsvoller Geste das ewige Licht des Weltfriedens in der Kapelle von Assisi. Während sich die Boten des kommenden Krieges im Hintergrund bereits drängeln, hält der Gläubige inne, beschirmt das Licht mit seinen Händen, als wollte er es vor dem Sturm, der auszubrechen droht, beschützen. Tariq Aziz kennt das alte Europa und hat in Assisi lange genug innegehalten, um als Motiv für noch zu stickende Adveniat-Wandteppiche zu dienen.

Als Reisender in Sachen Frieden hat der irakische Vizepräsident den Ort in Italien gut gewählt. Wie keine andere Institution steht die katholische Kirche für das alte Europa, bündeln sich in ihr seit je die Ausplünderung und Unterwerfung der Welt mit der bigotten Friedensrhetorik der Pfaffen. Was das Regime in Bagdad instinktiv mit dem alten Europa verbindet, ist die Leugnung der eigenen Verantwortung für das Desaster im Irak. Derzeit besteht diese in dem Vorwurf, Amerika wolle den Nahen Osten kolonisieren; mit einem in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Plan des US-Außenministeriums hat er neue Nahrung erhalten. Demnach plane man eine dauerhafte Besatzung des Irak unter Beibehaltung großer Teile der heutigen Nomenklatura. Auch wenn es sich nur um einen weiteren unter vielen Plänen handelt, sorgte allein die Meldung bereits für Unruhe – und nicht nur in Bagdad und Assisi.

So waren es vor allem die irakischen Oppositionellen, die sich im kurdischen Nordirak derzeit auf die Gründung einer Übergangsregierung vorbereiten, die ihn kritisierten. Der Schriftsteller Kanan Makiya, hierzulande gerne als Mitarbeiter der CIA denunziert, hält den Plan für »eine Katastrophe«. Ahmed Chalabi, Vorsitzender des Iraqi National Congress, erklärte im Wall Street Journal, die Befreiung des Irak müsse »von irakischen Schultern getragen« werden. Zurückhaltender reagierten die kurdischen Parteien, auch wenn sie keinen Zweifel aufkommen lassen, dass sie es mit einem Austausch des Führungspersonals nicht bewenden lassen werden. Aus ihrer Perspektive erscheinen andere Kompromisse, die das US-Außenministerium eingehen muss, um seinen Plan zum Sturz Saddam Husseins gegenüber Europa und den nahöstlichen Anrainern durchzusetzen, derzeit gefährlicher. So besteht die türkische Regierung als Gegenleistung für die Erlaubnis zur Stationierung US-amerikanischer Truppen nicht nur auf Finanzhilfe, sondern auf dem Einsatz eigener »humanitärer« Truppen im Nordirak.

Mehr als eine US-amerikanischen Intervention fürchtet die Opposition daher, dass auf der Suche nach Kompromissen zu deren Durchführung immer mehr vom ursprünglichen Plan der Demokratisierung auf der Strecke bleibt. Denn außerhalb der USA und Großbritanniens findet sich keine Regierung, die ihr Programm ernst nimmt und sie anzuerkennen bereit wäre.

Die völlige Ignoranz, mit der Europa ihr begegnet, gleicht derweil dem, was die Philosophin Hannah Arendt als »Propaganda der Tat« bezeichnete. Die Opposition soll zu jener Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt werden, die längst zur Ursache für das angebliche Fehlen einer Alternative zum Bestehenden erklärt wurde.

Bei der dann einzig verbleibenden Wahl zwischen US-amerikanischer Besatzung und irakischer Diktatur ist die Entscheidung unter Ausblendung der Opposition längst gefallen – gegen den »Kolonialismus« der USA. So haben die einstigen Kolonialherren Europas als Gegner eines Regimewechsels im Irak längst erkannt, dass ihre Friedenskerzen wirkungsvoller leuchten, wenn man einen Flächenbrand in der ganzen Region halluziniert.

An solchen Flammen wärmt sich Tariq Aziz gern die Hände.


Jungle World 10 - 26. Februar 2003


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