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Was Anti-FGM-Fatwas nicht bewirken können

Ein Plädoyer für die sexuelle Unabhängigkeit der Frauen

von Mary Kreutzer

Die Autorin wirft einen kritischen Blick hinter die Kulissen der vielbeachteten Konferenz von Kairo, als dessen Resultat eine Fatwa gegen Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) verabschiedet wurde. Wer organisierte diese Konferenz, wer nahm daran teil, welche Ideolgie und Weltbild bildet das Gerüst?.

Auf Arte läuft eine Dokumentation über FGM.
Ein kleines Mädchen brüllt wie am Spieß, Blut spritzt zwischen ihren Beinen hervor, das Kamera-Team filmt die Tortur bis zum Ende. Szenen des Filmes „Die Sache“, bei der die Hilfsorganisation Target ihren „Feldzug gegen ein Tabu“, so der Untertitel, vorführt. Blood and Sex sells - und bringt Spenden - scheint hier die Devise zu sein. Dazu kommt eine gehörige Portion Exotizismus, der kaum zu überbieten ist. „Emotional ging es mir schlecht dabei. Ich hatte Herzklopfen“, meint eine rührselige Anette Weber von Target, die bei der Genitalverstümmelung ebenfalls live dabei ist, mit der Kamera stets zur Hand, so schlecht ging es ihr dann auch wieder nicht. Während noch das Schreien des Mädchens zu hören ist, der Klitoris, innere und äußere Schamlippen mit einer Rasierklinge entfernt werden, wird ihr Kollege Rüdiger Nehberg, auf einem Kamel durch die Wüste reitend, eingeblendet. Nehberg und Weber touren mit ihrer „Pro Islamic Alliance“, teilweise als Wüsten-Scheichs verkleidet, durch das Land des „kriegerischen Volkes der Afar“ (Zitat aus dem Film), und erwirken so mancher Orts Fatwas gegen FGM, die von den Dorfmullahs in die Stammes-Scharia aufgenommen werden. So weit so unsympathisch. Am Ende des Filmes landen sie in Kairo.

Die Konferenz

In Kairo organisieren sie im November 2006 gemeinsam mit hochkarätigen (ausschließlich sunnitischen) Mullahs und männliche „Experten“ aus aller Welt unter der Schirmherrschaft der Al Azhar Universität eine Konferenz gegen FGM. Das Resultat: eine Fatwa, die FGM einmal mehr verbietet, wird weltweit zur Kenntnis genommen. Kritische Berichterstattung z.B. über die Zusammensetzung der Teilnehmer, die sich großteils aus der islamistischen Moslembruderschaft und ihrem Umfeld zusammensetzten, gar Proteste von Feministinnen, blieben aus. Und das, obwohl die Gastgeber eine Ansammlung reaktionärster Geistlicher waren: der Großscheich der Kairoer al-Azhar-Universität, Mohammed Sayed al-Tantawi, der ägyptische Religionsminister Mahmoud Zakzouk, und auch der berühmte Scheich Yusuf al-Qaradawi aus Katar waren mit von der Partie.

Qaradawi, der der islamistischen Moslembruderschaft nahe steht und im Westen gerne als moderat und modern beschrieben wird, gibt am 23. November 2006, also just dem Tag der vielbeachteten Fatwa gegen FGM, auf seiner Homepage folgenden Rat, die exakt das Gegenteil der Fatwa aussagt: “[FGM] ist keine Vorschrift, wer glaubt, dass es im Interesse seiner Töchter liege, soll es tun, und ich persönlich unterstütze es unter den gegebenen Umständen in der modernen Welt. Aber wer sich dagegen entschließt, wird nicht als Sünder angesehen, da es vor allem dazu gedacht ist, Frauen zu ehren, so sehen es die Gelehrten.“1 Zuvor hatte er auf der Konferenz bereits verlautbaren lassen, dass FGM nicht auszurotten sei. Manche Frauen seien einfach „anders“, hätten eine übergroße Klitoris oder allzu starke sexuelle Bedürfnisse. Sollte ein Verbot beschlossen werden, müsse für sie eine Ausnahmeregelung geschaffen werden.2

Auch Tantawi, ein ideologisch-theologischer Gefolgsmann der Regierung und neben Qaradawi sicherlich der einflussreichste Gelehrte der sunnitisch-arabischen Welt, ist nicht der Kuschelimam, als der er mancherorts gilt. Seine Universität, die al-Azhar, verbietet Bücher, die gegen „islamische Werte“ verstoßen, und lehnt Gesetzesentwürfe ab, die nicht mit der Scharia konform sind. Vor kurzem wurde hier ein Gesetz abgelehnt, das Ehebruch nicht mehr unter Strafe stellt, wenn der betrogene Partner von einer Strafverfolgung absieht.

Wer steht hinter al-Ikhwan al-Muslimun?

Die Moslembruderschaft repräsentiert eine der wesentlichen Strömungen des sunnitischen Islamismus. Sie hat ihren Ursprung in Ägypten und ist eine der größten sunnitisch-islamistischen Organisationen weltweit, mit Sektionen in fast allen anderen Ländern, wo Muslime leben. Der Mainstream der Moslembruderschaft versucht heute in den meisten Ländern legal politisch zu arbeiten und so etwas wie eine durchaus militante – aber nicht militärische – islamistische Massenbewegung zu werden. In einigen Staaten versucht sie sich auch als Partei zu konstituieren. Letzteres gelingt nicht immer. Auch in Europa ist die Strategie so, dass man selten als Moslembruderschaft auftritt, sondern dies eher verschleiert. Die Vertreter dieser Strömung haben durchaus politische Ambitionen, versuchen diese aber in einem institutionellen Rahmen durchzusetzen. In Deutschland, wo der Verfassungsschutz die Anhängerschaft der Bruderschaft auf etwa 1.300 schätzt, sind sie mit der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) verbunden, in Österreich sind sie laut Verfassungsschutzbericht stark vertreten, „ihre Anhänger finden sich in zahlreichen Moscheen, islamischen Vereinen und Organisationen“.3

Österreich war an der Konferenz in Kairo ebenfalls vertreten. Durch den „Menschenrechtsbeauftragten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ)“, Tarafa Baghajati, der sich in jüngster Zeit hierzulande vor allem durch sein öffentliches Leugnen der Existenz von FGM im Irak hervortat und durch seine Aussage, dass FGM ein „afrikanischer Brauch“ sei, den es im Irak nie gegeben habe.4 Eine erste Umfrage in der nordirakischen Region Germian war Ende 2004 zum Ergebnis gekommen, dass über 60 % der Mädchen und Frauen genital verstümmelt wurden.5 Die Umfrage brachte in Irakisch-Kurdistan eine breit angelegte Aufklärungskampagne ins Rollen. Vor kurzem entstand eine Arbeitsgruppe, die dem Parlament einen Gesetzesentwurf zur Ächtung von FGM vorschlagen wird. Neben VertreterInnen von Frauen- und Menschenrechtsgruppen, medizinischen Fachleuten und RechtsexpertInnen des kurdischen Parlaments nehmen auch VertreterInnen des Justiz- und Innenministeriums der Region teil. Zur Diskussion stehen u.a. die Erfahrungen mit ähnlichen Gesetzen in anderen, auch europäischen Ländern. „Ziel ist, die Verstümmlung von Frauen und Mädchen als Tatbestand zu formulieren und aus dem Kontext von Ehre, Tradition und Kultur herauszulösen“, sagt Cheman Rashid, eine der Organisatorinnen der Kampagne und Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Wadi.

Respekt vor sexueller Autonomie von Mädchen

Zurück nach Kairo. Die dort verabschiedete Anti-FGM-Fatwa ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann sie als taktisches Instrument im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung eingesetzt werden, um muslimischen Frauen und Männer im Irak, in Ägypten, in Indonesien, in Europa, den USA, etc, die Ausübung zu verbieten, andererseits wirft es die gerechtfertigte Frage auf, ob man mittels Fatwas solcher Geistlicher und deren Aktivisten eine fortschrittliche Politik betreiben kann, und will, und nicht vielmehr eben jenen reaktionären Kräften, etwa der Muslimbruderschaft, Gehör verschenkt, die es – vor allem aus feministischen Reihen - durch Aufklärungskampagnen zu bekämpfen gelte. Bei aller Kritik an der Organisation Target und ihrem Naheverhältnis zu Islamisten kann jedoch trotzdem nicht geleugnet werden, dass die Fatwas auch ganz konkret – vielleicht sogar effektiv - als Kampfmittel gegen FGM eingesetzt werden.

Die Publizistin und Frauenrechtsaktivistin Ayaan Hirsi Ali - auch sie wurde als junges Mädchen verstümmelt - bringt es am ehesten auf den Punkt, wenn sie Skepsis gegenüber den diversen Anti-FGM-Konferenzen und -Fatwas zum Ausdruck bringt.6 Damit werde man dieses Verbrechen nie abschaffen können. Wie dann? „Indem man anfängt, die Ursachen zu bekämpfen, nicht die Symptome. In den muslimischen Ländern muss das Dogma der Jungfräulichkeit abgeschafft werden“, so Hirsi Ali, die statt der hundertsten Anti-FGM-Konferenz für eine „Konferenz über die sexuelle Unabhängigkeit von Mädchen“ plädiert.

Anmerkungen:

1 http://www.islamonline.net/servlet/Satellite?pagename=IslamOnline-English-Ask_Scholar/FatwaE/FatwaE&cid=1119503543886
2 NZZ vom 24. November 2006
3 Zum Zusammenhang von Moslembruderschaft mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) und deren NGO „Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen“ (IMÖ), siehe: Schmidinger, Thomas: Tariq Ramadan und die Moslembrüder in Europa. In: Zukunft (Sozialdemokratische Diskussionszeitschrift für Polik, Gesellschaft und Kultur) Nr. 04/2007 S. 42 – 47
4 Seine Zweifel bestärkte er zuletzt in einem Gastkommentar in „Die Presse“ (Wien, 8.2.2007)
5 Mary Kreutzer: "Meine Tochter fasst niemand an!" Über den Kampf gegen Weibliche Genitalverstümmelung im Nordirak. In: Frauensolidarität Nr. 92 (Wien, 2005)
6 ARTE-Gesprächsrunde zum Themenschwerpunkt FGM, Übertragung am 6. Februar 2007

Mary Kreutzer ist Chefin vom Dienst des Menschenrechtsmagazins liga und Mitarbeiterin der im Irak tätigen Hilfsorganisation WADI Österreich.


Artikel erschienen in Frauensolidarität 2/07, S. 30-31


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