Ein Abzug wäre das Schlimmste
Von Thorsten Denkler (Berlin)
Die jüngsten Anschläge in Bagdad mit mehreren Dutzend Todesopfern
waren nach Ansicht der Hilfsorganisation "Wadi" nur der Anfang
einer neuen Serie von Terrorakten. Wadi ist eine regierungsunabhängige
Organisation, die sich vornehmlich um den Schutz von Frauen und Hilfe
für Folteropfer im Irak kümmert.
Vermehrt zivile Ziele
Wadi-Sprecher Thomas Uwer, selbst kürzlich aus dem Irak zurückgekehrt,
berichtete, die Anschläge richteten sich vermehrt gegen Einrichtungen
der Zivilverwaltung und der neuen irakischen Übergangsregierung
- auch gegen Busse, Märkte, Krankenhäuser und nicht zu letzt
- wie gerade geschehen - internationale Organisationen wie das Rote
Kreuz oder die UNO.
Abzug ist das Ziel der Terroristen
Ein von einigen Organisationen überdachter Abzug aus dem Irak wäre
"im Moment das Schlimmste was passieren könnte", sagte
Uwer. Genau dies sei das Ziel der Terrorgruppen und wäre ein "enormer
Erfolg für Islamisten und Saddam-Anhängern".
Gut geplante Anschläge
Uwer wies den Eindruck zurück, die Anschläge seien Ausdruck
einer Unzufriedenheit mit den Besatzungsmächten USA und Großbritannien.
Dagegen spreche, dass die Anschläge sehr genau geplant und durchorganisiert
seien. Die Sprengsätze seien zum Teil mit Fernzündern ausgestattet
gewesen.
Hussein steckt hinter den Anschlägen
Uwer vermutet hinter den Terrorakten zum einen ehemalige Mitarbeiter
des alten Sicherheitsapparates von Ex-Diktator Saddam Hussein. Zu dem
Apparat gehörten einst mehrere hunderttausend Mitarbeiter. "Die
verschwinden nicht einfach." Zum anderen seien sunnitisch-islamistische
Gruppen für Bombenanschläge verantwortlich. Diese kämen
zum größten Teil aus dem Ausland. Im Irak selbst gebe es
keine große sunnitisch-islamistische Tradition.
Gut auf Sturz vorbereitet
Hussein, der nach Uwers Überzeugung noch lebt und sich im Land
aufhält, habe sich "trotz allen Größenwahns offensichtlich
auf den bevorstehenden Sturz vorbereitet". Er habe schon vor geraumer
Zeit einen terroristischen Untergrundkampf für diesen Fall organisiert.
Ziel Husseins, wie auch der anderen Terrorgruppen, sei eine "Destabilisierung
und Verhinderung des Aufbaus demokratischer Strukturen".
Wille zur Demokratie ist da ...
Ein Prozess, der von der Bevölkerung mehrheitlich unterstützt
werde. Uwer: "Der Wille ist vorhanden." Beleg dafür seien
die Vielzahl von Aufständen gegen das Regime Husseins in der Vergangenheit,
die allesamt "brutalst niedergeschlagen wurden". Uwer schätzt,
dass eine Million Irakis Opfer der Unterdrückungsmaschinerie Husseins
geworden sind. Hinzu kommen die Kriege gegen die Kurden, gegen den Iran,
gegen Kuwait. Saddam Hussein konnte den Unmut der Bevölkerung gegen
ihn letztlich nur mit Gewalt unter Kontrolle halten.
... aber das Volk ist schlecht vorbereitet
Andererseits sei das Volk auf Demokratie nicht vorbereitet. Nach über
30 Jahren Diktatur sei das Land innerlich zerrüttet, sagt Uwer.
Der Wiederaufbau muss etwa mit einem neuen Bildungssystem und neuen,
ideologisch ungefärbten Schulbüchern beginnen. Bei Polizei
und Sicherheitskräften dürften nicht einfach die alten Kräfte
übernommen werden. Damit würde der selbe Unterdrückungsstaat
unter neuem Gewand wieder errichtet.
Nur "minimale" Hilfsbereitschaft
Der Prozess der Demokratisierung werde viel Zeit brauchen und bedürfe
eines großen Engagements der internationalen Gemeinschaft beim
Wiederaufbau, sagte Uwer. Die deutsche Bereitschaft, sich zu beteiligen
bewertete er jedoch als "minimal". Bei der Geberkonferenz
in Madrid habe sich gezeigt, dass die Kriegsgegner Deutschland und Frankreich
den Versuch eines Wiederaufbaus "blockieren".
Diplomatischer Affront
Nach Madrid seien von deutscher Seite weder Außenminister Joschka
Fischer (Grüne) noch die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
Heidemarie Wieczoreck Zeul (SPD) gereist. Nur Staatssekretäre seien
vorgeschickt worden. Uwer: "Ein diplomatischer Affront". Dies
werde von den Irakis und der irakischen Übergangregierung als eine
Unterstützung des alten Regimes angesehen.