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"Die Frauen haben keine Lobby"

Interview mit Dr. Wahabir, Suleymania, Kurdistan, April 1994

Zur Person:
Dr. Wahabir arbeitet seit 1979 als Psychologin und Psychiaterin im Zentralkrankenhaus von Sulemaniyah. Neben ihrer Arbeit im Krankenhaus hat sie verschiedene sozialpsychologische Analysen über die kurdische Gesellschaft veröffentlicht, sowie politische Bücher und Kurzgeschichten. Ihre letzte Studie über die Rolle der kämpfenden Frauen in der PKK sollte gedruckt werden, aber ging im Laufe der Auseinandersetzungen zwischen ICP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) 1993 verloren. Sie arbeitet außerdem als Journalistin für verschiedene linke Zeitungen. Zusammen mit unabhängigen Frauen und Frauen aus der Liga der Frauen Kurdistans (Komalla Afretan) gab sie eine Frauenzeitung heraus, dengi afretan, "die Stimme der Frau", die aber aus Geldmangel nach zwei Nummern eingestellt werden mußte.

Dr. Wahabir war bis 1970 Mitglied der Kommunistischen Partei Iraks (ICP). Der Grund für ihren Austritt war, daß nach der Machtübernahme der Baath-Partei 1963 die Kommunisten auf den Befehl der Sowjetunion hin ab 1970 mit der Regierung kooperierten. Mit ihr trat eine große Gruppe Kommunisten und Kommunistnnen aus der Partei aus. Bis zu ihrer Rückkehr in den Irak 1979 lebte sie in der UDSSR und England.

Dr. Wahabir ist seit langem aktiv am Aufbau einer unabhängigen Frauenbewegung in Kurdistan beteiligt.

Die Situation der Frauen in Kurdistan ist ausgesprochen schlecht. Frauenverbrennungen und Strafen wegen "moralischer Vergehen" scheinen durchaus üblich zu sein. Wie schätzen Sie den rechtlichen Hintergrund dieser Problematik ein?

W: Die rechtliche Situation der Frauen ist sehr schwierig. Ein großes Problem ist, daß in juristischen Fragen, die Frauen betreffen, das islamische Recht angewandt wird. Ich möchte das islamische Recht nicht pauschal verurteilen. Zur Zeit der Entstehung des Islams, war dieses Recht von großer Bedeutung für Frauen. Vor dem Hintergrund einer feudalen Gesellschaft betrachtet, bedeutet es einen objektiven Fortschritt, wenn vormals gänzlich recht- und besitzlose Frauen, plötzlich einen gewissen Schutz erfahren. Das reichte vom Schutz der Person, bis zu Scheidungs- und Erbrechten. Vorher war Mord an Frauen durchaus üblich. Väter verbrannten ihre Töchter. Das ist aber kein Phänomen, das nur in der islamischen Welt geschehen ist.

Heute aber sind wir historisch über den Punkt hinaus, an dem das islamische Recht einen Vorteil für Frauen bedeutete, und daß es angewandt wird, bedeutet gerade im Irak eine Regression. Die Frauenbewegung war im Irak und also auch in Irakisch-Kurdistan, traditionell sehr stark und fand Unterstützung vor allem von der ICP. Auf einer bestimmten Ebene waren eine ganze Reihe von sozialen Rechten einmal im Irak verwirklicht. Das galt auch für Frauen.

Die kurdische Gesellschaft ist aber, vor allem in den ländlichen Gebieten, noch sehr stark feudal geprägt. Der Mord an Frauen ist - denke ich - hier zudem ein akutes gesellschaftliches Problem. Erst vor kurzem wurden zwei Mitglieder der Liga der Frauen Kurdistans (Komalla Afretan) ermordet...

W: Das stimmt. Nach dem Aufstand begannen einige Gruppen damit, Frauen zu ermorden; vor allem die PUK und die Islamisten. Die Morde richteten sich gegen Frauen, die mit der früheren Regierung zusammengearbeitet haben, bzw. sich mit Baath-Mitgliedern eingelassen hatten. Diese Morde haben, jenseits dessen, daß man sie als unmenschlich verurteilen muß, eine ganze Reihe von Problemen aufgeworfen. Die meisten dieser Frauen waren Mütter und ihre Kinder mußten mitansehen, wie diese neue Gesellschaft, die sich befreit hat, ihre Mütter ermordet. Was soll aus diesen Kindern werden?

Die Ursachen dafür, daß diese Frauen mit der früheren Regierung in dieser oder eben jener Weise, sagen wir, kooperiert haben, liegen auf einer gesellschaftlichen, ökonomischen Ebene. Die meisten dieser Frauen standen im Abseits. Eine starke Regierung hätte nach dem Aufstand das Problem anders angehen müssen, aber dafür fehlte es auch an Mitteln. In Vietnam lief das anders; als die Amerikaner abzogen, hinterließen sie eine große Anzahl solcher Frauen, jede Menge Prostituierte und Bordelle. Hätte die vietnamesische Regierung die alle ermordet, hätten fünf Prozent der gesamten Bevölkerung sterben müssen. Das Problem aber liegt nicht bei einer moralischen Verfehlung der Frauen, sondern bei den Umständen, die sie dazu zwingen so zu leben. Dort hat die Regierung also Rehabilitationszentren eingerichtet, in denen den Frauen geholfen wurde, wieder ein Leben innerhalb der Gesellschaft, als ganz normale, akzeptierte Bürgerinnen, zu führen.

Hier wollte man das Problem einfach beseitigen, ohne ein Konzept zu haben.Das liegt daran, daß in vielen Bereichen keine sozialen Konzepte existieren, sondern nur Machtstrukturen.

Der Mord hatte mit den Frauen begonnen, die mit der irakischen Regierung kooperierten, wie auch immer. Es gab aber eine ganze Reihe Leute, die vor dem Aufstand kooperierten, kollaborierten. Djasch ("Esel") nennt man diese Leute glaube ich. Dennoch gab es gleich nach dem Aufstand eine Amnestie für diese Leute.

W: Ja, das waren nicht nur Djaschs. Um es zu verdeutlichen, nenne ich einfach mal ein Beispiel: In Suleymanya gab es ein Geheimdienstzentrum, in dem auch eine ganze Reihe Kurden arbeiteten, als Aufseher und als Folterer. Nach dem Aufstand aber, als das Zentrum gestürmt war, hatte jeder von denen plötzlich immer schon gute Kontakte zu dieser oder jener Partei gehabt und viele sind Mitglieder dieser Parteien geworden. Diese Leute haben jetzt irgendwo einen Posten oder machen ihren gleichen Job weiter für eine der Parteien. Hast Du gehört, daß einer von denen gehängt wurde? Die Frauen hatten jedoch keine Lobby. Die gleichen miesen Umstände, die sie damals zu diesem Leben zwangen, bedingten also auch ihren Tod. Sie hatten keine Partei, keine Lobby, die sich hinter sie gestellt hat, was typisch ist. Deshalb kann man sagen, daß sie nicht gestorben sind, weil sie Folterer oder Kollaborateure gewesen wären, sondern sie sind gestorben, weil sie Frauen waren.

Gab es von Seiten der Regierung keine Versuche, diese Morde zu stoppen?

W: Wer sollte das in Kurdistan verhindern, selbst wenn man es wollte. Die Regierung setzt sich jeweils zur Hälfte aus zwei Parteien zusammen. Eine unabhängige Institution, die Recht auch durchsetzen könnte, gibt es nicht. Diese sogenannten moralischen Vergehen sind außerdem in jedem Fall ein gutes Instrument, Frauen aus verschiedensten Gründen zu unterdrücken.

Mit einer kleinen Bewegung haben wir versucht, diese Gesetze zugunsten der Frauen zu ändern. Eine Juristin hat in Zusammenarbeit mit uns eine Gesetzesänderung formuliert, die wir dem Parlament vorlegten. Der Entwurf wurde natürlich abgelehnt. Keine der großen Parteien wollte mit uns was zu tun haben. Sie sagten "Wir haben unsere eigenen Frauenorganisationen". Damit haben sie ziemlich deutlich formuliert, was unser Problem hier ist.

Ein besonderes Phänomen stellen glaube ich die große Anzahl von Witwen aus der Anfal-Offensive dar. Viele von ihnen leben unter erbärmlichsten Bedingungen in den collectiv-towns, wo es kaum Arbeit gibt. Sie müssen ihre Familien ernähren und haben meistens weder die Chance zu arbeiten, noch die Chance eine Ausbildung zu machen.

W: Und es gibt das Gesetz, das ihnen verbietet wieder zu heiraten.

Warum?

W: Entsprechend des islamischen Rechts kann eine Frau nicht wieder heiraten, wenn ihr Mann vermißt ist [1], also auch nur irgendeine Möglichkeit besteht, daß er zurückkehren könnte. Sie kann sich nicht scheiden lassen und also nicht heiraten. Männer können aber so oft heiraten, wie sie möchten.

Und dann gibt es da noch ein anderes Problem. Von ihren Feldern und Dörfern vertrieben, wurden diese Frauen in eine totale Abhängigkeit in diesen Sammelstädten gezwungen. Sie müssen, wie Du schon sagtest, unter schwersten Bedingungen oft alleine eine große Familie ernähren. Sie wurden schon von Saddam gezwungen, arbeitslos wie Parasiten zu leben. Ähnlich ist es übrigens mit den arabischen Flüchtlingen aus dem Irak [2]. Während man den kurdischen Familien immer noch hilft, ihre Dörfer langsam wieder aufgebaut werden, gibt es für sie keinerlei Projekte, keinerlei Arbeit, keinerlei Kleinerwerb. Sie müssen Schmuggeln, um zu überleben.

Das sind gesellschaftliche Probleme; Frauen müssen sich mit gesellschaftlichen Problemen befassen und sich nicht definieren lassen, was Frauenfragen sind.

Sind das nicht die Folgen einer gezielten Politik, die das irakische Regime in Kurdistan betrieben hat?

W: Saddam hat die Dörfer zerstört, die Menschen verschleppt und in Sammelstädte gezwängt. Diese Leute waren Dörfler, sie haben gekämpft. Sie haben die kurdische Revolution gemacht, waren die Familien der Peshmergas und plötzlich nach dem Aufstand müssen sie wieder elend und parasitär leben, weil grundlegende Probleme nicht angegangen werden.

Der Regierung fehlt jegliches soziales Konzept: Wenn man ein Haus bauen will, braucht man einen Plan und dann brauchts ein massives Fundament, auf dem man baut. Bei einer Gesellschaft ist es ähnlich und in Kurdistan fehlt an vielen Stellen beides. Die Parteien haben versucht, eine Gesellschaft aufzubauen, die aussieht wie eine wacklige Mauer. Es fehlt das ökonomische Fundament, es fehlen die unabhängigen Institutionen, die einen Staat machen, es fehlt das Konzept. Nicht einmal die grundlegendsten Dinge einer Gesellschaft kann man im Moment voraussetzen; der Staat ist nicht in der Lage z.B. das Gesetz durchzusetzen. Die Sicherheit der Bürger kann nicht garantiert werden.

Seit drei Jahren gibt es eine kurdische Regierung, aber keine genauen Studien über Bevölkerung und Wirtschaft. Jeder weiß, daß der Schwarzmarkt eine Katastrophe ist. Die Menschen werden zu Bettlern und Schiebern. Niemand scheint aber dagegen was zu tun; der Name Kurdistan wird immer mehr zur Bezeichnung für eine chronische Krankheit.

Es gibt keine Bank in Kurdistan [3]. Deswegen ist die Währung nicht mehr kontrollierbar. Alle Devisen werden auf dem Schwarzmarkt getauscht und die stabilen Währungen wandern sofort nach Bagdad oder Teheran. Es gibt einen Markt, aber es gibt keine Produktion. Wir sind eine konsumierende Gesellschaft, ohne eigene Produktion und das in einer Situation, in der es Tag für Tag schwerer wird, auch nur das notwendigste zu besorgen.

Neben einer direkten wirtschaftlichen und gesetzlichen Diskriminierung, haben Frauen wahrscheinlich auch mit Problemen zu kämpfen, die mit der Familienstruktur zusammenhängen?

W: Ja, aber es gibt dennoch einen Zusammenhang, zu dem, was ich versucht habe darzustellen. Du hast vorhin von der feudal geprägten Gesellschaft gesprochen. Das trifft auch auf dieser Ebene zu: Der Vater, der Patriarch, beherrscht noch immer die Familie. Die Mutter ist vielfach nicht mal die Nummer zwei, sicher. Ohne eine grundlegende Veränderung der Lebenssituation in Kurdistan aber werden diese Versuche im Nichts enden. Die Schlüsselprobleme Kurdistans, die sozialen Probleme, das Fehlen eines Staates und die Zwei-Parteien-Regierung, ziehen sich durch alle Bereiche der Gesellschaft.

Haben Frauen überhaupt die Möglichkeit von zentralen Stellen aus die Politik zu ändern? Ich meine, sind Frauen nicht von den zentralen Machtpositionen ausgeschlossen? Soweit ich weiß, sitzen zwar sieben Frauen im Parlament, aber nur an vollkommen unbedeutenden Positionen.

W: Aber was sollte das auch? Margaret Thatcher ist eine Frau und Tansu Ciller ist auch eine. Also, was haben sie getan? Natürlich ist es wichtig, daß Frauen die gleichen Chancen haben, an jeden Posten heranzukommen. Im Moment sind diese Frauen aber nur schlechte Kopien ihrer männlichen Kollegen. Für die Frauenbewegung tun sie nichts.

Wesentlich wichtiger ist es, in Kurdistan ein breite und unabhängige Frauenbewegung aufzubauen und von diesen Hintertreppenvereinen der Parteien wegzukommen, also die PUK- und PDK-Frauen (Patriotische Union Kurdistans und Demokratische Partei Kurdistans).

Es gibt aber noch andere Frauenorganisationen.

W: Ja, es gibt vor allem die Komalla Afretan (Liga der Frauen Kurdistans), die ein Ableger der irakischen Liga der Frauen, der ältesten Frauenorganisation hier ist. Die Komalla Afretan ist ein Teil der linken Bewegung in Kurdistan und sie ist sehr schwach, wie die gesamte Linke. Sie machen gute Arbeit, aber sie haben nicht die Macht und den Einfluß im Moment die Vorzeichen zu ändern. Auch die Kommunistische Partei hat im Prinzip kaum Macht, sie haben Einfluß und sind so etwas wie eine moralische Instanz, aber Entscheidungen treffen sie auch nicht. Und die Komalla Afretan ist schließlich der KP auch verbunden.

Die Unabhängige Frauen-Union ist sehr radikal, haben gute Ideen, sind aber eigentlich unbedeutend.

Gibt es Einflüsse anderer Frauenbewegungen auf die kurdischen Diskussionen? Ich meine, tauchen Ideen beispielsweise ägyptischer Frauenrechtlerinnen auf?

W: Kaum, die Frauenbewegung hier ist sehr stark von eigenen, sich aus der kurdischen Geschichte ableitenden Ideen und Fragen geprägt. Die Einflüsse aus Ägypten sieht man nur jeden Tag im Fernsehen: Popshows und Fernsehfilme. Viel mehr kommt nicht an.

In der Frauenbewegung gibt es verschiedene Strategien und Ansätze, die ich vielleicht beschreiben könnte.

Die Komalla Afretan (Liga der Frauen Kurdistans) folgt quasi einer klassisch materialistischen Strategie. Sie arbeiten mit Frauen aus den unteren sozialen Schichten und versuchen eine materielle Grundlage zur Emanzipation zu schaffen. Grob gesagt gehen sie davon aus, daß Ungleichheit eine materielle, also ökonomische Ursache hat. Diese Arbeit ist gut und hat auch Erfolg.

Dann gibt es die Oragnisationen von PUK und PDK. Sie folgen einem eher privatistischen Partizipationsgedanken. Frauen sollen sich demnach als Frauen verhalten, anders sein, anders aussehen, sich dementsprechend kleiden und schminken und als solche Frauen auch ein paar Rechte haben, also partizipieren. Im Vordergrund ihrer Arbeit steht immer die Partei: Die einen kleiden ihre Kinder Gelb (PDK), die anderen Grün (PUK). Sie haben eigentlich keine große Strategie, die sie befolgen können, sondern folgen ihren Parteien, die sie am Leben halten.

Und am Ende gibt es die Unabhängige Frauen-Union, die den kommunistischen Splittergruppen nahestehen, den Arbeiterkommunisten und so. Sie fordern vor allem auch eine sexuelle Befreiung der Frauen und vergessen dabei gerne den sozialen und historischen backround unserer Gesellschaft.

Ist das so verkehrt?

W: Nein, aber ich denke, daß sich diese Ideen um eine individuelle sexuelle Freiheit drehen, die sicherlich wichtig ist, die Unfreiheit aber ein gesellschaftlicher Fakt ist. Das Problem von sexueller Unfreiheit steht bei uns allerdings nicht an erster Stelle. Die kurdische Gesellschaft ist nicht vertraut mit sexuellen Fragen; und unsere Männer und Frauen wurden verfolgt, erniedrigt, ermordet und auch jetzt noch geht es ihnen dreckig. Die Forderungen müssen sich auf einen breiteren sozialen Hintergrund beziehen, nicht nur auf religiöse, soziale oder sexuelle Normen. Das heißt die Gesellschaft muß einbezogen werden. Schließlich leiden unter der sexuellen Rolenverteilung nicht nur Frauen, sondern auch Männer.

Die typische Rollenverteilung, die Frauen als Mütter, Haus- und Ehefrauen definiert, hindert sie wahrscheinlich aber auch daran, als Arbeiterin, Akademikerin oder Politikerin am ökonomischen und politischen Leben teilzunehmen?

W: Die Familien haben Erwartungen an die Frau, eine gute Hausfrau zu sein, eine gute Mutter. Und ihrem Mann soll sie dienen. Das ist auch in der Linken noch so. Deshalb arbeiten diese Frauen dreifach: Zuhause, in der Partei oder Organisation und in der Frauenbewegung. Wenn Frauen gute Arbeit leisten wollen, machen sie sich entweder kaputt, oder sie entscheiden sich ohne Familie zu leben. Denn auch wenn sie eine noch so bedeutende Wissenschaftlerin ist, zuhause ist sie immer nur die Frau ihres Mannes. Die Öffentlichkeit verlangt das; die Eltern, die Männer, aber genauso die Frauen, die aus diesem System logischerweise nicht ausgeschlossen sind.

In den sozialistischen Staaten zum Beispiel lag die Erziehung von Kindern sehr stark in der Verantwortung der Gesellschaft, was die Familienstruktur sicherlich entlastet hat. Es gibt also noch eine andere Perspektive für die Rolle der Frau in Kurdistan?

W: Ja, ich habe das in der SU kennengelernt. Es gab Erziehungsinstitutionen, die sehr gut ausgebaut waren, wo es Kinderküchen gab, Tagesstätten, etc... Die Frauen arbeiteten und eine Frau, die nicht arbeitete, also nicht gesellschaftlich produktiv war, hatte kein besonders hohes Ansehen. Ich weiß nicht wie das jetzt ist. Damals aber waren auf einer rein ökonomischen Ebene Frauen relativ gleichgestellt. Aber trotz alledem waren sie nicht gleichberechtigt.

Die Teilung gesellschaftlicher Arbeit ist sicherlich ein entscheidender Punkt, um die Unterdrückung der Frauen zu erklären. Aber auch andere Dinge spielen eine Rolle.

Vor allem in den westlichen Staaten funktioniert eine Maschinerie des Fernsehens, der Werbung, etc..., die Frauen zu schönen Objekten degradiert.

Der Wahn sich zu schminken, schick anzuziehen und die Schönheitskönigin zu werden, macht Frauen zu Objekten des männlichen Gefallens.

Das hat jetzt nichts mit einer antizivilisatorischen Haltung zu tun, die ich sicherlich nicht vertrete. Diese Dinge aber werden eingesetzt Frauen zu Objekten zu machen, das heißt zu dem, wie sich Männer Frauen so vorstellen.

Auf der anderen Seite haben Frauen in den westlichen Staaten natürlich auch eine Menge Freiheiten, in sozialen und moralischen Fragen vor allem. Aber als Objekt, als "Frau", möchte ich nicht partizipieren. Die Frau sollte ein Teil der Menschenbewegung sein, einer revolutionären Bewegung menschlicher Wesen.

Wo ist der Unterschied zwischen "Menschenbewegung" und Frauenbewegung?

W: Die sozialistischen Staaten haben es geschafft, die Frauen vom Herd zu befreien. Aber es konnte einfach keine Frauenbewegung entstehen, die mit den Ressentiments aufräumt und eine starke Kraft für alle wird, eine Bewegung für die gesamte Welt. Das Problem konnte nicht gelöst werden, weil die Gleichstellung nur auf einer formalen, staatlichen Ebene stattgefunden hat. Eine Bewegung muß umfassender sein. Man kann nicht einfach Frauen befreien, ohne ihr soziales Umfeld zu ändern und gleichzeitig nicht einfach die ökonomische Basis verändern, ohne daß eine Frauenbewegung fester Bestandteil dieser Veränderungen ist.

Wie will man Frauen befreien, wenn überhaupt keine ökonomische, gesellschaftliche Basis besteht. Die Probleme hängen zusammen und laufen auf eine Umwälzung der Verhältnisse hinaus!

Das Interview führte Thomas Uwer, Mitarbeiter von WADI e.V., im April 1994 in Suleymania auf englisch. Übersetzung von WADI. Erschienen in links 1994 und ak 370, 21.9.1994.

Anmerkungen:

[1] Während der Anfal-Kampagne wurden ca. 250 000 Männer verschleppt und sind nie wieder aufgetaucht. Es muß davon ausgegangen werden, daß sie ermordet wurden.

[2] Vor allem im Süden des Iraks gibt es seit dem Golfkrieg bewaffnete Aufstände gegen das irakische Regime, die brutal von Militär und Geheimdienst bekämpft werden. Große Teile des Süd-Iraks sind zerstört. Alleine im Iran leben rund 450 000 Flüchtlinge aus dem Südirak. Einige Tausend Flüchtlinge aus diesen Gebieten, sowie Deserteure sind in den befreiten kurdischen Nord-Irak geflohen.

[3] In Kurdistan gilt weiterhin der irakische Dinar als offizielle Währung. Allerdings gibt es sg. alte und neue Dinarscheine; die "alten" (in der Schweiz gedruckt) sind in Kurdistan im Umlauf und im Tauschkurs eins zu drei zu den "neuen" (in Bagdat gedruckten) Dinarscheinen, die im restlichen Irak benutzt werden, was eine quasi eigene kurdische Währung bedeutet.

Da die kurdische Regierung keinen Einfluss auf den Tauschkurs hat, ist dieser willkürlichen Gesetzen ausgeliefert. Außerdem kann die Regierung keine Kredite, etwa an Bauern oder Kleinunternehmer vergeben. Von daher besteht die Notwendigkeit eine eigenständige kurdische Bank zu eröffnen.

 


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