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Ärger im Hinterhof

Wie der Iran versucht, seinen Einfluß im Irak auszubauen, und dadurch das Chaos im Land vergrößert.

von Thomas Uwer

http://www.jungle-world.com/

Der Experte lebt vom Rechthaben. Wird irgendwo gewählt, halten sich daher die Politikberater und Länderexperten gerne mit ihren Prognosen über die Zukunft eines Landes zurück. Welchen Sinn auch machte eine Studie, die nur zwei Wochen nach Erscheinen durch ein unerwartetes Wahlergebnis zunichte gemacht wird? Keinen, es sei denn, man weiß bereits, und ahnt nicht nur, was am Ende der Wahlen herauskommen wird. Daß sie es wüßte, glaubte einmal wenigstens die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die das deutsche Außenministerium berät und nur knapp einen Monat vor den Präsidentenwahlen im Iran ein Strategiepapier für die »deutsche Nah-, Mittelost- und Nordafrikapolitik« veröffentlicht hat.

Im Zentrum der Studie steht die weitere Annäherung an die iranische Staatsführung und namentlich den »Revolutionsführer« Ayatollah Ali Khamenei. »Es ist kaum nachvollziehbar, warum westliche Politik nicht versucht, ihn [Khamenei] direkt anzusprechen«, heißt es dort. »Das zentrale strategische Ziel deutscher und europäischer Politik liegt nicht im Schmieden anti-iranischer pro-westlicher Allianzen.« Das legitime iranische Interesse an Energie- und »Regimesicherheit« sei daher anzuerkennen, Israel in seine Grenzen zu verweisen. »Der Regierung in Tel Aviv wäre deutlich zu machen, dass Deutschlands Eintreten für Israels Sicherheit nicht bedeuten kann, jede Maßnahme mitzutragen, die Israel im Interesse der eigenen Sicherheit für notwendig hält.« Das klingt handfest, nur sind es wenige Wochen später die Iraner selbst, und nicht die Israeli Airforce, die mit Steinen und Farbeiern auf die Bilder des Revolutionsführers losgehen und ein Ende der Diktatur fordern, während im sog. Wächterrat der Ayatollahs helle Aufregung herrscht, weil jeder an der Macht bleiben will, aber keiner weiß wie und mit wem.

Dabei hatte man in den Büros der Stiftung ganz richtig angenommen, die iranische Staatsführung werde schon dafür Sorge tragen, daß das Wahlergebnis ihren Interessen entspricht. Der Fehler lag indes in der Annahme begründet, daß damit zugleich das Regime und seine derzeitige Führung dauerhaft gesichert wären. Dies wiederum hat man auch in Teheran selbst, in Washington und andernorts geglaubt, was die naheliegende Frage aufwirft, warum eigentlich alle immer dann, wenn es im Iran ernst wird, so völlig daneben liegen.

Ein Grund für die vielen Fehleinschätzungen liegt in der in den vergangenen Jahren verbreiteten Wahrnehmung des Iran als neuer Regionalmacht mit funktionsfähigen Steuerungsinstrumenten in den benachbarten Ländern begründet. Tatsächlich hat sich der Iran neben dem Libanon und den palästinensischen Gebieten jüngst auch massiv in die Politik der Nachbarländer Afghanistan und Irak eingemischt. »Wenig Zweifel kann daran bestehen, daß der Iran der größte Gewinner des 'war on terror' im Nahen Osten ist«, schrieb bspw. das britische Politikberatungsinstitut Chatham House bereits vor gut drei Jahren und versah diese Feststellung noch mit der Warnung vor den vielfältigen negativen Folgen der Entwicklung. Auch bei der Stiftung Wissenschaft und Politik ist der iranische Einfluß auf den Libanon und den Irak nicht unbemerkt geblieben, wenn er auch anders bewertet wird. »Tendenzen zur Übernahme von mehr regionaler Eigenverantwortung sind seit Saddam Husseins Sturz 2003 und dem Libanonkrieg 2006 zu beobachten«, heißt es dort, »und diese Tendenzen sind zu fördern.«

Falsch an solchen Einschätzungen ist nicht die Beobachtung, daß der Iran als Regionalmacht auftreten will und entsprechend in die Nachbarländer zu intervenieren versucht, sondern vielmehr die gleichfalls unterstellte Fähigkeit des Regimes dazu, diese Position auch dauerhaft und im eigenen Interesse zu nutzen. Denn zwar ist der Iran neben den USA die wichtigste politische und militärische Macht im Irak, gleichwohl ist nicht zu erkennen, welchem politischen Ziel Teherans damit in den vergangenen Jahren gedient worden wäre, außer jenem, den USA Schaden zuzufügen.
Dabei hätte der Iran, nach der langen und blutigen Geschichte der Feindschaft zwischen beiden Ländern, sehr wohl ein nachvollziehbares Interesse daran, einen tendenziell gefährlichen Nachbarn einzudämmen und wenigstens auf eine militärische Schwächung hinzuarbeiten. Auch verfügt der Irak einerseits über die Rohstoffe, die dem Iran so schmerzhaft fehlen, und bietet andererseits einen riesigen Absatzmarkt, für die iranischen Niedrigqualitäts-Produkte, die ansonsten keiner haben will. Und über die schiitische Bevölkerungsmehrheit böte sich zuguterletzt die Möglichkeit, diese Interessen auch dauerhaft über eine von Teheran abhängige schiitische Regierung zu sichern.

Nichts davon ist dem Iran in den vergangenen Jahren gelungen. Im Gegenteil wurde, was mit iranischer Hilfe aufgebaut, in der Regel mit Unterstützung einer anderen iranischen Quelle wieder eingerissen. Kaum hatten die schiitischen und pro-iranischen Parteien Dawa und SCIRI (Supreme Council of the Islamic Revolution, mittlerweile umbenannt in ISCI, Islamic Supreme Council of Iraq) eine parlamentarische Mehrheit erlangt, da wurde der schiitische Block auch schon wieder von Klerikal-Hooligan Muktada al-Sadr gespalten, auch er ein Günstling Teherans. Mit iranischen Waffen, Mörsergranaten und Sprengfallen wurden nicht nur schiitische Milizen, sondern ebenfalls jene sunnitischen Terrorgruppen ausgerüstet, die damit zwar zuerst US-Amerikaner, sehr bald aber mit noch größerem Furor vor allem Schiiten umbrachten. Die schiitischen Milizen wiederum brachten sich bevorzugt gegenseitig um. Mit Anbruch der Dunkelheit wurden aus den Städten Najaf, Karbala und Amara Kampfzonen, in denen die Milizverbände der verschiedenen pro-iranischen Parteien mit iranischen Waffen um die Vorherrschaft in den Stadtvierteln fochten. Sehen so »Tendenzen zur Übernahme mehr regionaler Verantwortung« aus?

Nun sollte man den iranischen Einfluß im Irak und seine Folgen dennoch weder unterschätzen noch belächeln. Mit großem finanziellem Aufwand und unter Anwendung gröbster Gewalt wurde das Leben in den schiitischen Gebieten des Landes sukzessive re-islamisiert. Dabei suchen sich die Islammilizen immer neue Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Hunderte irakische Schwule wurden nach Schätzung von Human Rights Watch in den vergangenen Monaten ermordet. Aus Bagdad kommen erschütternde Berichte von Hetzjagden der Mahdi-Milizen auf Männer, die der Homosexualität verdächtigt werden. Die Morde gehen einher mit einer von Muktada al-Sadr ausgerufenen Kampagne zur Verteidigung der religiösen Moral, sie werden umgesetzt von den Mahdi-Milizen, die als Wächter über die Tugend der Gläubigen durch die Straßen Sadr-Citys patrouillieren. Aus dem Iran haben sie die Waffen, das Geld und die Anleitung, wie man es macht.

Selbst dieses Beispiel zeigt, wie die iranische Politik im Irak funktioniert, oder besser: warum sie nicht funktioniert. Denn zwar üben die Milizen, wie Sadrs Mahdi-Armee, in begrenzten Stadtteilen und Ortschaften eine unmittelbare Gewaltherrschaft aus. Andererseits sind sie bislang nicht in der Lage, daraus funktionsfähige und nachhaltige Mechanismen mittelbarer Herrschaft zu entwickeln, die über die willkürliche Gewalt der Straße hinausreichten. Die Milizen der islamischen Revolution, die in den Stadtteilen ihr Unwesen treiben und sich aus deklassierten jungen Männern rekrutieren, sind selbst nicht in der Lage, eine Perspektive über die Zeit zu schaffen, Konflikte zu schlichten oder gar einen einigermaßen erträglichen Normalzustand aufrecht zu erhalten, der die Voraussetzung dafür wäre, die Verhältnisse zu gestalten, anstatt sie nur immer zu zerschlagen. Auf diese Weise konterkarieren die schiitischen Milizen unentwegt die Politik ihrer Parteien und unterminieren deren Durchsetzungsfähigkeit.
So hat die mehrheitlich schiitische Regierung des Irak auch kein gesteigertes Interesse an einem Schutz verfolgter Homosexueller. Schwule Liebe ist im Irak verboten und wird drakonisch bestraft. Genausowenig aber ist es im Interesse der irakischen Regierung, wenn in den schiitischen Stadtteilen junge Männer geprügelt, gefoltert und getötet werden, weil sie sich zu »weiblich« kleiden oder dem randalierenden Mob aus anderen Gründen nicht paßen, mit dem Resultat, daß die schiitische Regierung die Morde offiziell verurteilen mußte. Das hilft den verfolgten Männern nicht weiter, zeigt aber die strukturelle Schwäche der pro-iranischen Shia im Irak, die ohne ihre Milizen genauso wenig kann, wie mit.

Beispiele wie dieses finden sich unzählige im Irak. Nach sechs Jahren Intervention ist es dem Iran dort zwar gelungen, Unordnung zu schaffen und einen schwer kontrollierbaren Terror zu fördern, verläßliche und dauerhafte Strukturen der Einflußnahme wurden indessen nicht geschaffen. Zwar mag der Iran den benachbarten Irak als seinen Hinterhof betrachten, wie die eingangs zitierte Chatham House Studie nahelegt, doch ist es ein reichlich verwahrloster Hinterhof, so einer, der den Bewohnern im Vorderhaus schnell mehr Ärger bringt als Nutzen. Fast überall, wo die schiitischen Islammilizen das Sagen hatten, wurden sie von der Bevölkerung bei den Kommunalwahlen im Januar abgewählt oder doch wenigstens durch eine weniger brachiale Islampartei ersetzt. In der südirakischen Maysan-Provinz, die überwiegend aus den von Saddam Hussein einst trockengelegten Sümpfen des Eufrat- und Tigrisdeltas sowie aus Wüste besteht, wurde der Gouverneur der Sadr-Partei im Januar aus dem Amt gejagt. Noch 2006 hatte die Mahdi-Armee hier ihren größten Triumph erlebt, als sich die britische Armee nach zwei Jahren dauernder Angriffe aus Maysan zurückzog. Zwischen 2006 und 2008, als endlich die irakische Armee intervenierte, herrschte in der Provinzhauptstadt Amara das Chaos der Milizen. Maysan wurde zum Umschlagplatz für iranische Waffen und zur Zwischenstation für Mujaheddin, die vom Iran kamen oder in den Iran reisten. Eine ganze Region lebte von Schmuggel, Kidnapping und Auftragsmorden und das in einer Gegend, die auf einer Öllache schwimmt. Zwischenzeitlich hat die irakische Armee dem Spuk ein Ende bereitet. Heute befinden sich hier wieder Forward Operating Bases der US-Armee, die, aller Abzugsplanung zum Trotz, neu eingerichtet wurden. Außer viel Ärger und Leid unter der Zivilbevölkerung hat die ganze iranische Einmischung in Maysan nur eins gebracht: ein paar Amerikaner mehr an der iranischen Grenze.

In anderen schiitischen Gebieten sieht es kaum besser aus. Wo immer eine der pro-iranischen Parteien das Sagen hatte, sank der Lebensstandard rapide und nahmen die bewaffneten Auseinandersetzungen sprunghaft zu. Von einer wirtschaftlichen Abschöpfung der Öleinnahmen, die der Iran so gut gebrauchen könnte, kann, abgesehen von ein wenig Schmuggelware in Fässern, keine Rede sein. Selbst die reine Förderung von Erdöl, ohne Raffinierung, erfordert ein Mindestmaß an Knowhow und Organisation. Mahdi-Milizen und ihre bewaffneten Glaubensbrüder können bestenfalls ein Loch in den Boden schießen. Eine organisierte Ausbeutung ist von ihnen nicht zu erwarten.

So gibt es wenig, worauf der Iran Stolz sein könnte nach sechs Jahren Irakpolitik. Läßt man einmal Außen vor, daß der Terror im Irak den USA eine Niederlage bereitet hat, was unter anderem der Tatsache geschuldet ist, daß ein erheblicher Teil der Technik zur Herstellung von Bomben, die im Irak in den vergangenen Jahren explodierten, aus dem Iran stammte, dann ist die ganze Operation ein einziges Desaster. Irans politische, militärische und nachrichtendienstliche Operationen im Irak waren zwar nicht ganz so teuer wie die amerikanischen, dafür aber umso schlechter. Warum der Iran dennoch weithin als gestaltungsfähige Regionalmacht durchgeht? Ganz einfach: Weil er ein Atomprogramm hat. Und weil Regierungen wie die deutsche, dem Ratschlag der Stiftung Wissenschaft und Politik folgend, alles tun, dem Iran die nukleare »Regimesicherheit« auch zu erhalten.

Artikel erschienen in Konkret, Heft 8, 2009


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