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Die Angst regiert

Schwenk der US-Politik im Irak

von thomas uwer

Wenn sich noch vor einem Jahr US-amerikanische Linksliberale um einen guten Teil dessen gebracht sahen, was sie traditionell von der Außenpolitik der rechtskonservativen Regierung unterschied, so muss es aktuell erscheinen, als hätte George W. Bush nunmehr eingeholt, was bislang vornehmlich die radikale Linke auszeichnete.

Damals war es die als »liberation policy« bezeichnete Einsicht, dass dem radikalen Antiamerikanismus der Islamisten und Panarabisten nicht mit der gewohnten Mischung aus Begünstigung und Abhängigkeit beizukommen ist, die dazu führte, dass im Weißen Haus plötzlich von »regime change« und »Demokratisierung« die Rede war. In Washington herrscht heute die einzige Konstante linken Denkens: die Angst, man könnte Recht behalten. Denn während der Horror, den US-Soldaten im Irak derzeit erleben, die Zuspitzung genau jenes Konfliktes darstellt, um den es der Bush-Administration im Irak ging, zeichnet sich doch auch ab, was droht, wenn man den Krieg verliert.

Dass es beim Irak immer auch um mehr ging als nur um das Land, stellte sowohl die zentrale Prämisse des Irakkrieges als auch zugleich den Kern des Widerstands dagegen dar. Denn es sollte sich die Möglichkeit ergeben, eine Demokratisierung einzuleiten, die das System unantastbarer Herrschaft, das die gesamte Region bislang auszeichnet, ins Wanken bringen und damit dem Terror die Basis entziehen würde. Vom Sturz Saddam Husseins, so die Hoffnung, würde die Botschaft ausgehen, dass eine grundlegende Verbesserung nicht nur möglich ist, sondern die USA sich dabei als Freund anstatt als Hindernis erweisen könnten.

So weit ist die Rechnung aufgegangen. Bei den Regierungen der Nachbarstaaten herrscht Einigkeit darüber, dass eine erfolgreiche Demokratisierung des Irak über kurz oder lang auch bei ihnen zumindest grundlegende Reformen erzwingen wird. International mobilisieren daher Islamisten in trauter Eintracht mit Panarabisten zum »Widerstand« gegen die drohende Alternative im Irak. Entsprechend groß ist dort die Angst, mit dem Irak mehr als nur die Kontrolle über ein Land von vielen in der Region zu verlieren.

Damit steigt der Druck auf die USA, möglichst schnell auch der Probleme Herr zu werden. Auf die mit jedem Terroranschlag wachsende Kritik, die Koalitionstruppen würden die Sympathien der irakischen Bevölkerung zusehends verspielen, reagiert die Regierung Bush nun mit der Ankündigung, die Regierungsgewalt schneller als geplant an eine irakische Regierung zu übergeben.

Diese als Befreiungsschlag gedachte Beschleunigung könnte sich allerdings bald als ihr Gegenteil erweisen. Vorschnell in die Regierungsverantwortung gestoßen, droht aus dem Versuch, eine stabile, demokratische Regierung aufzubauen, die Notverwaltung des Ausnahmezustands zu werden. Lokal aufgestellte Bürgerwehren, wie in Nasariya, wo nach dem Anschlag auf das Gebäude des italienischen Polizeikontingents vergangene Woche schiitische Gruppen in Selbstorganisation mit der Sicherung der Straßen begonnen haben, mögen ein effizienter Schutz vor islamistischen Terroristen sein. Für einen Staat mit einer Verfassung, deren Rechte für jeden Bürger gleichermaßen zählen, taugen sie nicht.

So scheint keine der beiden Optionen, die andauernde Besatzung wie die schnelle Übergabe, den Wunsch nach einer schnellen Beilegung des Konflikts zu erfüllen. Einzig die Ankündigung George W. Bushs, der Sturz Saddam Husseins sei nur eine gewonnene Schlacht, kein gewonnener Krieg, hat bereits jetzt Gültigkeit erlangt.


erschienen in Jungle World 48 - 19. November 2003


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