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"Die Uno erschwert unsere Arbeit"

Ein Gespräch mit Mala Bachtiar über Unabhängigkeit und Demokratisierung des Irak. Er ist Mitglied des Politbüros der Patriotischen Union Kurdistans (Puk)

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Was bedeutet die Unabhängigkeit des Irak für die irakischen Kurden?

Ich glaube nicht, dass der Irak nun seine vollständige Unabhängigkeit erreicht hat. Das wird vor allem daran deutlich, dass die von den irakischen Parteien beschlossene Übergangsverfassung durch die jüngste UN-Resolution vom 8. Juni nicht bestätigt wurde. Nicht einmal die US-Behörden können die Durchsetzung der von den irakischen politischen Kräften ausgearbeiteten Verfassung mittlerweile noch garantieren. Wenn die Iraker wirklich unabhängig wären, hätte diese Verfassung in der UN-Resolution garantiert werden müssen. Frankreich und Russland hatten jedoch mit einem Veto gedroht, weshalb die Verfassung nicht festgeschrieben wurde.

Wie zufrieden sind die kurdischen Parteien mit der in der Übergangsverfassung festgeschriebenen Autonomie?

Die Übergangsverfassung berücksichtigt 80 Prozent unserer Wünsche. Die jüngste UN-Resolution berücksichtigt dagegen nicht einmal 50 Prozent. Die Aufgabe der Uno wäre es aber, die irakischen Parteien in ihrem Bemühen um eine dauerhafte Verfassung zu unterstützen, und nicht, unsere Arbeit zu erschweren. Wir hoffen sehr, dass Frankreich, Russland oder irgendein anderes permanentes Mitglied des UN-Sicherheitsrates den Kampf gegen Amerika nicht auf unsere Kosten austrägt.

Das Verfahren gegen Saddam Hussein hat inzwischen begonnen. Andere Ba’athisten wurden bisher nicht zur Verantwortung gezogen. In der neuen Regierung sind sogar gleich mehrere (ehemalige) Ba’athisten vertreten. Wie weit ist über ein Jahr nach dem Sturz Saddam Husseins die Entba’athisierung vorangeschritten?

Leider wurden die Schritte der US-Regierung im Irak nicht ausreichend mit den irakischen Oppositionsparteien koordiniert, was die politische Planung nach dem Sturz Saddam Husseins erschwerte. Das ist der Grund für die derzeitigen Probleme im Umgang mit den Ba’athisten. Generell lässt sich sagen, dass die Schiiten radikal gegen jede Beteiligung von Ba’athisten an der Macht eintreten, während der Ministerpräsident der irakischen Übergangsregierung, Ijad Allawi, einige gemäßigte Ba’athisten wieder in das politische System integrieren will. Die sunnitischen Islamisten gehen immer engere Allianzen mit langjährigen Mitgliedern der Ba’ath-Partei ein, während wir Kurden gegen jede Beteiligung von Ba’athisten am politischen Leben des Landes kämpfen.

Wie bereits unmittelbar nach dem Sturz Saddam Husseins verfolgen die Besatzungsmächte auch mit der Reintegration der Ba’athisten keine nachvollziehbare Strategie. Ohne ernsthafte und tief greifende Auseinandersetzungen und Untersuchungen wird eine solche Integration aber in Zukunft noch jede Menge Probleme verursachen.

Wie wurde denn die Entba’athisierung in den kurdischen Autonomiegebieten nach 1991 durchgeführt? Wie verfuhren KDP und Puk mit den Jash, den kurdischen Kollaborateuren?

Die Autonomieregierung garantierte den Jash eine Generalamnestie und startete Programme zur Umerziehung der ehemaligen Ba’athisten. Die Tatsache, dass die Puk eine härtere Linie gegenüber den Jash und den Ba’athisten vertrat als die KDP, schadete uns dann sehr bei den ersten freien Wahlen für das kurdische Autonomieparlament. Die KDP konnte mit ihrer versöhnlichen Linie gegenüber den Ba’athisten deren Unterstützung gewinnen.

Die neue Regierung führte die Todesstrafe im Irak wieder ein. Außerdem wird über die Ausrufung eines landesweiten Ausnahmezustandes spekuliert. Viele Irakerinnen und Iraker, mit denen ich gesprochen habe, erhoffen sich davon das Ende des ba’athistischen und islamistischen Terrors. Besteht nicht die Gefahr, dass diese Maßnahmen auch zur Wiedererrichtung eines autoritären Systems dienen könnten?

Wenn die Reaktivierung der Todesstrafe oder die Verhängung des Ausnahmezustandes zeitlich begrenzte Maßnahmen zur Lösung eines ganz konkreten Problems sind, wie es momentan der Terror im Irak darstellt, dann ist das durchaus verständlich. Vielleicht ist der Lage anders nicht Herr zu werden. Wenn diese Maßnahmen aber Schritte zur Etablierung einer autoritären zentralistischen Regierung darstellen, dann werden sie dazu führen, dass irakische Demokraten und kurdische Parteien die Regierung verlassen. Bis zur Etablierung einer von allen anerkannten Verfassung sollten wir Kurden jeden Schritt zur Stärkung der Zentralregierung skeptisch beobachten.

Die großen kurdischen Parteien Puk und KDP konnten sich immer noch nicht auf eine gemeinsame Verwaltung des kurdischen Autonomiegebietes einigen. Wie wollen sie dann den Gefahren des arabischen Nationalismus und des radikalen Islamismus begegnen, wenn sie noch nicht einmal das zustande gebracht haben?

Das ist tatsächlich ein gravierendes Problem und eine Gefahr für unsere Autonomie. Wir haben aber das Glück, dass jene Gruppen, die gegen Föderalismus und Demokratie kämpfen, noch wesentlich gespaltener und schwächer sind als unsere Parteien.

Gibt es denn außer Lippenbekenntnissen konkrete Schritte zu einer gemeinsamen Verwaltung des Autonomiegebietes?

Es gibt Schritte in diese Richtung, die bisher aber wenig erfolgreich waren.

Bis vor einigen Jahren wurde dieser Konflikt ja teilweise bewaffnet als Parteienkrieg ausgetragen. Ist das auch ein Thema für Selbstkritik?

Wir waren im Parteienkrieg nicht die Aggressoren. Die KDP hat uns angegriffen und schließlich Saddam Husseins Truppen zur Hilfe gegen die Puk gerufen.

Eine Demokratie, in der Parteien wegen gemeinsamer Interessen oder ideologischer Übereinstimmung gewählt werden, scheint wegen der Aufteilung des Landes unter den Parteien aber auch im kurdischen Nordirak noch in den Kinderschuhen zu stecken.

Wie lange hat die Entwicklung demokratischer Gesellschaften in Europa gedauert? Wir haben hier erst seit 1991 unter extrem schlechten Bedingungen Erfahrungen in Sachen Demokratie sammeln können. Zuvor wäre jeder, der von Demokratie spricht, sofort ermordet worden. In Anbetracht dieser kurzen Zeit haben wir große Fortschritte erzielt. Es gibt hier keine Zensur. Es gibt Wahlen für Gewerkschaften und Vereinigungen. Wir haben damit in 13 Jahren mehr Fortschritte in Richtung Demokratie gemacht als der Rest des Irak in 100 Jahren. Auch eine Delegation der Sozialistischen Internationale (SI) kam vor einigen Jahren zu dem Schluss, dass lediglich in dem von der Puk kontrollierten Gebiet Kurdistans halbwegs demokratische Strukturen herrschen, was auch unsere Aufnahme in die SI ermöglicht hat. Diese Erfahrungen bei der Demokratisierung können wir nun in den neuen Irak einbringen.


Interview: Thomas Schmidinger


Jungle World 30 - 14. Juli 2004


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