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Gerettet durch „Operation Ali Baba"

Nach dem Fall des Baath-Regimes besteht Hoffnung für einen Neubeginn jüdischen Lebens im Irak. Im Norden existiert bereits eine jüdische Partei.

von Thomas Schmidinger

Nach der Befreiung Bagdhads von der Herrschaft Saddam Husseins blieb die einzige verbliebene Synagoge zu Pesach geschlossen. Nach 35 Jahren ba´thistischer Herrschaft war die Angst vor dem Chaos der ersten Tage und vor verbliebenen Ba´thisten, die sich an der Handvoll verbliebener Jüdinnen und Juden rächen könnten, zu groß.

Kaum mehr als 30 alte Menschen sind heute von einer jüdischen Bevölkerung geblieben, die einst ein Fünftel der Bevölkerung Bagdhads ausmachte.

Dabei können die jüdischen Gemeinden Mesopotamiens auf eine rund 2.500 Jahre alte Präsenz des Judentums im Zweistromland zurückblicken und bilden damit eine der ältesten Gruppen des ethnischen und religiösen Mosaiks zwischen Euphrat und Tigris. Spätestens seit dem Babylonischen Exil gibt es auf dem Gebiet des heutigen Irak eine ständige Präsenz jüdischer Gemeinden.

Nach der Zerstörung des jüdischen Staates durch die Römer und der damit einhergehenden zunehmenden Bedeutung der jüdischen Diaspora bildete Mesopotamien ein wichtiges geistig-kulturelles Zentrum des Judentums.

Die hier lebenden Gemeinden gewannen insbesondere nach der islamischen Eroberung, welche die jüdische Bevölkerung dem frühen christlichen Antisemitismus des Oströmischen Reiches entzog, größeres Gewicht für das gesamte Judentum.

Die islamische Herrschaft erlaubte der jüdischen Bevölkerung mit dem Status der Dhimma, der Schutzbefohlenheit, eine religiöse, kulturelle und in gewissen Umfang politische Autonomie, bei gleichzeitiger Unterordnung unter den islamischen Herrschaftsanspruch.

Im islamischen Mittelalter blühten die jüdischen Gemeinden Bagdhads, Basras, Mosuls und vieler anderer Städte des heutigen Irak und beeinflussten in kultureller und religiöser Hinsicht insbesondere das arabischsprachige Judentum Syriens, Palästinas und Ägyptens.

Unter islamischer Oberhoheit konnte sich im Irak auch die jüdische Sekte der Karäer entwickeln, die sich von hier aus in ihre späteren Schwerpunktländer auf der Krim und schließlich nach Kairo, Litauen, Jerusalem und Istanbul ausbreitete. Eine letzte karäische Gemeinde existierte im Irak bis zur Auswanderung der meisten irakischen Juden in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts in der ländlichen Kleinstadt Hit, nordwestlich von Bagdhad.

Unter osmanischer Herrschaft konnten die irakischen Jüdinnen und Juden von den Refomen des späten 19. Jahrhunderts profitieren und wurden schließlich zu einem wichtigen kulturellen, politischen und ökonomischen Element der urbanen Bevölkerung. Dieser Aufwärtstrend setzte sich auch in der britischen Protektoratszeit fort.

Als der Irak 1932 schließlich formal in die Unabhängigkeit entlassen wurde, konnte sich zwar die wirtschaftliche Situation der jüdischen Gemeinden weiter verbessern, allerdings verschlechterte sich ihre politischer Position parallel zur Stärkung des frühen arabischen Nationalismus, der auch in den seit Jahrhunderten arabisierten irakischen Jüdinnen und Juden potentielle Verbündete des Zionismus sah, obwohl der tatsächliche Einfluss des Zionismus unter der jüdischen Bevölkerung des Irak kaum eine Rolle spielte.

Als sich der arabische Nationalismus in den Dreißiger- und Vierzigerjahren zunehmend mit dem deutschen Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus verbündete, mit dem Mufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini einer der prominentesten NS-Kollaborateure des arabischen Nationalismus nach Bagdhad ins Exil ging und diesem eine Reihe nationalistischer Lehrer und Intellektueller aus Palästina und Syrien folgten, erhöhte sich der Druck auf die jüdische Bevölkerung des Irak.

Antijüdische NS-Propaganda fiel zunehmend auf fruchtbaren Boden und führte nach dem prodeutschen Putsch Rashid Alis am 1. April 1941 zu einer immer unerträglicheren Situation für die jüdische Bevölkerung.

Am 23. Mai 1941 bezeichntete Hitler in einer Weisung die „arabische Freiheitsbewegung" als „unseren natürlichen Bundesgenossen gegen England" und gestand in diesem Zusammenhang „der Erhebung des Irak eine besondere Bedeutung" zu: „Sie stärkt über die irakischen Grenzen die englandfeindlichen Kräfte im Mittleren Orient, stört die englischen Verbindungen und bindet englische Truppen. [...] Ich habe mich daher entschlossen, die Entwicklung im Mittleren Orient durch Unterstützung des Irak vorwärts zu treiben."

Die Regierung Rashid Alis stieß tatsächlich weit über den Irak hinaus auf Sympathien des arabischen Nationalismus. Michel Aflaq und Salah Bitar, die späteren Gründer der Baath-Partei gründeten eine eigene Hilfsorganisation für den Irak und warben Freiwillige für das irakische Regime an.

Nachdem die Briten mit der militärischen Niederschlagung des Regimes Rashid Alis begannen, entlud sich die Wut der Anhänger des Regimes zunehmend an der jüdischen Bevölkerung, die nach der Niederlage des Regimes in einen Pogrom an der jüdischen Bevölkerung Bagdhads mündete.

In dem Machtvakuum, das der Besetzung Bagdhads durch die Briten voranging, wurden in diesem „Farhud" genannten Pogrom über 170 Jüdinnen und Juden ermordet, Tausende verletzt und Geschäfte jüdischer Besitzer geplündert.

Eine britische Untersuchungskommission nannte später die NS-Propaganda der deutschen Botschaft in Bagdhad und die Hetze Haj Amin al-Husseinis und seiner Anhänger als Ursachen für diesen antisemitischen Gewaltausbruch. Allerdings beteiligte sich keinesfalls die gesamte muslimische Bevölkerung Bagdhads an der Farhud.

Es sind auch viele Fälle aus gemischten Stadtteilen Bagdhads bekannt, in denen Muslime ihre jüdischen Nachbarn beschützten und gegen den antisemitischen Mob verteidigten.

Die Farhud hinterließ in der jüdischen Bevölkerung Bagdhads tiefe Spuren, allerdings kam es erst nach der arabischen Niederlage in Palästina und einer erneuten antijüdischen Hetze im Irak, bei der in den Medien der immer noch populären arabischen Nationalisten immer offener Jüdinnen und Juden mit dem Zionismus gleichgesetzt wurden, zu einer ersten großen Auswanderungswelle der jüdischen Bevölkerung in den neugegründeten Staat Israel.

Ein großer Teil dieser jüdischen Flüchtlinge war keineswegs zionistisch eingestellt, sondern nach den Erfahrungen der Fahrud so sehr traumatisiert, dass sie angesichts der antijüdischen Propaganda und nach mehreren Bombenanschlägen u.a. auf ein von Juden frequentiertes Kaffeehaus am 8. April 1950 und auf die Mas´uda-Shemtov-Synagoge am 14. Jänner 1951, fluchtartig das Land verließen.

130.000 irakische Jüdinnen und Juden wurden im Rahmen der Operation Ali Baba über Zypern nach Israel ausgeflogen. Damit hatte zwar die überwiegende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung den Irak verlassen, allerdings verblieben in den großen Städten immer noch aktive jüdische Gemeinden mit einigen tausend Mitgliedern, die zwar neben dem Antisemitismus ihrer Umgebung auch unter einer stetigen Abwanderung nach Israel, in die USA und nach Europa litten, aber doch ihr Gemeindeleben fortsetzen konnten. In den Synagogen Bagdhads, Basras und Mossuls wurden auch nach dem Putsch Abd al-Karim Qasims Gottesdienste abgehalten und jüdische Feiertage begangen.

Die Konflikte zwischen der irakischen Linken einerseits und den arabischen NationalistInnen andererseits und die daraus resultierende Abfolge von Revolten, Straßenkämpfen, militärischen Umstürzen und Ausschreitungen der Baathisten und anderer Nationalisten gegen die Linke führten jedoch auch unter der jüdischen Bevölkerung zu wachsender Unsicherheit und beschleunigten deren Auswanderung.

Zu einer weitern Auswanderungswelle tausender verbliebener Jüdinnen und Juden sollte es jedoch erst nach der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg und der endgültigen Machtergreifung der Baath-Partei 1968 kommen.

Die Baath hatte nie ein Hehl aus ihrer antisemitischen Gesinnung gemacht und begann neben der blutigen Bekämpfung der kommunistischen und kurdischen Opposition mit einer Kampagne gegen vermeintliche „zionistische Agenten", die bereits ein halbes Jahr nach ihrer Machtergreifung, im Januar 1969 mit einem im Fernsehen übertragenen Schauprozess gegen 14 Personen, darunter neun Juden wegen „Spionage für Israel" und der folgenden öffentlichen Hinrichtung der Beschuldigten ihren ersten Höhepunkt erfuhr.

Weitere Schauprozesse und eine verschärfte antisemitische Propaganda führten zu einer Massenflucht des Großteils der verbliebenen jüdischen Bevölkerung und zur Reduktion auf eine kleine jüdische Gemeinde in Bagdhad mit einer verbliebenen Synagoge im Viertel Bataween.

Die verbliebenen Juden Bagdhads versteckten nach außen oft ihre religiöse Zugehörigkeit und versuchten, sich ihrer muslimischen Umgebung anzupassen.

Während die jungen oft auf abenteuerlichen Wegen versuchten, das Land zu verlassen, blieb eine Handvoll alter Leute zurück. Der letzte Rabbiner verstarb Mitte der 90er Jahre. Nachdem der Baathismus fast alle irakischen Jüdinnen und Juden vertrieben hatte, stellte er sie quasi unter Schutz.

Die Regierung förderte den Erhalt der Synagoge und führte die Existenz einer jüdischen Gemeinde immer wieder als Beweis für seine Toleranz gegenüber „guten", das heißt antizionistischen Juden an. Während die verbliebenen 30 bis 40 Jüdinnen und Juden Bagdhads ihr Überleben nur durch Unterwürfigkeit gegenüber dem Regime sichern konnten, gelang es der Handvoll kurdischer Jüdinnen und Juden im seit 1991 befreiten kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak wieder, sich eigenständig zu organisieren.

Nicht zuletzt weil auch die kurdische Bevölkerung des Irak am eigenen Leib erfahren mußte, welch mörderische Konsquenzen der arabische Nationalismus haben kann, standen die großen kurdischen Parteien PUK und KDP der jüdischen Bevölkerung sehr positiv gegenüber. Die Vertreibung zehntausender KurdInnen aus der Umgebung von Kirkuk durch das Regime Saddam Husseins und die Ansiedlung von arabischen PalästinenserInnen in den ehemals kurdischen Häusern erhöhte auch die Sympathien gegenüber Israel.

Baathistische Medien erregten sich im März 2000 über die Bildung einer jüdischen Partei (Yahud Kurdistan) im Autonomiegebiet, während Jalal Talabani, der Vorsitzende der PUK dies zu einem normalen Bestandteil der kurdischen Demokratie erklärte, in der es auch assyrische und turkmenische Parteien gibt.

Die Hoffnungen, dass sich auch die jüdische Gemeinde in Bagdhad nach dem Ende der Baath-Herrschaft wieder erholen könnte, sind vorerst jedoch noch sehr vage. Ohne die Rückkehr exilierter irakischer Jüdinnen und Juden wird dies aber nicht möglich sein, denn eine Gemeinde, die nur mehr aus drei Dutzend Leuten besteht, die fast alle über Siebzig sind, wird auf sich allein gestellt auch nach ihrer Befreiung verschwinden. Die letzte verbliebene Synagoge hat jedoch nicht nur den Krieg, sondern auch die Plünderungen überstanden.

Dass ausgerechnet die muslimischen Nachbarn der Synagoge diese vor mehrmals auftauchenden Plünderern geschützt haben, mag als Zeichen für eine bessere Zukunft gedeutet werden. Ob aber wirklich einzelne irakische Jüdinnen und Juden nach Bagdhad zurückkehren wollen, wird sehr stark von den politischen Entwicklungen der nächsten Monate abhängen.

Sollten sich jene Kräfte durchsetzen, die wie die kurdischen Parteien oder der von Ahmed Chalabi geleitete Irakische Nationalkongress (INC) eine rasche Aussöhnung mit Israel und eine umfassende Demokratisierung des Landes anstreben, könnte auch für die jüdische Gemeinde in Bagdhad wieder Hoffnung bestehen.

erschienen in: "die jüdische" 14.05.2003


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