zurück


Ali und die Allianz

Trotz des Wahlsiegs der schiitischen Islamisten ist die Einführung der Sharia vorerst nicht zu befürchten. Die Islamisten sind auf säkulare Kräfte angewiesen.

von Thomas Schmidinger

Nach der Auszählung von 1,6 Millionen Stimmen in sechs der insgesamt 18 Provinzen des Landes lag die vom schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani unterstützte Vereinigte Irakische Allianz (UIA) deutlich vor den Listen des amtierenden Ministerpräsidenten Iyad Allawi und des irakischen Übergangspräsidenten Ghazi al-Yawar. Zwar könnte sich dieses Bild noch etwas ändern, da bislang vor allem die Stimmen im schiitischen Süden ausgezählt wurden und die Ergebnisse aus dem Norden noch fehlen. Aber der Wahlsieg der UIA scheint sicher. Weitgehend erfolglos blieben hingegen kleinere schiitisch-islamistische Parteien, etwa die Islamische Tugendpartei.

Auch wenn sich eine relative Mehrheit der von Schiiten dominierten UIA abzeichnet, so dürfte sie weiterhin auf Koalitionspartner angewiesen bleiben – was man auch in Washington erleichtert registrieren dürfte. Der für Deutschland und Österreich zuständige Sprecher von Sciri, der wichtigsten Partei innerhalb des Bündnisses UIA, bestätigte der Jungle World, dass auf jeden Fall eine Koalition angestrebt werde. Dabei dürfte ein Abkommen mit der kurdischen Wahlallianz, die noch vor der Irakischen Liste des amtierenden Ministerpräsidenten Allawi landen könnte, am wahrscheinlichsten sein. Spekuliert wird auf einen kurdischen Staatspräsidenten und einen Ministerpräsidenten aus den Reihen der UIA.

Als aussichtreichster Kandidat für diesen Posten gilt der jetzige Finanzminister Adil Abd al-Mahdi. Er gehörte einer Abspaltung der Irakischen Kommunistischen Partei an, ehe er sich dem politischen Islam zuwandte. Mitte der neunziger Jahre war er Repräsentant der Sciri im Iran, er genießt nicht nur unter gemäßigten schiitischen Islamistinnen und Islamisten hohes Ansehen. Mit seinen guten Kontakten zu anderen Parteien könnte er als Integrationsfigur wirken. Zudem wäre mit dem ehemaligen Kommunisten das Wahlversprechen der UIA eingelöst, keinen Kleriker zum Ministerpräsidenten zu ernennen.

International wurden mit dem Wahlsieg der Vereinigten Irakischen Allianz Befürchtungen laut, der Irak könne sich in Richtung eines islamistischen Regimes entwickeln. Von irakischen Linken gibt es jedoch durchaus unterschiedliche Einschätzungen der UIA, zumal sie auch kein homogener Block ist. Neben Sciri, Da’wa und INC kandidierten einige Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten auf der Liste der UIA. Diese bemühte sich, eine gewisse Offenheit zu zeigen und nicht nur als religiöse schiitische Liste aufzutreten. Ob die kurdischen, sunnitischen, christlichen und mandäischen Kandidaten auf der Liste jedoch mehr als ein politisches Zeichen sind, wird sich erweisen müssen.

Auch zwischen den drei wichtigsten Organisationen der Liste, der Da’wa, dem Hohen Rat des islamischen Widerstands (Sciri) und Ahmed Chalabis Irakischem Nationalkongress (INC), gibt es Differenzen. Während Da’wa und Sciri die wichtigsten Parteien des schiitisch-islamistischen Widerstands gegen das Ba’ath-Regime darstellten, war Ahmed Chalabi bis zum Sturz Saddam Husseins der Lieblingsexiliraker der US-Regierung. Der Mann, der in Jordanien wegen Finanzbetrügereien verurteilt worden war, fiel jedoch bald in Ungnade und näherte sich in den letzten Monaten dem Iran und den schiitischen Parteien an. Damit war jedoch keine ideologische Umorientierung verbunden. Vielmehr begab sich der politische Überlebenskünstler auf die Suche nach neuen Verbündeten, die seine antiba’athistische Überzeugung teilen. Er strebt jedoch keine religiöse Staatsform an. Er ist ein Liberaler, sowohl was seine gesellschafts- als auch was seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen betrifft.

Auch die beiden schiitisch-islamistischen Partner der Allianz sind sich in vielen Fragen uneins. Während die Da’wa seit ihrer Gründung in den späten fünfziger Jahren einen doktrinären schiitischen Staat mit einer vom islamischen Gesetz begrenzten Volkssouveränität anstrebte, orientierte sich der Sciri lange Zeit am iranischen Modell der Herrschaft der »Rechtsgelehrten«. Der Sciri selbst war nach seiner Gründung 1982 ein Dachverband unterschiedlicher Gruppierungen, der auch vereinzelte sunnitisch-islamistische Gruppen umfasste und den vor allem die iranische Unterstützung zusammenhielt. Die Umwandlung des Sciri vom Dachverband in eine gemeinsame politische Organisation hatte schließlich das Ausscheiden der Da’wa zur Folge, die anfangs das Bündnis mitorganisierte.

Seit Mitte der achtziger Jahre galt die Da’wa als stärkste Gruppierung des »irakistischen« Teils des schiitischen politischen Islam im Irak, während der Sciri als »iranischer« Flügel gesehen wurde. Diese Kategorisierungen kamen allerdings nach dem Sturz Saddam Husseins ins Wanken. Mit der Rückkehr des Sciri in den Irak zeigte sich rasch, dass die enge Anlehnung an den Iran auch aus taktischem Kalkül erfolgte und nicht nur aus politischer Überzeugung. Führende Vertreter des Sciri betonen seither immer wieder ihre Unabhängigkeit vom Iran. Das offensichtliche Unvermögen des iranischen Regimes, sich selbst zu erneuern und eine gewisse politische Legitimität unter der eigenen Bevölkerung zurückzugewinnen, machte das iranische Modell auch für den schiitischen Islamismus im Irak zunehmend unattraktiver.

Dennoch bleiben beide Parteien konservative Kräfte des politischen Islam, die die Zukunft des Irak nicht in einem säkularen Staat sehen. Zumindest für einige Flügel beider Parteien ist die Abschaffung des seit Abdel Karim Qasim gültigen fortschrittlichen Personenstandsrechtes weiter ein politisches Ziel, das aber wohl nur im Falle einer absoluten Mehrheit durchgesetzt werden könnte. Bereits im Januar 2004 hatte der Regierungsrat unter dem Vorsitz des Sciri versucht, das säkulare Familienrecht abzuschaffen und durch die Sharia zu ersetzen, was jedoch am Widerstand säkularer und feministischer Kräfte scheiterte. Im Wahlkampf sagte auch der Spitzenkandidat der UIA, Abel-Aziz al-Hakim, dass das islamische Recht die Grundlage der staatlichen Gesetze bilden solle.

Neben ihrem Versuch, sich als eigenständige Variante eines schiitischen Islamismus zu präsentieren, lag der zweite Hauptgrund für den Wahlerfolg der Allianz an der Unzufriedenheit mit Allawi. Der Ministerpräsident wurde von den irakischen Wählerinnen und Wählern abgestraft, weil er es nicht geschafft hat, die Sicherheit im Lande wiederherzustellen, aber auch, weil er die politische Reintegration alter Ba’athisten betrieben hat.

Gerade die Entscheidung zwischen der Irakischen Liste und der UIA war auch eine zwischen dem Modell eines demokratisch gewandelten Postba’athismus und einem antiba’athistischen schiitischen Islamismus.

 

erschienen in Jungle World Nr. 7 vom 16. Februar 2005


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: