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Die Araber-Macher

Wie Saddam Husseins Baath-Partei von einem Großreich träumte

Von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer

Ich habe jahrelang davor gewarnt, den Islam so mit Füßen zu treten und herauszufordern“, schrieb der deutsche Staatsmann. Trotz seiner Mahnungen sei der Islam vom Westen „verachtet, misshandelt, beleidigt“ worden, bis er es „endlich nicht mehr ausgehalten hat“. Wenn er jetzt durch „Reformvorschläge“ von außen noch mehr provoziert werde, müsse „der Sultan des Propheten grüne Fahnen entrollen, dann wird es ,Allah‘ in allen Ecken Asiens ertönen, und mit den Christen ist es dann zu Ende“.

Dies trug einst, im September 1908, der deutsche Kaiser Wilhelm II. in sein Tagebuch ein. Er gilt nicht zu Unrecht als Begründer deutscher Nahostpolitik. Wilhelm hat jene eigentümliche Ambivalenz eingeführt, die deutsche Nahostpolitik immer wieder bestimmt hat. Araber und Muslime gelten bis heute als Verbündete und Feinde zugleich, sind Verheißung und Schrecken.

Fast genau sechzig Jahre nach des Kaisers Tagebucheintrag, im September 1969, wurde anlässlich einer öffentlichen Hinrichtung auf dem Liberation Square im Zentrum Bagdads folgende Rede verlesen: „Großes irakisches Volk! Der Irak von heute darf keine Verräter, Agenten, Spione oder fünfte Kolonnen mehr dulden. Hört mich an, Israel, imperialistisches Amerika und ihr Zionisten! Wir werden all eure schmutzigen Tricks aufdecken! Wir werden eure Agenten bestrafen! Wir werden all eure Spione aufhängen, auch wenn es Tausende sind! … Das ist erst der Anfang! Die großen und unsterblichen Plätze des Iraks werden gefüllt sein mit den Leichen der Verräter und Spione! Wartet ab.“ Die Baath-Partei hatte gerade die Macht im Staate übernommen und unverzüglich mit Schauprozessen gegen irakische Juden begonnen, die der „zionistischen Spionage“ bezichtigt wurden. Nach der verheerenden Niederlage arabischer Staaten im Sechstagekrieg 1967 waren im Irak die Baathiste n mit dem Versprechen angetreten, die von Wilhelm einst beschriebene Drohung umzusetzen. Nicht mit dem grünen Banner Allahs, sondern unter dem Feldzeichen des Panarabismus sollte der Nahe Osten von vermeintlichen Feinden „befreit“ werden, und nicht den Christen, sondern Israel und dem Zionismus wurde Vernichtung angedroht.

Die nationalistischen und konservativen Vorgängerregimes hatten das Feindbild Israel benutzt, um von inneren Widersprüchen abzulenken. Aus der Sicht der Baathisten hatten sie jedoch, als es zur direkten Konfrontation mit Israel kam, versagt und die arabische Sache an den zionistischen Feind verraten. Der „Trick“ der Baath-Partei bestand darin, den alten Feind gewissermaßen zu verlagern. Denn von Beginn an konzentrierte sich die baathistische Propaganda darauf, den äußeren Feind im Inneren aufzuspüren, kenntlich zu machen und zu vernichten. Verantwortlich für diese Schmutzarbeit war Saddam Hussein, damals noch zweiter Mann im Staate. Unter seiner Regie entstand ein endloser Kreislauf aus behaupteten Konspirationen, Enthüllungen und dadurch angeblich notwendigen Säuberungen. Jede noch so grausame Handlung ist nach der Logik dieser hermetischen Welt die notwendige Reaktion auf eine allgegenwärtige äußere Bedrohung.

Es ist kein Zufall, wenn Kommentatoren und Politiker hierzulande angesichts des irakischen Diktators wieder in das Orakeln des deutschen Kaisers über die gedemütigte arabische und islamische Welt verfallen und vor einem Flächenbrand warnen, den der Sturz Husseins nach sich ziehen müsse. Denn es gibt eine weit zurückreichende historische Verbindung zwischen der deutschen Wahrnehmung des Nahen Ostens und der Entstehung der panarabischen Ideologie der Baath-Partei. Sie reicht bis weit vor die achtziger Jahre zurück, als deutsche Firmen durch Lieferung von technischem Gerät und Know-how zur Produktion von chemischen und biologischen Waffen durch das irakische Regime beitrugen. Schon viel früher lieferte Deutschland auch ideologisches Zubehör. Unverkennbar ist der Einfluss deutscher Ideen auf die Vordenker des Baathismus wie den panarabischen Theoretiker Saati Husri, der 1941 einen faschistischen Putsch im Irak unterstützte, oder den Mitbegründer der Baath-Partei, Michel Aflaq, dessen „Staatstheorie“ sich aus Versatzstücken der Theorien deutscher Romantiker und völkischer Antisemiten zusammensetzte. Die deutsche „Kulturnation“ gab das heimliche Vorbild panarabischer und baathistischer Träume ab. Der Ursprung dieses Traumes vom „Preußen Arabiens“ liegt tatsächlich in Kaiser Wilhelms Vision einer „friedlichen Durchdringung“ des Orients.

Der 1921 gegründete irakische Staat wurde von Beginn an von einer Staatsklasse getragen, deren Vertreter ihr Handwerk unter den Osmanen gelernt, an deutschen Universitäten oder bei deutschen Professoren in Konstantinopel studiert oder dort die preußische Militärschule besucht hatten. Deutschland galt den panarabisch Gesinnten unter ihnen ganz selbstverständlich als Vorbild, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Feindschaft gegen Frankreich und Großbritannien. Vor allem aber bei dem zentralen Problem, das sich den Panarabisten stellte, bot das deutsche Vorbild einen Ausweg an: Einen arabischen Staat, auf den sich ihr Nationalismus hätte beziehen können, gab es in der Wirklichkeit nie. Das bürgerlich-republikanische Nationsmodell, das die Existenz eines rechtlich verfassten Staates voraussetzt, schied somit von vornherein aus. Der deutsche Nationalismus, der zwischen Nation und Staat, kulturellem „Sein“ und legalen Institutionen unterschied, wurd e deshalb zur Leitideologie des Panarabismus und seiner Vision von einer arabischen Nation ohne staatliche Grenzen. Deutschland, das nach der Niederlage des Ersten Weltkrieges erneut zur Großmacht geworden war, hatte in den Augen der Panarabisten auch das Problem beispielhaft gelöst, wie man aus einer Position der Niederlage heraus einen Nationalbegriff entwickeln kann. Die erklärungsbedürftige Tatsache, dass die Araber, obwohl sie doch angeblich eine einzige Nation bildeten, in zahlreiche Staaten geteilt waren, führten sie auf den Einfluss feindlicher Mächte zurück.

Dieser Panarabismus, den der Theoretiker Saati Husri in den dreißiger und vierziger Jahren entwarf, bildet die Grundlage des gesamten Wahnsystems heutiger baathistischer Herrschaft unter Saddam Hussein. Husri, zu dessen Vorbildern neben Herder, Fichte und Ernst Moritz Arndt auch der radikale Antisemit und Pangermane van Schönerer zählte, definierte eine mystische arabische Kulturnation, die auf einer gemeinsamen glorreichen Vergangenheit fuße und nur äußerlich durch nationale Grenzen voneinander getrennt sei. Die Rückkehr zur arabischen Nation begriff er als eine historische Mission, die nur durch die Überwindung jener Feinde erfüllt werden könne, die von der Spaltung der Araber profitierten. Neben Frankreich und Großbritannien sollten dies nichtarabische Minderheiten sein.

Seit Mitte der dreißiger Jahre wurden zunehmend auch die Juden zu diesen Feinden gezählt. 1941 ergriffen irakische Faschisten unter der Führung von Raschid Ali al-Gajlani mit deutscher Hilfe die Macht und verübten den ersten antisemitischen Pogrom in der irakischen Geschichte. Sie wollten, erklärten sie damals, „die Judenfrage“ nach deutschem Vorbild lösen. Britischen Truppen gelang es, den Putsch niederzuschlagen, Gajlani floh nach Berlin, wo er gemeinsam mit dem berüchtigten Großmufti von Jerusalem für eine deutsch-panarabische Allianz gegen „Imperialisten und Juden“ warb. Saddam Husseins Baath-Partei, die sich auf Gajlani beruft, hat die Vorstellung einer arabischen Mission im Kampf gegen diese Feinde als innenpolitisches Prinzip durchgesetzt.

In seinem Buch Republic of Fear beschreibt Kanan Makija, wie es der Baath-Partei seit 1968 innerhalb kürzester Zeit gelang, die paranoide Vorstellung, von Feinden umgeben und von Agenten durchsetzt zu sein, zum dominanten politischen Thema zu machen. Jeder Iraker wurde angehalten, Spione und Zionisten zu melden, immer neue Verhaftungswellen und Enthüllungen erschütterten das Land. Hinter jeder noch so unverdächtigen Handlung konnte sich ein geheimer Plan verbergen, jede noch so harmlose Nachricht konnte einen tieferen Sinn enthalten, nichts war so, wie es schien. Sukzessive wurde eine fiktive Welt geschaffen, in der die Regeln des gesunden Menschenverstandes außer Kraft gesetzt waren. Im Gegensatz zu Syrien, wo die Baath-Partei immer um die Einbindung militärischer Eliten bemüht war, machte sich der irakische Ableger der Partei daran, eine „reine“ baathistische Gesellschaft zu erschaffen, die nicht durch Kompromisse mit bereits bestehenden Gesellschaft sstrukturen getrübt sein sollte. Bereits in den ersten Jahren ihrer Herrschaft tauschte die Baath-Partei praktisch die gesamte Nomenklatura des Staates aus, organisierte das Militär neu und ersetzte Interessensverbände und Gewerkschaften durch baathistische Organisationen. Selbst altgediente Parteifunktionäre konnten plötzlich als Zionisten enttarnt werden. „Wir schliefen mit der Pistole in der Hand“, erklärte später Tarik Aziz, der langjährige Kampfgefährte Saddam Husseins, „jede Sekunde bereit, uns gegen eine neue Verschwörung zu verteidigen.“

Oft wird darauf hingewiesen, dass die Säuberungswellen und Verfolgungsmaßnahmen Saddam Hussein zum Machterhalt dienten. Zudem wird häufig angeführt, dass die Diktatur die Säkularisierung und ökonomische Modernisierung betrieben hat. Das alles trifft zweifellos zu, reicht aber als Erklärung für die Vorgehensweise des irakischen Baath-Staates nicht aus. Es gab ein weiter reichendes Motiv: Die Baathisten schickten sich an, im Irak die Kernzelle eines künftigen arabischen Großreiches zu schaffen. Diese Vision mussten sie gegen eine Bevölkerung durchsetzen, die sich nur schwerlich in das Bild einer homogen arabischen Welt einfügen ließ. Von Beginn an richtete sich die Gewalt des stetig wachsenden Sicherheitsapparates gegen alle, die den ideologischen Prämissen des Regimes nicht entsprachen. Seit Mitte der siebziger Jahre waren dies vor allem die Kurden, dazu der schiitische Klerus des Landes sowie Gewerkschafter, Kommunisten – und nicht zuletzt das städtische Bürgertum. < /p>

Ihr „Verbrechen“ bestand darin, Eigeninteressen zu vertreten und damit dem Alleinherrschaftsanspruch der Baathisten zu widersprechen, der die vollständige Unterwerfung aller Interessen unter die Erfordernisse der historischen arabischen Mission verlangte. Nach und nach wurde eine Neudefinition der irakischen Gesellschaft durchgesetzt, wie sie in den panarabischen Manifesten der dreißiger Jahre angelegt war. Mitte der siebziger Jahre existierte kein Schulbuch mehr, in dem nicht die neue Geschichtsschreibung gelehrt wurde: eine mythische Geschichtserzählung, die sich auf Nebukadnezar und Saladin berief. Gewerkschaften, Frauen-, Schüler- und Studentenverbände waren aufgelöst und durch baathistische Organisationen ersetzt, die Wirtschaft zentralisiert zu einem aus Ölgewinnen finanzierten Klientelsystem zusammengefasst worden. Jenseits der baathistischen Realität konnte nichts mehr existieren; wer außerhalb dieses Systems stand, fand sich außerhalb d er Gesellschaft selbst gestellt.

Der irakische Baath-Staat war also immer weit mehr als nur ein um Machterhalt ringender Repressionsapparat. Alle Bereiche sozialen Lebens wurden der panarabischen Mission unterworfen. Jegliches dissidente Verhalten wurde als Verrat und feindlicher Angriff verstanden. Noch Mitte der neunziger Jahre wurden in Bagdad Händler hingerichtet, weil sie die Einheit von Volk und Staat angegriffen hätten. Ihr reales Vergehen bestand im illegalen Handel mit Devisen – ein Markt, den die Hussein-Familie für sich monopolisiert hatte. Irakischen Kurden wurden seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr nur, wie zuvor, als nationale Minderheit bekämpft, sondern en bloc zu feindlichen Agenten erklärt – zur fünften Kolonne mal Israels, mal der USA, mal des Irans. Einzig die Spitze der Partei durchschaute die unzähligen Konspirationen noch. Völlig unschuldige Menschen – Hannah Arendt hat dieses Phänomen sehr eindringlich in ihrer Totalitarismusanalyse beschrieben – könne n auf diese Weise über Nacht zu objektiven Feinden erklärt und vernichtet werden.

Diese beständigen „Säuberungsprozesse“ sind bereits in der frühen panarabischen Idee angelegt. Die ersehnte Einheit setzt danach einen beständigen Läuterungsprozess voraus, in dessen Verlauf die „arabische Nation“ neu erschaffen wird. Kein Land eignete sich freilich de facto schlechter für derartige Experimente als der Irak: Sunnitische Araber, die eigentlichen Träger panarabischen Gedankengutes, machten in den zwanziger Jahren gerade einmal ein Fünftel der Bevölkerung aus. Kurz nach der Machtübernahme begann das Regime folgerichtig, die demografische Zusammensetzung des Landes gewaltsam zu verändern. Hunderttausende von Fayli-Kurden, deren Vorfahren aus dem Iran in die großen Städte des Iraks eingewandert waren, wurden als „persischstämmig“ deportiert. Nordirakische Kurden, Schiiten und Assyrer wurden als innere Feinde verfolgt. Insgesamt sind bislang rund eine Million Iraker dem Baath-Regime zum Opfer gefallen – d ie meisten von ihnen waren keineswegs erklärte Gegner des Regimes, sondern gehörten einfach einer „objektiv“ feindlichen Gruppe an. „Die Revolution“, lautet einer der bekanntesten Sinnsprüche Saddam Husseins, „bestimmt selbst, wer ihre Feinde sind.“

Dieser Logik folgt auch der Antisemitismus des irakischen Regimes. Er beschränkt sich keineswegs auf vollmundige Drohungen gegen Israel und dient auch nicht nur dazu, von inneren Konflikten abzulenken. Unter dem Druck der Baathisten hatte bereits das Vorgängerregime Arifs Maßnahmen eingeführt, die von den Nürnberger Rassegesetzen inspiriert waren. Wie der israelische Wissenschaftler Amatzia Baram berichtet, wurde den irakischen Juden unter anderem verboten, „nichtjüdisches“ Eigentum zu erwerben; jüdische Ärzte durften keine Nichtjuden mehr behandeln. Seit 1968 wurde dann der „Krieg gegen Israel“ gegen die eigene Bevölkerung gerichtet: indem sie unter den Generalverdacht gestellt wurde, „zionistischen“ Einflüssen zu unterliegen. Dafür, dass es bislang nicht gelang, das „zionistische Krebsgeschwür aus dem arabischen Körper herauszuoperieren“, musste nun die eigene Gesellschaft büßen.

Das Misstrauen der Baathisten hat sich 1991 bestätigt. Damals rebellierten Iraker im ganzen Land gegen das Regime. Seitdem gilt potenziell das gesamte Volk als Verräter, der für seine in den Aufständen bewiesene Dissidenz bestraft werden müsse. Wenn Saddam Hussein ankündigt, lieber untergehen zu wollen als freiwillig abzutreten, so ist dies der letzte Schritt in seinem Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Wille, die Gesellschaft umzuformen, endete in der Drohung, sein Volk in einem apokalyptischen Endkampf zu opfern

erschienen in: Die Zeit, Nr. 14/2003


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